Gedächtnis unter Stress: Warum wir Gefahr sehen, wo keine ist
Stress stört die Gedächtnisbildung und lässt sichere Situationen bedrohlich wirken. Neue Forschung zeigt, wie das Gehirn darauf reagiert.
Stress verändert, wie das Gehirn Erinnerungen verarbeitet, und beeinträchtigt damit die Gedächtnisbildung. Eine in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass Mäuse unter Stress größere Neuronenbündel, sogenannte Engramme, bilden. Diese überdimensionierten Strukturen erschweren es den Tieren, zwischen sicheren und gefährlichen Situationen zu unterscheiden. Wissenschaftler vermuten, dass ein ähnlicher Mechanismus auch beim Menschen dazu führen könnte, dass gestresste Personen selbst in vermeintlich sicheren Umgebungen ein Bedrohungsgefühl entwickeln. Diese Erkenntnis ist besonders bedeutsam, da sie helfen könnte, die zugrunde liegenden Ursachen von Angststörungen besser zu verstehen.
Seit Langem ist bekannt, dass Stress und Traumata bei Menschen Angstreaktionen hervorrufen können, die weit über die ursprüngliche Gefahr hinausgehen. Ein gestresster Mensch, der sich an einer heißen Pfanne verbrennt, könnte künftig nicht nur heiße Pfannen meiden, sondern das gesamte Kochen oder die Küche selbst. Solche generalisierten Ängste sind charakteristisch für Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) oder generalisierter Angststörung (anhaltende irrationale Angst) und zeigen, wie stark der Einfluss von Stress auf das tägliche Leben sein kann.
Gedächtnisbildung unter Stress
Stress verändert grundlegend, wie das Gehirn Erinnerungen speichert, besonders in der Amygdala, die Emotionen und Stress verarbeitet. Normalerweise werden Erinnerungen in kleinen Gruppen von Neuronen, den Engrammen, organisiert. Bei gestressten Tieren hingegen entstehen größere Engramme – unabhängig davon, ob ein Reiz neutral oder bedrohlich ist.
Die Forschung zeigt drei zentrale Schritte:
- Unter Stress bilden sich größere Engramme sowohl bei neutralen als auch bei ängstlichen Reizen.
- Diese Engramme werden bei beiden Reizarten aktiviert.
- Dadurch fällt es schwer, sichere von bedrohlichen Situationen zu unterscheiden.
Experiment bestätigt die Wirkung von Stress
In einem Experiment setzten Wissenschaftler Mäuse gezielt unter Stress, indem sie das Hormon Corticosteron injizierten oder sie für 30 Minuten in engen Röhren fixierten. Danach wurden die Mäuse zwei Reizen ausgesetzt: einem neutralen Ton und einem ängstlichen Ton, der mit einem leichten Stromschlag verbunden war.
Während nicht gestresste Mäuse nur auf den ängstlichen Ton reagierten, erstarrten gestresste Tiere bei beiden Tönen. Die Mäuse konnten laut Nature die Erlebnisse nicht mehr differenziert abspeichern.
Chemische Prozesse im Gehirn erklären das Phänomen
Die Forscher untersuchten, warum Stress diese Veränderungen auslöst. Unter normalen Bedingungen sorgt ein Neurotransmitter namens GABA dafür, dass nur wenige Neuronen an der Gedächtnisbildung beteiligt sind. Doch Stress aktiviert sogenannte Endocannabinoide, die die Wirkung von GABA blockieren.
Neurowissenschaftlerin Sheena Josselyn beschreibt es so: „Es ist, als ob die Samtkordel eines exklusiven Clubs fällt und plötzlich alle Neuronen eintreten dürfen.“ Diese fehlende Kontrolle führt zu den überdimensionierten Engrammen, die Angstreaktionen bei harmlosen Reizen hervorrufen können.
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Neue Hoffnung durch Medikamente
Die Studie bietet auch Ansätze für mögliche Therapien. Zwei getestete Medikamente konnten die negativen Effekte von Stress auf das Gedächtnis umkehren. Eines davon, Mifepriston, blockiert die Rezeptoren für Stresshormone. Allerdings funktionieren diese Mittel nur, wenn sie direkt bei der Entstehung der Erinnerung verabreicht werden. Ihre Anwendung bei Menschen ist daher begrenzt.
Was du dir merken solltest:
- Stress verändert die Gedächtnisbildung, indem er größere Neuronenbündel (Engramme) bildet, die sichere und gefährliche Situationen ununterscheidbar machen.
- Dies führt bei Menschen oft zu irrationalen Angstreaktionen in eigentlich sicheren Umgebungen, was für Angststörungen wie PTBS typisch ist.
- Die Forschung zeigt, dass gestörte chemische Prozesse in der Amygdala diese Veränderungen auslösen, was Ansätze für mögliche Therapien liefern könnte.
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Bild: © Pexels
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