Gestresste Wissenschaftler: Akademiker haben schlechtere mentale Gesundheit als Allgemeinbevölkerung

Es steht schlecht um die mentale Gesundheit vieler Wissenschaftler: Immenser Stress, Mobbing und Belästigung sind nur ein paar Gründe dafür.

Mentale Gesundheit Wissenschaftler

Hoher Stress, mangelnde Zukunftsperspektiven und Mobbing: Um die mentale Gesundheit ist es in akademischen Kreisen besonders schlecht bestellt. © Vecteezy

An der Universität Zürich versammeln sich Forscher um Yoga-Matten, angeleitet von der Gesundheitspsychologin Annika Martin: Ihr Kurs ist Teil einer breiten Initiative, um die mentale Gesundheit der Studenten, Doktoranten und Wissenschaftler zu verbessern.

Mit Übungen wie der „Wilden Gans, die Wasser trinkt“, basierend auf tantrischer buddhistischer Praxis, beginnen sie ihren Tag. Viele der Teilnehmer sind skeptisch, da sie bisher wenig Erfahrung mit Yoga gemacht haben. Martin führt sie über das Semester hinweg in verschiedene Techniken zur Stressbewältigung ein, darunter Meditation, progressive Muskelentspannung und Tagebuchführung. Denn Studenten und junge Forscher stehen unter enormem Druck: Viele von ihnen arbeiten für niedrige Löhne, müssen häufig umziehen und haben unsichere Zukunftsperspektiven, schreibt Shannon Hall im Fachmagazin Nature. Selbst erfahrene Wissenschaftler stehen unter erheblichem Stress und sind oft von sexueller Belästigung, Diskriminierung und Mobbing betroffen. Dies führt dazu, dass Akademiker häufiger unter Depressionen und Angstzuständen leiden als die Allgemeinbevölkerung.

Einige Universitäten, wie die Universität Zürich, bieten nun Kurse an, um diese Probleme zu bekämpfen. Neben Martins „Achtsamkeit und Meditation“-Kurs gibt es Programme zur Resilienzbildung und Schulungen für Betreuer von Doktoranden. Diese Kurse sind sehr gefragt, wie Eric Alms, Programmmanager an der Universität Zürich, berichtet: „Wir haben weit mehr Anmeldungen als Kursplätze.“ Dies zeige, wie dringend diese Angebote benötigt werden.

Wie steht es um die mentale Gesundheit in der Wissenschaft?

Untersuchungen verdeutlichen das Ausmaß der Krise: Eine Umfrage des Wellcome Trusts aus dem Jahr 2020 ergab, dass 70 Prozent der befragten Forscher an einem durchschnittlichen Arbeitstag gestresst seien. Der Druck, zu publizieren, sei so groß, dass viele von ihnen 50 bis 60 Stunden pro Woche bei niedrigem Gehalt und ohne eine sichere Zukunftsperspektive arbeiten. Nur 41 Prozent der Forscher mittlerer Karrierestufen und 31 Prozent der Nachwuchsforscher seien mit ihren Karriereaussichten zufrieden.

Eine weitere Umfrage von Cactus Communications analysierte 2020 die Meinungen von 13.000 Forschern aus über 160 Ländern und stellte fest, dass 37 Prozent der Wissenschaftler Diskriminierung, sexuelle Belästigung oder Mobbing erlebten. Besonders betroffen seien unterrepräsentierte Gruppen: 42 Prozent der befragten Frauen, 45 Prozent der homosexuellen und 60 Prozent der Forscher, die People of Color sind, berichteten von solchen Erfahrungen.

Hoffnung auf Verbesserung

Experten sehen jedoch Anzeichen für einen Wandel: Neben der Universität Zürich bieten auch andere Institutionen Kurse zu mentaler Gesundheit an. Das Imperial College London führt mehr als zwei Dutzend Kurse und Workshops zu Themen wie Menstruationsgesundheit und saisonale Depressionen durch, einige dieser Programme entstanden als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie. Ines Perpetuo vom Imperial College London erklärt: „Während der Pandemie wurde das wahre Ausmaß der mentalen Gesundheitskrise in der Wissenschaft sichtbar und möglicherweise durch die Lockdowns verschärft.“

Initiativen von Studenten und Postdoktoranden

Einige der Veränderungen wurden von den Studenten und Postdoktoranden selbst initiiert. Yaniv Yacoby, damals Doktorand in Informatik an der Harvard University, hat einen Kurs entwickelt, der Studenten dabei helfen soll, in der Wissenschaft erfolgreich zu sein und eine inklusive Gemeinschaft zu schaffen – ein Kurs, wie er inzwischen auch an der Cornell University in Ithaca, New York und an der University of Washington angeboten wird. Yacoby arbeitet zudem mit anderen Universitäten zusammen, um ähnliche Workshops zu entwickeln und Gespräche über mentale Gesundheit im akademischen Bereich zu normalisieren.

Jessica Noviello vom NASA Goddard Space Flight Center hat wiederum eine Workshop-Reihe geschaffen, um die Jobsicherheit von Wissenschaftlern zu verbessern. Ihr Programm PAWS bietet Workshops und Podiumsdiskussionen zu Karrieremöglichkeiten außerhalb der Wissenschaft an. PAWS wurde zwar nicht primär zur Verbesserung der mentalen Gesundheit entwickelt, wie Noviello auch selbst betont, soll aber durch den Aufbau einer unterstützenden Gemeinschaft indirekt dazu beitragen.

Aber reichen diese Maßnahmen auch aus? Melanie Anne-Atkins, klinische Psychologin an der University of Guelph, kritisiert das Fehlen nachhaltiger Veränderung. Etwaige Pläne würden oft wieder verworfen werden, vor allem aus Kostengründen.

Viele Universitäten setzen nach meinen Workshops keine nachhaltigen Maßnahmen um.

Melanie Anne-Atkins

David Trang, Planetologe und angehender Berater für mentale Gesundheit, stimmt zu und betont, dass Wissenschaftler oft wenig Anreize haben, systemische Veränderungen voranzutreiben.

Sich um mentale Gesundheit zu kümmern und sich für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion einzusetzen, wird Wissenschaftlern nicht bei ihrem Fortschritt in der Wissenschaft helfen.

David Trang

Verbesserte Arbeitsbedingungen und Lernumgebungen

Eine Umfrage der National Science Foundation in den USA ergab, dass mehr als ein Viertel der befragten Doktoranden unter Ernährungs- oder Wohnunsicherheit leidet. Gewerkschaftsbewegungen in den USA haben bereits zu Gehaltserhöhungen und zusätzlichen Leistungen wie Kinderbetreuung geführt. Aber auch außerhalb der Vereinigten Staaten gibt es in akademischen Zirkeln ähnliche Bestrebungen. An der International Max Planck Research School for Intelligent Systems (IMPRS-IS) in München erkämpften Doktoranden nach einer Umfrage über ihre finanzielle Situation eine Gehaltserhöhung.

Institutionen wie das Imperial College London haben auch ihre Lernumgebungen verbessert: Neue Gemeinschaftsräume sollen den Austausch zwischen Akademikern und ihre mentale Gesundheit fördern. Zudem bieten sie Rückzugsorte, um persönliche Beziehungen zu stärken.

Das IMPRS-IS organisiert derweil ebenfalls „Bootcamps“ und Rückzugsorte für Doktoranden und Dozenten, die Raum für persönliche und wissenschaftliche Gespräche bieten sollen. Ein jährlicher Check-in soll es den Studenten zudem ermöglichen, Probleme offen anzusprechen und Unterstützung zu erhalten. Zukünftige Umfragen sollen die mentale Gesundheit der Studenten weiter erfassen und zu ihrer Verbesserung genutzt werden. Hier gilt die gute alte wissenschaftliche Methode:

Ohne das Messen des Problems können wir keine Veränderungen nachweisen.

Desiree Dickerson

Was du dir merken solltest:

  • Immer mehr Universitäten weltweit bieten Kurse zur Stressbewältigung an, um der Krise zum Thema „Mentale Gesundheit der Wissenschaftler“ entgegenzuwirken.
  • Studien zeigen, dass viele Forscher nicht nur hohen Druck erfahren, sondern auch Diskriminierung und Mobbing erleben – dies gilt insbesondere für Personen, die im akademischen Rahmen bereits unterrepräsentierten Gruppen angehören.
  • Neue Programme und Initiativen, die oft von Studenten und Postdoktoranten initiiert wurden, zielen darauf ab, die Arbeitsbedingungen und das Wohlbefinden von Wissenschaftlern zu verbessern.

Bild: © Vecteezy

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