„Kauf dich unglücklich“ – Wenn der Preis für Konsum Gesundheit und Lebensfreude ist
Übermäßiger Konsum hinterlässt Spuren – er belastet die Seele und gefährdet die körperliche Gesundheit.

Wie stark trägt Konsum tatsächlich zum Wohlbefinden bei? © Pexels
Das neue Smartphone, der größere Fernseher, das moderne E-Bike – Materialismus bestimmt das Leben. Fast alles ist jederzeit verfügbar. Dennoch stellt sich bei vielen das Gefühl ein, dass etwas fehlt. Der Wunsch nach mehr wächst, doch echtes Wohlbefinden rückt in weite Ferne. Immer deutlicher zeigt sich: Einkaufen macht unglücklich. Ein Leben, das sich um Besitz dreht, kann belasten – seelisch wie körperlich.
Die Idee, dass menschliche Bedürfnisse unbegrenzt sind, prägt Wirtschaft und Werbung seit Jahrzehnten. Doch dieser Gedanke ist weniger ein Naturgesetz als vielmehr ein Konstrukt, das den Kapitalismus am Laufen hält. Schon in der Ausbildung von Volks- und Betriebswirten gilt: Wo Bedürfnisse grenzenlos sind, darf es auch keinen Mangel an Konsumgütern geben – Hauptsache, es gibt zahlende Kundschaft.
Werbung erzeugt künstliche Wünsche
Laut Telepolis geht es dabei nicht nur darum, echte Bedürfnisse zu stillen. Vielmehr arbeitet die Werbeindustrie daran, überhaupt erst neue Wünsche zu erzeugen – auch dann, wenn das Alte noch funktioniert. Dafür werden enorme Summen investiert. Im kommenden Jahr sollen weltweit über eine Billion US-Dollar für Werbung ausgegeben werden. Zum Vergleich: Laut der Organisation Oxfam würden 37 Milliarden Euro pro Jahr ausreichen, um den weltweiten Hunger zu beenden.
Der Erfinder der modernen PR, Edward Bernays, forderte schon in den 1920er-Jahren, die Menschen müssten lernen, Dinge zu begehren, bevor sie sie wirklich brauchen. Auch der US-Marketingexperte Victor Lebow sagte: „Wir müssen konsumieren, verbrauchen, abtragen und ersetzen, und das in ständig wachsendem Maß.“
Materialismus verbreitet sich vor allem bei Jüngeren
Die Psychologen Ed Diener und Robert Biswas-Diener definieren das Konsumbestreben als Materialismus:
Materialismus bedeutet einfach ausgedrückt, dass man sich mehr nach Geld und materiellen Gütern sehnt als nach anderen Dingen, wie Liebe oder Freizeit.
Laut Telepolis zeigen Studien: Diese Haltung nimmt zu. Während es früher nur für eine Minderheit wichtig war, reich zu werden, ist es heute für rund drei Viertel der Generation Y – also Menschen, die zwischen 1980 und 1995 geboren wurden – ein zentrales Lebensziel.
In Deutschland wollten sich 2014 fast drei Viertel der Studierenden „schöne Dinge leisten können“. 1995 war das laut Telepolis nur für ein Drittel ein wichtiges Motiv fürs Studium.
Gesundheit leidet unter der Jagd nach Besitz
Wer materialistisch lebt, hat laut Telepolis ein höheres Risiko für körperliche und seelische Probleme. Studien zeigen: Eine solche Lebenseinstellung steht in Zusammenhang mit Depressionen, Angststörungen, Schlafproblemen und schlechteren Beziehungen zu anderen Menschen. Auch das Selbstwertgefühl sinkt, das allgemeine Wohlbefinden nimmt ab.
Besonders spannend: Der Lebensstil beeinflusst sogar unsere Gene. Ein junger Forschungszweig – bekannt als Social Genomics – untersucht, wie Gedanken, Gefühle und soziale Erfahrungen genetische Prozesse beeinflussen.
Der Arzt und Psychiater Joachim Bauer nennt die Erkenntnis, dass die innere Einstellung gegenüber dem Leben und anderen Menschen die Genaktivität und somit das Krankheitsrisiko verändert, eine „echte Sensation“. Eine materialistische Lebenseinstellung aktiviert jene Gene, die stille Entzündungsprozesse fördern. Diese gelten als Risikofaktoren für schwere Erkrankungen. Der Psychoanalytiker Erich Fromm hatte bereits früh davor gewarnt: Eine Wirtschaft, die auf ständiger Bedürfnissteigerung basiert, funktioniere nur „zu dem Preis kranker Menschen“.
Warum Konsum nicht dauerhaft glücklich macht
Ein weiterer Grund für die Unzufriedenheit liegt in einem psychologischen Effekt namens „hedonistische Anpassung“. Er beschreibt, wie sich Menschen schnell an neue Lebensumstände gewöhnen – auch an positive. Ein neues Auto oder ein größeres Haus macht nur kurz glücklich. Schon nach kurzer Zeit ist man wieder genauso unzufrieden wie vorher.
Die Autorin Celeste Headlee erklärt: „Auch nach einer großen Gehaltserhöhung oder dem Umzug ins Traumhaus kehren wir emotional oft zum alten Ausgangspunkt zurück.“
Unzufriedenheit als Teil des Systems
Laut Telepolis ist das kein Zufall. Schon 1929 sagte der US-Unternehmer Charles Kettering: „Halten Sie den Kunden unzufrieden.“ Denn nur wer sich unvollständig fühlt, kauft weiter. Geraint Anderson, ein früherer Börsenhändler und Kolumnist in London, sagt es heute so:
Der Trick ist, die Menschen unzufrieden zu machen – damit sie ihr Geld ausgeben, um wieder glücklicher zu werden.
Geraint Anderson
Dahinter steckt ein System, das gezielt mit dem Gefühl von Mangel arbeitet – selbst dann, wenn es eigentlich keinen Mangel gibt.
Materialismus als Risiko für Körper und Seele
Materialismus gilt gesellschaftlich oft als normal – doch laut Telepolis sprechen die Fakten eine andere Sprache. Die negativen Effekte betreffen sowohl die psychische als auch die körperliche Ebene. Der Philosoph Richard David Precht bringt es auf den Punkt:
Wir leben in einer Bedarfserweckungsgesellschaft anstatt einer Bedarfsdeckungsgesellschaft.
Richard David Precht
Die Konsequenz: Ein System, das auf künstlich erzeugte Bedürfnisse setzt, begünstigt Unzufriedenheit, Stress und langfristige Erkrankungen. Wer konsumiert, um glücklich zu werden, gerät schnell in einen Kreislauf, der das Gegenteil bewirkt.
Kurz zusammengefasst:
- Eine materialistische Lebenseinstellung, bei der Geld und Besitz im Mittelpunkt stehen, erhöht das Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen.
- Werbung erzeugt gezielt neue Wünsche, um dauerhafte Unzufriedenheit zu schaffen – ein Prinzip, das den Kapitalismus antreibt und Konsumverhalten steuert.
- Studien zeigen: Materialismus wirkt sich nicht nur auf das Wohlbefinden aus, sondern verändert auch die Aktivität bestimmter Gene, die mit schweren Krankheiten in Verbindung stehen. Einkaufen macht also nicht nur unglücklich, sondern sogar krank.
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