Glücksspielboom in deutschen Städten – Warum Spielhallen zum sozialen Risiko werden

Spielhallen bringen Milliardenumsätze, doch Städte kämpfen mit sozialen Folgen, Spielsucht und Herausforderungen für die Stadtentwicklung.

Spielhallen treiben Stadtentwicklung in soziale Schieflage

Immer mehr Menschen geraten durch Spielhallen in Schulden und Sucht. © Pexels

In vielen deutschen Städten gehören Spielhallen und Wettbüros längst zum vertrauten Bild. Doch kaum jemand sieht sie gern vor seiner Haustür. Oft gelten sie als Orte, an denen Menschen in schwierigen Lebenssituationen ihr Glück suchen und dabei nicht selten den Halt verlieren. Hinter blinkenden Automaten, bunten Schildern und versprochenen schnellen Gewinnen verbirgt sich ein Geschäft mit Milliardenumsätzen. Doch die Auswirkungen der Spielhallen auf die Stadtentwicklung und das Leben in deutschen Städten sind vielschichtig.

Genau diesem Thema ist der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Schwark von der Westfälischen Hochschule zusammen mit seinen Studierenden Nico da Cruz und Pascal Thurm nachgegangen. Über vier Monate hinweg untersuchten sie im Kreis Borken insgesamt 38 Spielhallen und sprachen mit Stadtverwaltungen, um Licht in die oft zwielichtige Welt der Glücksspieleinrichtungen zu bringen. Dabei herausgekommen ist das Buch Spielhallen und Wettbüros – Die „schwarzen Schafe“ der Stadtkultur.

Stadtentwicklung: Spielhallen als ein schmaler Grat zwischen Gewinn und Gefahr

Spielhallen gelten in Politik, Verwaltung und Bürgerschaft häufig als unliebsame Nachbarn. „Das Bürgertum, das in die Spielbank geht oder an der Börse spekuliert, rümpft wegen des Milieus der Spielhallen die Nase. Niemand möchte diese Einrichtungen haben, weder in der Politik, noch in der Verwaltung oder der Bürgerschaft“, sagt Professor Schwark.

Die Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen das Publikum, sondern auch gegen die Struktur des Geschäfts selbst. Viele Menschen erliegen dem Glauben, sie könnten mit Geschick Einfluss auf den Ausgang eines Spiels nehmen. Doch dieser Eindruck täuscht.

Gewinnen? – Der Automat entscheidet längst im Voraus

Schwark und sein Team kritisieren besonders die Art, wie Spielautomaten funktionieren. Die Geräte lassen es aussehen, als ob der Spieler mit seiner Entscheidung das Ergebnis beeinflussen könnte. „Der festgelegte Algorithmus kann aber nicht verändert werden. Mit einer TV-Fernbedienung in der Hand würden Sie auch nicht sagen, ich bin Filmemacher“, so der Wissenschaftler.

In ihrem Buch „Spielhallen und Wettbüros – Die schwarzen Schafe der Stadtkultur“ haben die Studierenden Nico da Cruz (r.) und Pascal Thurm (m.) gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Schwark die Spielstätten im Kreis Borken untersucht. © Jürgen Schwark / WH
In ihrem Buch „Spielhallen und Wettbüros – Die schwarzen Schafe der Stadtkultur“ haben die Studierenden Nico da Cruz (r.) und Pascal Thurm (m.) gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Schwark die Spielstätten im Kreis Borken untersucht. © Jürgen Schwark / WH

Die Entscheidung, ob gewonnen oder verloren wird, steht technisch bereits vor dem ersten Knopfdruck fest. Diese Illusion macht das Glücksspiel so gefährlich – vor allem für Menschen, die in Geldnot sind oder nach einem schnellen Ausweg aus ihren Problemen suchen.

Wetten entfernen sich immer mehr vom Sport

Auch der Bereich der Sportwetten steht zunehmend in der Kritik. Ursprünglich sollte es beim Wetten darum gehen, Sportereignisse spannend zu begleiten. Heute geht es vor allem ums Geld. Schwark erklärt: „Beim Wetten besteht unsere Kritik darin, dass man sich immer mehr vom eigentlichen sportkulturellen Ereignis entfernt. Hier zählt die Möglichkeit des Gelderwerbs.“

Damit geht vieles verloren, was Sport eigentlich ausmacht: Gemeinschaft, Emotion und Begeisterung. Stattdessen geraten gerade junge Erwachsene in Versuchung, auf Ergebnisse zu setzen, um vermeintlich leichtes Geld zu verdienen.

Milliardengeschäft mit hohem Preis

Die wirtschaftliche Bedeutung der Branche ist enorm. Im Jahr 2023 erwirtschafteten die über 5.300 Spielhallen in Deutschland rund 5,3 Milliarden Euro Umsatz. Dazu kommen noch die Einnahmen aus dem boomenden Wettgeschäft. Betreiber verweisen gern auf geschaffene Arbeitsplätze und hohe Steuereinnahmen. Doch Schwark sieht das kritisch: „Es ist nur eine Seite der Medaille. Die Umsätze würden in anderen Branchen des Kultur-, Freizeit- und Tourismussektors mehr bewirken, zumal dort auch relevante Wertschöpfung stattfindet.“

Mit anderen Worten: Das Geld, das an den Automaten und Wettterminals landet, fehlt in Restaurants, Theatern, Kinos oder Freizeiteinrichtungen, die echte soziale Begegnungen fördern.

Städte versuchen gegenzusteuern – mit begrenztem Erfolg

Manche Städte haben begonnen, der unkontrollierten Ausbreitung von Spielhallen Einhalt zu gebieten. In Bocholt und Gronau entstanden klare Konzepte: hohe Vergnügungssteuern, strenge Vorgaben für die Standorte und zusätzliche Abgaben, wenn beispielsweise keine Parkplätze vorhanden sind. Die Folgen sind sichtbar: Die Zahl der Überfälle auf Spielhallen ist deutlich zurückgegangen.

Doch Schwark warnt davor, sich auf solche Maßnahmen allein zu verlassen. Eine Reduzierung der stationären Spielhallen und Wettbüros führe zwar dazu, dass sie aus dem Stadtbild verschwinden, löse aber nicht das gesellschaftliche Problem, das dem Glücksspiel zugrunde liegt.

Die eigentlichen Probleme sitzen tiefer

Viele Spieler rutschen aus Frust, Einsamkeit oder finanzieller Not ins Glücksspiel. Spielsucht entwickelt sich schleichend und trifft längst nicht nur junge Männer, sondern zunehmend auch Frauen und ältere Menschen. Wer einmal tief in den Kreislauf aus Gewinnen, Verlusten und Hoffnung gerät, findet nur schwer wieder heraus.

Die reine Schließung von Spielhallen reicht deshalb nicht, um den sozialen Folgen zu begegnen. Die Ursachen liegen oft in ganz anderen Lebensbereichen: fehlende Perspektiven, Armut, soziale Isolation oder psychische Belastungen.

Städte brauchen Orte für alle – nicht nur für Konsumenten

Für Schwark steht fest: Städte dürfen nicht nur Orte des Konsums für zahlungsstarke Kunden werden. Er fordert: „Nun können einzelne Städte nicht gesellschaftliche Probleme lösen, aber soweit es möglich ist, sollten sie sich für sozioökonomische und soziokulturelle Kohäsion einsetzen.“ Öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität für alle könnten helfen, das Risiko zu verringern, dass Menschen aus Mangel an Alternativen in die Glücksspielwelt abrutschen.

Wenn Städte attraktive Treffpunkte schaffen, in denen Begegnung, Austausch und Freizeit ohne Kaufzwang möglich sind, sinkt der gesellschaftliche Druck. Menschen, die sich aufgehoben fühlen, greifen seltener zu fragwürdigen Auswegen wie Glücksspiel.

Spielhallen prägen die Stadtentwicklung sichtbar

Die Untersuchung der Westfälischen Hochschule macht deutlich: Spielhallen beeinflussen das soziale Gefüge und die Stadtentwicklung unserer Städte viel stärker, als es auf den ersten Blick erscheint. Wo blinkende Automaten stehen, fehlen häufig soziale Angebote, die für eine ausgewogene Stadtentwicklung entscheidend sind.

Hilfe bei Spielsucht: Diese Anlaufstellen unterstützen Betroffene

Für Menschen, die in die Spielsucht geraten sind, gibt es verschiedene Hilfsangebote:

  • Beratungsstellen für Glücksspielsucht: Hier erhalten Betroffene und Angehörige erste Unterstützung und individuelle Beratung. Die bekannteste ist die kostenlose und anonyme Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): 0800 1 37 27 00
  • Psychotherapeutische Behandlung: Spezialisierte Therapeuten helfen, die Ursachen der Sucht aufzuarbeiten und Rückfälle zu verhindern.
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, sich nicht mehr allein mit dem Problem zu fühlen.
  • Telefonische und Online-Hilfsangebote: Über bundesweite Hotlines oder Online-Beratungen erhalten Betroffene schnell und anonym Hilfe.
  • Klinische Entwöhnungsbehandlungen: In schweren Fällen bieten stationäre Therapieeinrichtungen umfassende Unterstützung.

Kurz zusammengefasst:

  • Spielhallen und Wettbüros erzielen Milliardenumsätze, lösen aber soziale Probleme wie Spielsucht, Verschuldung und Isolation aus.
  • Die Westfälische Hochschule zeigt: Automaten erwecken nur den Anschein von Einfluss, während festgelegte Algorithmen und vom Sport entfernte Wetten die Risiken verschärfen.
  • Für eine nachhaltige Stadtentwicklung müssen Städte neben der Regulierung von Spielhallen auch soziale Angebote und öffentliche Räume schaffen.

Übrigens: Auch Grünflächen spielen eine zentrale Rolle in der Stadtentwicklung. Forscher zeigen, wie Natur den Stresspegel von Stadtbewohnern deutlich senken kann – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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