Wie Lebensmittel- und Pharmakonzerne intuitives Essen erschweren

Wie Konzerne intuitive Ernährung erschweren: Missverständnisse, der Einfluss von „Big Food“ und Risiken durch Abnehmmittel.

intuitives Essen

Bei der Ernährung auf die eigene Intuition zu vertrauen, ist in Zeiten von Dauerbeschallung durch Soziale Medien nicht leicht. © Vecteezy

Dem eigenen Körper wieder vertrauen und Essensentscheidungen ohne Selbstverurteilung oder Diätkultur treffen: „intuitives Essen“ soll dabei helfen. Was leicht umzusetzen klingt, ist es aber keineswegs. Denn die eigentliche Botschaft wird oft verwässert, um ungesunde Lebensweisen zu rechtfertigen und Profit daraus zu schlagen, schreibt Salon.

Was bedeutet „intuitives Essen“ also und was nicht? Aaron Flores, ein darauf spezialisierter Ernährungsberater, schrieb für die National Eating Disorders Association folgendes zu diesem Thema:

Lassen Sie mich klarstellen: Essen ist nicht gut oder schlecht und es als solches zu kennzeichnen, kann viele Probleme aufwerfen.

Aus diesem Grund ist intuitives Essen auch so herausfordernd und schwierig zu verstehen. Schließlich ist es das Gegenteil dessen, wie wir über Essen zu denken gelernt haben. Flores plädiert, Essen nicht mit bestimmten emotionalen Werten zu verknüpfen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Lebensmittel vom Nährwert her gleichwertig sind. Intuitives Essen ist auch kein Freifahrtschein dafür, gar nicht über die eigene Ernährung nachzudenken und alles Mögliche im Übermaß zu essen.

Prinzipien intuitiver Ernährung

Es gibt 10 Prinzipien intuitiver Ernährung, die nur im Einklang miteinander funktionieren:

  1. Verabschiede dich von der Diätmentalität: Wirf Diätbücher und Zeitschriftenartikel weg, die schnellen und dauerhaften Gewichtsverlust versprechen, und lehne eine Kultur ab, die dich bei jedem Rückschlag als Versager darstellt.
  2. Achte auf deinen Hunger: Stelle sicher, dass dein Körper ausreichend mit Energie und Kohlenhydraten versorgt ist, um den Drang zu übermäßigem Essen zu verhindern.
  3. Schließe Frieden mit dem Essen: Gib dir selbst bedingungslose Erlaubnis zu essen, um Gefühle der Entbehrung und daraus resultierende Essattacken zu vermeiden.
  4. Stelle die Essenspolizei in Frage: Sage laut Nein zu inneren Stimmen, die dich für das Essen minimaler Kalorien loben oder dich für das Genießen eines Stück Schokoladenkuchens tadeln.
  5. Entdecke den Faktor Zufriedenheit: Lerne, das Vergnügen am Essen zu schätzen, indem du isst, was du wirklich möchtest, und dabei eine angenehme Umgebung schaffst.
  6. Spüre deine Sättigung: Höre auf die Signale deines Körpers, die dir sagen, wann du satt bist, und mache eine Pause beim Essen, um deine gegenwärtige Hungerstufe zu überprüfen.
  7. Gehe freundlich mit deinen Emotionen um: Erkenne, dass Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme emotionalen Hunger auslösen können, und finde freundliche Wege, um mit deinen Emotionen umzugehen.
  8. Respektiere deinen Körper: Akzeptiere deine genetischen Voraussetzungen und sei realistisch in Bezug auf deine Körpergröße und -form, um ein gesundes Selbstbild zu fördern.
  9. Bewegung – Spüre den Unterschied: Fokussiere dich darauf, wie sich Bewegung in deinem Körper anfühlt, statt auf den Kalorienverbrauch, um Motivation für regelmäßige Aktivität zu finden.
  10. Ehre deine Gesundheit mit sanfter Ernährung: Wähle Lebensmittel, die sowohl deiner Gesundheit als auch deinen Geschmacksvorlieben gerecht werden und erkenne, dass gelegentliche Abweichungen keinen langfristigen Einfluss auf deine Gesundheit haben.

Herausforderungen des intuitiven Essens

Auf sozialen Medien wird die Botschaft des intuitiven Essens hingegen oft vereinfacht und missverstanden. Einer Recherche der Washington Post zufolge missbrauchen große Lebensmittelunternehmen wie General Mills zudem die Anti-Diät-Bewegung zu ihrem Vorteil. Das US-amerikanische Unternehmen hat eine Kampagne gestartet, die Anti-Diät-Forschung nutzt, um die Schäden von „Food Shaming“ zu beweisen. Dazu haben sie Influencer gesponsert, die ihre zuckerhaltigen Snacks promoten. Außerdem haben sich Lebenshersteller gegen politische Maßnahmen gewehrt, die Gesundheitsinformationen auf Lebensmitteletiketten fordern.

Eine Analyse von 6.000 Social-Media-Posts von 68 Ernährungsberatern, die jeweils mindestens 10.000 Follower haben, hat ergeben, dass etwa 40 Prozent dieser Influencer Anti-Diät-Rhetorik verwenden und dabei von Lebensmittel-, Getränke- und Nahrungsergänzungsmittelunternehmen bezahlt werden.

Die Rolle von Medikamenten wie Ozempic und Wegovy

Parallel zur Anti-Diät-Bewegung gibt es zudem große Diskussionen über die Zukunft von Abnehmmitteln wie Ozempic und Wegovy. Diese Medikamente gehörten zu den GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die den Appetit und das Sättigungsgefühl regulieren. Beide Medikamente haben sich als wirksam erwiesen, um beim Abnehmen zu helfen, wenn sie mit Diät und Bewegung kombiniert werden. Patientenberichte zeigen, dass diese Medikamente „food noise“ – also obsessive Gedanken über Essen – reduzieren.

Kritiker äußern allerdings Bedenken über die langfristigen Auswirkungen dieser Medikamente auf die Beziehung der Patienten zu Lebensmitteln. Jackie Goldschneider hat in einem Kommentar im Newsweek-Magazin vor den Risiken der Einnahme dieser Medikamente durch Menschen mit durchschnittlichem Gewicht gewarnt. Denn anstatt eine bestehende Essstörung zu bekämpfen, würde in diesen Fällen erst eine induziert. Menschen würden sich für eine lebenslange Abhängigkeit von diesen Medikamenten entscheiden, um schlank zu bleiben.

Ein kontraproduktiver Diskurs

Ob nun auf Anweisung von Lebensmittel- und Pharmaunternehmen oder aus einem reinen Missverständnis heraus: Die gesellschaftliche Diskussion über intuitives Essen macht es nur noch schwerer, wirklich intuitiv zu essen. Und das in einer Gesellschaft, die bereits mit widersprüchlichen Botschaften über Essen und Körperbilder überschwemmt ist.

Was du dir merken solltest:

  • Intuitives Essen bedeutet, dem eigenen Körper zu vertrauen und ohne eine von der Diätkultur geprägte Selbstverurteilung zu essen. Es wird jedoch oft missverstanden und vereinfacht dargestellt.
  • Große Lebensmittelunternehmen nutzen die Anti-Diät-Bewegung, um ihre Produkte zu fördern, und beeinflussen so die öffentliche Diskussion über gesunde Ernährung.
  • Abnehmmittel wie Ozempic und Wegovy können obsessive Gedanken über Essen reduzieren. Jedoch gibt es Bedenken hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen auf die Beziehung der Patienten zu Lebensmitteln.

Bild: © Vecteezy

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