Zu spät ins Bett? – Schon eine Stunde weniger Schlaf kann dicker machen
Wer zu wenig schläft, nimmt schwerer ab: Studien zeigen, dass schon eine Stunde weniger Schlaf den Stoffwechsel und das Sättigungsgefühl stört.

Menschen, die regelmäßig spät ins Bett gehen, zeigen laut Studien messbare Veränderungen im Stoffwechsel – selbst bei unveränderter Ernährung. © Unsplash
Viele halten Disziplin für den Schlüssel zum Abnehmen – weniger essen, mehr bewegen, Kalorien zählen. Doch wie gut das gelingt, hängt auch davon ab, wie wir schlafen. Studien zeigen, dass Dauer und Zeitpunkt des Schlafs den Stoffwechsel stark beeinflussen: Wer regelmäßig zu spät ins Bett geht, hat es beim Abnehmen schwerer und setzt mit der Zeit mehr Körperfett an.
Das betrifft Millionen Menschen in Deutschland. Beruf, Familie, Streaming oder Smartphone schieben die Bettzeit immer weiter nach hinten. Laut der Techniker Krankenkasse schlafen über 40 Prozent der Erwachsenen weniger als sieben Stunden pro Nacht. Neue wissenschaftliche Daten zeigen nun, dass jede Stunde, die man später schlafen geht und später aufsteht, den Körperfettanteil messbar erhöht.
Früher Schlaf hilft beim Abnehmen
Die bislang genaueste Untersuchung dazu stammt von der Ernährungswissenschaftlerin Elizabeth A. Thomas von der University of California. Sie veröffentlichte ihre Ergebnisse 2021 im Fachjournal Nutrients. In ihrer Studie wurden 83 übergewichtige Erwachsene über mehrere Tage mit Aktivitätsarmbändern und Ernährungsprotokollen beobachtet. Das Ergebnis war eindeutig: Mit jeder Stunde, die die Teilnehmer später ins Bett gingen und später aufstanden, erhöhte sich ihr Körperfettanteil im Durchschnitt um 1,64 Prozentpunkte.
Die Forscher konnten diesen Effekt auch dann noch nachweisen, wenn Kalorienzufuhr und Bewegung statistisch herausgerechnet wurden. Entscheidend war also nicht nur, wie lange jemand schlief – sondern wann. Wer später schlafen ging, hatte häufiger einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, aß unregelmäßiger und bewegte sich tagsüber weniger.
Charité-Experte Fietze: Schlaf steuert den Stoffwechsel
Genau diesen Punkt beschreibt der Berliner Schlafmediziner Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité, in einem Beitrag für die WELT. Er gilt als einer der führenden deutschen Experten für Schlaf und Stoffwechsel und ordnet die neuen Studienergebnisse in den größeren Zusammenhang seiner Forschung ein. Für Fietze ist klar: „Schlaf ist kein Luxus, sondern Teil des Stoffwechsels. Er beeinflusst Hormone, Verdauung, Blutzucker und die Fähigkeit des Körpers, Fett zu verbrennen.“
In seiner täglichen Arbeit beobachtet Fietze, dass viele Menschen den Schlaf als passiven Zustand unterschätzen – dabei steuere er zahlreiche biochemische Prozesse, die über Gewichtszunahme oder Abnehmerfolg entscheiden. Wer regelmäßig zu spät ins Bett geht, bringe diesen fein abgestimmten Rhythmus aus dem Gleichgewicht.
Wie Schlaf den Appetit steuert
Warum zu spätes Schlafengehen so deutlich auf den Bauchumfang wirkt, lässt sich inzwischen auch biologisch erklären:
- Hormonverschiebung: Schlafmangel senkt den Spiegel des Sättigungshormons GLP-1 und erhöht das Hungerhormon Ghrelin. Folge: Wer müde ist, fühlt sich seltener satt.
- Belohnungszentrum im Gehirn: Nach kurzen Nächten reagieren bestimmte Hirnregionen stärker auf Bilder von Pizza, Kuchen oder Chips. Der Körper verlangt nach schnellen Kalorien.
- Energieverbrauch: Müdigkeit reduziert unbewusst die Alltagsbewegung. Schon kleine Einbußen summieren sich – über Wochen entsteht ein messbares Kalorienplus.
Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang bei jungen Menschen. Jugendliche und junge Erwachsene, die regelmäßig spät ins Bett gehen, haben im Schnitt einen höheren Body-Mass-Index und mehr Körperfett als Gleichaltrige mit frühem Schlafrhythmus.
Wenn Schlafmangel den Stoffwechsel kippt
Neben Hunger und Appetit leidet auch die Zuckerregulation. Zu kurzer oder unregelmäßiger Schlaf verringert die Insulinsensitivität der Zellen – Glukose bleibt im Blut, der Blutzuckerspiegel steigt. Auf Dauer begünstigt das Übergewicht, Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes.
Wie stark sich Schlafmangel auswirkt, zeigen mehrere Studien:
- In einer prospektiven Beobachtung über sechs Jahre, der Quebec Family Study, nahmen Erwachsene mit weniger als sechs Stunden Schlaf im Durchschnitt rund 1,5 Kilogramm mehr zu als Personen mit ausreichender Nachtruhe.
- Kurzzeitexperimente belegen, dass Schlafmangel die Kalorienaufnahme messbar erhöht. In einer Laborstudie der Columbia University stieg der tägliche Energieverbrauch um etwa 300 Kilokalorien, wenn Probanden nur vier Stunden schliefen.
- Ähnliche Effekte fanden Forscher der University of Chicago: Nach zwei Wochen mit fünf Stunden Schlaf pro Nacht lag die tägliche Energieaufnahme um über 500 Kilokalorien höher.
Der Körper reagiert dabei wie auf Stress: Er produziert mehr Cortisol, speichert Energie in Form von Fett und bevorzugt kohlenhydratreiche Snacks. „Schlafmangel verändert unsere innere Biochemie so, dass der Körper ständig auf Vorrat lebt“, erklärt Fietze.
Schlafrhythmus und Darmgesundheit
Interessant ist auch der Blick auf Kinder. Eine Studie aus China mit 88 Teilnehmern zwischen zwei und 14 Jahren zeigte, dass jene, die vor 21.30 Uhr ins Bett gingen, eine gesündere Darmflora aufwiesen: mehr nützliche Bakterien, weniger entzündungsfördernde Arten. Später Schlaf war dagegen mit Mikrobenmustern verbunden, die bei Erwachsenen oft mit Fettleibigkeit einhergehen.
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Schlafrhythmus und Ernährung tiefer miteinander verwoben sind, als lange angenommen. Was und wann wir essen, beeinflusst, wie gut wir schlafen – und umgekehrt bestimmt der Schlaf, wie unser Körper mit Nahrung umgeht.
Kurz zusammengefasst:
- Schlaf beeinflusst den Stoffwechsel stärker, als viele denken: Schon eine Stunde weniger Schlaf kann den Körperfettanteil erhöhen und das Abnehmen erschweren.
- Zu spätes Schlafengehen stört Hormonrhythmen – Hungerhormone steigen, Sättigungshormone sinken, der Appetit auf Süßes und Fettiges nimmt zu.
- Studien belegen, dass Schlafdauer und -zeitpunkt messbar über den Energiehaushalt entscheiden und so ein entscheidender Faktor für das Körpergewicht sind.
Übrigens: Nicht nur der Körper, auch das Gehirn reagiert empfindlich auf Schlafmangel. Nach Mitternacht verändert sich seine Aktivität – Kontrolle und Urteilsvermögen sinken, Emotionen übernehmen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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