Grund für Aussterben? Neandertaler-Kinder hatten mehr Stress

Eine Studie der Uni Tübingen zeigt, dass Neandertaler und frühe moderne Menschen vermutlich unterschiedlich gut mit Stress umgegangen sind.

Neandertaler

Naturhistorisches Museum, Wien. Rekonstruktion von Neandertalern: Neandertalerkinder konnten wohl schlechter mit Stress umgehen als Homo-sapiens-Kinder. © Wikimedia

Forscher der Universität Tübingen haben die größte Untersuchung von Zahnschmelzdefekten bei Neandertalern und frühen modernen Menschen durchgeführt. Das Ziel war, Unterschiede in den Stressmustern während der Kindheit zu erkennen und so womöglich Rückschlüsse auf das Aussterben der Neandertaler zu schließen.

Warum sind die Neandertaler ausgestorben? Über die Jahre kursierten in der Forschung bereits zahlreiche Theorien, die das Verschwinden des Neandertalers zu erklären versuchten. Manche davon wahrscheinlicher als andere. Von Klimaschwankungen und dem Ausbruch eines Supervulkans bis hin zu einem regelrechten Krieg zwischen Homo sapiens und Neandertaler wurde bereits vieles diskutiert.

Was Zähne alles verraten können

Die Studie, bei der insgesamt 867 Zähne von 176 Individuen aus 56 Fundorten in Westeurasien analysiert wurden, verwendet erstmals umfassende bayessche Modelle, um die Häufigkeit von Zahnschmelzhypoplasien zu bewerten. Diese Defekte im Zahnschmelz entstehen durch Wachstumsstörungen und dienen als Indikatoren für frühen Lebensstress. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sowohl Neandertaler als auch frühe moderne Menschen ähnliche Stressniveaus während der Kindheit erlebten, jedoch mit unterschiedlichen Mustern in ihrer Entwicklung.

Zahnschmelzhypoplasie tritt auf, wenn der Zahnschmelz während der Entwicklung dünner wird. Dies geschieht oft als Folge von Krankheiten, Mangelernährung oder Traumata. Solche Störungen werden in der Forschung verwendet, um stressige Perioden im Leben früher Menschen zu identifizieren. Mit Hilfe bayesscher Modelle konnten die Wissenschaftler die Wahrscheinlichkeit solcher Wachstumsstörungen präzise einschätzen.

Übrigens: Die Bayessche Statistik ist ein nach dem englischen Mathematiker Thomas Bayes benannter Zweig der Statistik, in dem Wahrscheinlichkeiten als Maß für die Glaubwürdigkeit einer Aussage betrachtet werden.

Die Studie zeigt, dass Neandertalerkinder eine steigende Wahrscheinlichkeit von Wachstumsstörungen ab dem Abstillen aufwiesen. Nach dem Beenden der Stillzeit erreichten diese ihren Höhepunkt. Bei Kindern des Homo sapiens aus dem Jungpaläolithikum (von vor rund 50.000 Jahren bis vor rund 12.000 Jahren) waren solche Störungen hauptsächlich auf die Zeit um das Abstillen herum beschränkt und nahmen danach deutlich ab.

Ähnliche Bedingungen, unterschiedliche Strategien

Trotz ähnlicher Umweltbedingungen, insbesondere während des Letzteiszeitlichen Maximums (dem Zeitraum, in dem die Vereisungen der letzten Eiszeit ihre größte Ausdehnung hatte), deuten die Ergebnisse darauf hin, dass frühe moderne Menschen möglicherweise effektivere Verhaltensstrategien zur Stressbewältigung entwickelten. Diese umfassten eine flexiblere und effizientere Ressourcennutzung sowie komplexere soziale Organisationen und Netzwerke, die ihnen einen Vorteil gegenüber den Neandertalern verschafften.

Die Untersuchung betont, dass frühere Studien, die Neandertaler als besonders stressgeplagt darstellten, möglicherweise zu einseitig waren. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass beide Gruppen ähnlichen Stressoren ausgesetzt waren – aber die Art und Weise, wie sie damit umgingen, variierte erheblich.

Was du dir merken solltest:

  • Forscher der Universität Tübingen haben in einer umfassenden Studie die Zahnschmelzdefekte von 867 Zähnen aus 56 Fundorten analysiert. Sie wollten die Kindheitsstressmuster von Neandertalern und frühen modernen Menschen vergleichen. Dadurch sollten mögliche Ursachen für das Aussterben der Neandertaler untersuchen werden.
  • Die Anwendung bayesscher Modelle enthüllte, dass beide Gruppen ähnliche Stressniveaus während ihrer Kindheit erlebten. Allerdings unterschieden sich diese aber in der zeitlichen Verteilung der Stressereignisse. Das deutet auf differenzierte Überlebensstrategien hin.
  • Während Neandertalerkinder erhöhte Stressphasen nach dem Abstillen zeigten, waren bei Homo-sapiens-Kindern solche Stressphasen vornehmlich auf die Zeit um das Abstillen herum beschränkt. Danach nahmen deutlich ab, was auf effektivere Anpassungsstrategien der frühen modernen Menschen schließen lässt.

Übrigens: Auch heutzutage haben viele Kinder mit Stress zu kämpfen, zeigen allerdings oft nicht direkt, was sie belastet. Was frühe Symptome psychischer Belastung bei Kindern sind und was Eltern tun können, erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Wolfgang Sauber via Wikimedia unter CC4-Lizenz

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