Soziale Ungleichheit lässt unser Gehirn schneller altern

Forscher haben eine „Gehirnuhr“ entwickelt, die neue Erkenntnisse über das Gehirnalter liefert.

Forscher untersuchten das Gehirnalter und stießen auf unerwartete Erkenntnisse. © Vecteezy

Warum altert das Gehirn mancher Menschen schneller als erwartet? Eine neue Methode gibt Aufschluss über das Gehirnalter. Die sogenannte „Gehirnuhr“ zeigt, dass Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung und soziale Ungleichheit eine Rolle spielen. Besonders betroffen sind Menschen in Ländern mit großer sozialer Ungleichheit, wie zum Beispiel in Lateinamerika.

Agustín Ibáñez, Neurowissenschaftler an der Adolfo Ibáñez Universität in Santiago und Leiter der Studie, sagt laut nature:

Das Altern des Gehirns hängt nicht nur von den Jahren ab, sondern auch davon, wo man lebt und welche Umweltfaktoren auf einen wirken.

Agustín Ibáñez

Er betont, dass Länder, die in die Gesundheit ihrer Bevölkerung investieren möchten, auch gegen soziale Ungleichheiten vorgehen müssen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht und als „beeindruckend“ von Vladimir Hachinski, Neurowissenschaftler an der Western University in Kanada, beschrieben.

Lateinamerika und soziale Ungleichheit

Forscher analysierten die Gehirnalterung, indem sie die sogenannte funktionelle Konnektivität der Gehirnregionen untersuchten, also die Interaktionen zwischen verschiedenen Gehirnbereichen. Diese Konnektivität nimmt mit zunehmendem Alter ab. Die Studie umfasste Daten aus 15 Ländern, darunter Mexiko, Brasilien, China und die USA. Von den über 5.000 Teilnehmern hatten einige Alzheimer oder andere Demenzformen, andere wiesen leichte kognitive Beeinträchtigungen auf, und manche waren gesund. Die Gehirnaktivität wurde mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI) oder Elektroenzephalografie (EEG) gemessen.

Das Team berechnete für jeden Teilnehmer die sogenannte „Brain-Age-Gap“, also den Unterschied zwischen dem tatsächlichen Alter und dem durch die Konnektivität geschätzten Gehirnalter. Menschen mit Alzheimer oder Demenz wiesen größere Unterschiede auf als gesunde Teilnehmer. Besonders in Lateinamerika war der Unterschied zwischen chronologischem und Gehirnalter größer. Ibáñez erklärt, dass dies mit den hohen Ungleichheiten und der schlechteren Gesundheitsversorgung in dieser Region zusammenhängt. Insbesondere Frauen in Ländern mit hoher Geschlechterungleichheit hatten im Durchschnitt größere Brain-Age-Gaps als Männer.

Personalisierte Medizin

Neben diesen Faktoren weist Hachinski darauf hin, dass die Gehirnfunktion allein nicht ausreicht, um die Gesundheit eines Gehirns zu messen. Andere Gesundheitsprobleme wie Depressionen oder Angststörungen könnten trotz guter Konnektivität vorliegen. Ibáñez und sein Team arbeiten nun daran, das Gehirnalter in weiteren Ländern zu untersuchen, um den Einfluss von nationalem Einkommen und anderen Faktoren zu verstehen.

Dazu vergleichen sie Gehirnalter-Daten aus asiatischen Ländern und den USA und fügen Informationen von sogenannten „epigenetischen Uhren“ hinzu, die das biologische Alter anhand chemischer Veränderungen der DNA messen. Ibáñez hofft, dass diese Daten schließlich zu personalisierten Ansätzen in der Medizin führen, die die gesamte biologische Vielfalt der menschlichen Gehirne berücksichtigen.

Wir müssen diese Vielfalt verstehen. Ohne dieses Wissen können wir keine wirklich globale Wissenschaft der Demenz entwickeln.

Agustín Ibáñez

Was du dir merken solltest:

  • Die „Gehirnuhr“ zeigt, dass Umweltfaktoren wie soziale Ungleichheit und Luftverschmutzung das Gehirnalter beeinflussen; in Ländern mit großen Ungleichheiten, besonders in Lateinamerika, schreitet das Gehirnalter somit schneller voran.
  • Forscher berechneten die „Brain-Age-Gap“, die bei Menschen mit Alzheimer oder in Regionen mit schlechter Gesundheitsversorgung, vor allem bei Frauen, größer ausfiel.
  • Zukünftige Studien sollen personalisierte Medizinansätze entwickeln, die die Vielfalt der Gehirnalter in verschiedenen Ländern berücksichtigen, um Demenz besser zu verstehen.

Übrigens: Forscher entdeckten Mikroplastik im Gehirngewebe von Menschen, das möglicherweise über die Nase in den Körper gelangt ist. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Vecteezy

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