Unsere Mitbewohner beeinflussen unseren Darm – weil wir Bakterien teilen

Wer zusammenlebt, teilt mehr als Räume: Auch Darmbakterien wechseln den Wirt und beeinflussen Verdauung und Abwehr – sagt eine Rattenstudie.

Mitbewohner am Küchentisch

Mit seinen Mitbewohnern teilt man mehr als Küche und Bad – auch Darmbakterien gehören dazu. © Pexels

Der Darm reagiert sensibel auf das Leben, das Menschen führen. Ernährung, Medikamente und Bewegung gelten seit Langem als prägende Faktoren für das Mikrobiom. Doch neue Forschung legt nun nahe, dass noch ein weiterer Einfluss Spuren hinterlässt: das enge Zusammenleben mit anderen. Wer Küche, Bad und Sofa teilt, teilt offenbar mehr als Räume und Routinen – auch Darmbakterien wandern zwischen Menschen und können biologische Effekte verstärken, die bislang als strikt individuell galten.

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Gene dabei nicht an der eigenen Körpergrenze Halt machen. Sie beeinflussen zwar nicht direkt andere Menschen, wohl aber die Mikroorganismen, die zwischen ihnen zirkulieren. Gelangen solche Bakterien in den Darm eines anderen, können sie dort weiterwirken – etwa indem sie Verdauung, Immunreaktionen oder das Gleichgewicht anderer Mikroben beeinflussen. Auf diesem Weg können genetische Effekte indirekt weiterreichen, ohne dass sich die Gene selbst verändern.

Gene wirken auch über das Zusammenleben im Darmmikrobiom

Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen Genetik und Darmflora in einer groß angelegten Studie mit mehr als 4.000 Laborratten. Ein Forscherteam des Center for Genomic Regulation und der University of California San Diego analysierte Tiere aus vier voneinander getrennten Gruppen an verschiedenen Standorten in den USA. Alle Ratten erhielten vergleichbare Nahrung und lebten unter ähnlichen Bedingungen. Auf diese Weise ließen sich Umweltfaktoren weitgehend kontrollieren – ein entscheidender Vorteil gegenüber Studien am Menschen.

Die Auswertung bestätigte zunächst bekannte Muster. Bestimmte Gene beeinflussten klar, welche Bakterien im Darm besonders häufig vorkamen. Neu war jedoch ein zusätzlicher Effekt. Die Zusammensetzung des Mikrobioms hing nicht nur von den eigenen Genen ab. Auch die genetische Ausstattung der Tiere, mit denen eine Ratte zusammenlebte, spielte eine messbare Rolle. Der Grund liegt im Austausch von Mikroorganismen. Gene bleiben im Körper. Darmbakterien hingegen können zwischen Individuen weitergegeben werden und dort biologische Prozesse mitprägen.

Geteilte Mikroben verstärken genetische Effekte

Einige Gene begünstigen das Wachstum bestimmter Bakterienarten. Diese Mikroben können sich durch engen Kontakt oder eine gemeinsame Umgebung verbreiten. Auf diese Weise entstehen indirekte genetische Effekte. Fachleute sprechen von sozialen oder indirekten genetischen Einflüssen. Sie beruhen nicht auf vererbtem Erbgut, sondern darauf, dass genetisch geprägte Mikroben ihre Wirkung im nächsten Organismus fortsetzen.

Für den Einzelnen bedeutet das: Körperliche Abläufe können sich leicht verschieben, obwohl die eigenen Gene unverändert bleiben. Der Darm reagiert dann nicht nur auf die eigene genetische Ausstattung, sondern auch auf Bakterien, die aus dem sozialen Umfeld stammen.

Warum Mitbewohner Gene indirekt weitertragen

Solche Effekte sind aus anderen biologischen Zusammenhängen bekannt. Klassisch ist etwa der Einfluss der Gene einer Mutter auf Wachstum oder Immunsystem des Nachwuchses über die Umgebung, die sie schafft. Neu an der aktuellen Studie ist, dass sich vergleichbare Effekte auch zwischen gleichrangigen Individuen zeigen – vermittelt über das Mikrobiom.

Möglich wurde dieser Befund durch ein spezielles Rechenmodell. Es erlaubte erstmals, den Einfluss der eigenen Gene von dem der Mitbewohner statistisch zu trennen. Sobald diese indirekten Effekte berücksichtigt wurden, nahm der gemessene genetische Einfluss deutlich zu. Bei Bakterien aus der Familie Muribaculaceae stieg er um das Vier- bis Achtfache. Klassische Modelle hätten diesen Zusammenhang klar unterschätzt.

„Das ist kein ungewöhnlicher Spezialfall, sondern vermutlich ein grundlegender biologischer Effekt“, sagt Dr. Amelie Baud, Hauptautorin der Studie und Forscherin am Center for Genomic Regulation. „Wir haben wahrscheinlich erst die Spitze des Eisbergs entdeckt.“

Drei genetische Schaltstellen im Darm

Insgesamt identifizierte die Studie drei genetische Regionen, die den Bestand bestimmter Darmbakterien verlässlich beeinflussten – unabhängig vom Haltungsort der Tiere. Der stärkste Zusammenhang betraf das Gen St6galnac1. Es steuert, wie Zuckerbausteine an die Schleimschicht des Darms gebunden werden. Diese Schicht schützt die Darmwand. Gleichzeitig dient sie manchen Mikroben als Nahrungsquelle.

Ratten mit einer bestimmten Variante dieses Gens trugen besonders viele Bakterien der Gattung Paraprevotella im Darm. Dieser Befund zeigte sich konsistent in allen vier untersuchten Gruppen. Eine zweite Genregion umfasste mehrere sogenannte Mucin-Gene, die an der Bildung der Schleimschicht beteiligt sind und mit Bakterien aus der Gruppe der Firmicutes zusammenhingen. Die dritte Region enthielt ein Gen für ein antibakterielles Molekül und beeinflusste ebenfalls Muribaculaceae, eine Bakterienfamilie, die nicht nur bei Nagetieren vorkommt, sondern auch beim Menschen.

Hinweise auf ähnliche Mechanismen beim Menschen

Beim Menschen lässt sich bislang nur schwer zeigen, wie stark Gene die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflussen. Verlässlich bekannt sind bisher nur wenige Beispiele. So entscheidet das Laktase-Gen darüber, ob Erwachsene Milch gut vertragen – und damit auch darüber, welche Bakterien im Darm wachsen. Auch die Blutgruppe spielt eine Rolle, vermutlich weil sie die Oberfläche von Zellen im Darm verändert.

Das bei Ratten gefundene Gen steuert, wie Zucker an die Schleimschicht des Darms gebunden werden. Ein sehr ähnliches Gen gibt es auch beim Menschen. Frühere Untersuchungen bringen es ebenfalls mit bestimmten Darmbakterien in Verbindung. Das spricht dafür, dass vergleichbare biologische Prozesse auch im menschlichen Darm ablaufen könnten.

Gleichzeitig mahnen die Forscher zur Vorsicht. Die Ergebnisse stammen aus einem Tiermodell unter streng kontrollierten Bedingungen. Ob und wie stark solche Effekte beim Menschen auftreten, müssen weitere Studien zeigen.

Kurz zusammengefasst:

  • Nähe wirkt im Darm: Wer mit anderen zusammenlebt, teilt unbemerkt Darmbakterien, die Verdauung und Abwehr beeinflussen – ohne dass sich die eigenen Gene verändern.
  • Gene wirken über Bakterien: Gene bestimmen, welche Bakterien im Darm gut wachsen; werden Mikroben weitergegeben, wirken sie auch im Körper anderer weiter.
  • Warum das zählt: Gesundheit hängt nicht nur von den eigenen Genen ab, sondern auch vom sozialen Umfeld, das über geteilte Bakterien mitprägt.

Übrigens: Der Darm erneuert sich ständig – doch mit dem Alter gerät dieser Prozess aus dem Gleichgewicht, wie neue Forschung zeigt. Warum bestimmte Darmbereiche schneller altern und was das für Krankheiten bedeutet – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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