Auslandsbezogener Extremismus in Deutschland: Warum Prävention bundesweit versagt

Über 30.000 in Menschen in Deutschland gelten als ausländisch extremistisch. Präventionsangebote greifen oft zu spät und erreichen nur einen Bruchteil der radikalisierten Personen.

Scheiternde Prävention gegen auslandsbezogenen Extremismus

Ein Molotowcocktail als Sinnbild dafür, wie aus extremistischen Zielen gewaltsame Realität wird – unbeachtet und unterschätzt. © Wikimedia

In Deutschland leben laut Verfassungsschutz über 30.000 Menschen, die dem sogenannten auslandsbezogenen Extremismus (AEX) zugeordnet werden. Sie gehören Gruppierungen an, die politische Ziele im Ausland verfolgen, aber hierzulande aktiv sind, etwa die rechtsextremen Grauen Wölfe oder die kurdisch-separatistische PKK. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) legt nun offen: Die Prävention in diesem Bereich bleibt lückenhaft und wirkt dort am wenigsten, wo sie am dringendsten gebraucht würde.

Die Programme, die einen Ausstieg ermöglichen oder Radikalisierung früh erkennen sollen, erreichen kaum jemanden. Sie sind zu wenig bekannt, zu schlecht vernetzt, oft schwer zugänglich und existieren vielerorts gar nicht.

Prävention verpasst: Hilfsangebote setzen erst nach der Radikalisierung an

Staatliche Stellen und zivilgesellschaftliche Träger bieten mittlerweile unterschiedliche Beratungsformate an. Einige spezialisieren sich auf eine bestimmte Ideologie, andere versuchen, das ganze Spektrum abzudecken. Vor allem im Westen Deutschlands gibt es Strukturen, im Osten bleibt das Angebot bisher dünn.

Bundesländer mit AEX-Beratungsstellen (blau gefärbt) © BAMF

„In den vergangenen Jahren sind die Präventionsprogramme gegen auslandsbezogenem Extremismus deutlich ausgeweitet worden. Da die Angebote in diesem Bereich noch sehr jung sind, konnten sich bislang noch keine echten Koordinationsstrukturen entwickeln“, erklärt Nelia Miguel Müller vom BAMF-Forschungszentrum. Ihre Untersuchung zeigt: Viele Akteure arbeiten aneinander vorbei.

Die meisten Programme setzen spät an, wenn Menschen bereits radikalisiert sind oder in extremistischen Milieus leben. Ziel ist dann, einen Ausstieg zu begleiten. Doch das gelingt selten. Im gesamten Erhebungszeitraum lag die Zahl der Beratungsfälle nur im unteren zweistelligen Bereich, bei über 30.000 potenziell Betroffenen.

Familienbindungen blockieren Ausstieg – Misstrauen verhindert Beratung

Die Lücke zwischen Angebot und tatsächlicher Nutzung ist gewaltig. Für viele Betroffene kommt Hilfe nicht infrage – aus Angst, Loyalitäten zu brechen, oder weil sie keine Notwendigkeit sehen. Auch das Umfeld schweigt oft. Gerade in AEX-Gruppen scheint der soziale Zusammenhalt besonders stark zu sein. Wer sich distanziert, verliert nicht nur politische Überzeugungen, sondern auch Bindungen, manchmal sogar zur eigenen Familie. Der Preis für einen Ausstieg ist hoch.

Für Beratungskräfte ist es sehr schwer, Zugang zu gefährdeten oder radikalisierten Personen zu erhalten, zumal die Radikalisierung meist im familiären Kontext stattzufinden scheint.

Nelia Miguel Müller

Viele erkennen das Problem nicht oder wollen es nicht sehen. Und wer Hilfe sucht, landet oft bei Stellen, die gar nicht zuständig sind.

Frühzeitige Aufklärung fehlt

Der Forschungsbericht fordert: Prävention muss viel früher ansetzen, bevor sich Radikalisierung festsetzt. Schulen, Migrantenorganisationen, Verwaltungen und Gemeinden sollten gezielter angesprochen werden. In diesen Alltagsräumen könnten Risiken rechtzeitig erkannt werden.

Die Experten unterscheiden in verschiedene Zielgruppen für die Sensibilisierungsangebote:

  • Betroffene Personen
  • Gefährdete Milieus
  • Schulen
  • Vereine
  • Kommunen und Behörden

Aktuell mangelt es aber an regionaler Koordination, festen Ansprechpartnern oder funktionierenden Netzwerken. Der Bericht bemängelt: Viele Initiativen arbeiten isoliert, statt sich auszutauschen oder voneinander zu lernen.

Schwache Forschungslage zur Wirksamkeit der AEX-Prävention

Die Untersuchung stützt sich auf Interviews mit Fachleuten aus der Präventionspraxis. Befragt wurden Experten zwischen Mai und September 2023. Im Fokus standen vor allem Gruppen mit Türkei-Bezug – die Grauen Wölfe und die PKK dominieren diesen Bereich.

Was fehlt, ist belastbares Wissen zur Wirksamkeit von Maßnahmen. Bisherige Studien konzentrieren sich eher auf ideologische Strömungen. Wie gut Präventionsarbeit funktioniert, oder wo sie scheitert, wurde bislang kaum systematisch untersucht.

Einbezug von Schulen und Behörden und Vernetzung der Beratungsstellen

Zwei Punkte stehen für die Forscher im Mittelpunkt: Erstens muss das Thema viel sichtbarer werden, etwa durch Aufklärungskampagnen in Schulen und Behörden. Zweitens betonen die Autoren: „Für das Gelingen der Präventionsarbeit sind ein Wissenstransfer, beispielsweise in Form thematischer Austauschformate, sowie eine funktionierende Verweisberatung unerlässlich“. Es braucht mehr Austausch zwischen den Beratungsstellen, damit Informationen, Erfahrungen und Kontakte besser fließen.

Kurz zusammengefasst:

  • Über 30.000 Menschen in Deutschland gelten als dem auslandsbezogenen Extremismus zugehörig, doch Präventionsmaßnahmen greifen meist erst nach der Radikalisierung.
  • Die wenigen vorhandenen Angebote sind ungleich verteilt, kaum miteinander abgestimmt und erreichen nur einen sehr kleinen Teil der Zielgruppe.
  • Hoher Gruppenzusammenhalt, familiäre Loyalitäten und mangelndes Problembewusstsein erschweren den Zugang – gebraucht werden frühe Aufklärung und mehr Austausch zwischen den Stellen.

Übrigens: Extremistische Denkweisen entstehen nicht nur in politischen Milieus – auch Genies und Idealisten zeigen oft ähnliche Muster. Was extreme Fokussierung auslösen kann, positiv wie negativ, erklären zwei US-Psychologen – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Ministerie van Defensie via Wikimedia unter CC0 1.0

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