Wenn das Immunsystem die Nerven angreift: Neue Behandlungs-Ansätze bei Parkinson, Schlaganfall und Co.
Wenn das eigene Immunsystem Nerven angreift, drohen Schmerzen, Lähmungen und schwere Krankheiten wie Parkinson – Wissenschaftler des Uniklinikum Würzburg erforschen gezieltere Früherkennung und neue Behandlungswege.

Verliert das Immunsystem die Unterscheidung zwischen eigen und fremd, richtet es sich mit Autoantikörpern gegen den eigenen Körper. © Unsplash
Plötzlich kribbelt es in den Fingern, Muskeln fühlen sich schwach an, das Gehen fällt schwer. Was viele für harmlose Beschwerden halten, kann der Beginn einer schweren neurologischen Erkrankung sein. Wenn das Immunsystem den eigenen Körper nicht mehr erkennt, kann es dazu kommen, dass er das Nervensystem angreift – mit oft dramatischen Folgen.
Am Universitätsklinikum Würzburg erforschen drei Professorinnen und Professoren, wie eng das Immunsystem und das Nervensystem miteinander verbunden sind. Im Mittelpunkt stehen dabei Erkrankungen wie Parkinson, Immunneuropathien und auch Schlaganfälle. Ziel ist es, bessere Therapien zu finden, frühzeitig zu erkennen, wann der Körper eigene Nervenzellen attackiert – und das Fortschreiten solcher Erkrankungen aufzuhalten.
Nervenschäden durch das eigene Immunsystem
Die Neurologin Kathrin Doppler widmet sich einem besonders herausfordernden Gebiet: den Immunneuropathien. Hier richtet sich die körpereigene Abwehr gegen Nervenfasern im Körper. Typisch sind Lähmungen, Schmerzen, Muskelschwund oder ein Taubheitsgefühl in Armen und Beinen. Betroffene fühlen sich oft überfordert – denn die Beschwerden wirken diffus, entwickeln sich schleichend und bleiben lange unerkannt.
Doppler entdeckte mit ihrem Team den Antikörper Anti-Caspr1, der gezielt eine Struktur an Nervenfasern zerstört – sogenannte Ranviersche Schnürringe. Diese sind entscheidend für die Weiterleitung von elektrischen Signalen im Nervensystem. Fehlen sie, funktioniert die Kommunikation im Körper nicht mehr richtig. Inzwischen wird die autoimmune Nodopathie als eigenständige Krankheit anerkannt.

Hoffnung bei chronischen Nervenschmerzen
Doch Doppler geht weiter. Gemeinsam mit Carmen Villmann untersucht sie, wie ein anderer Antikörper – Anti-Caspr2 – bei manchen Patienten starke Nervenschmerzen auslöst. Die Schmerzen entstehen direkt im Gehirn – etwa bei einer sogenannten Enzephalitis. Ziel der Studien ist es, herauszufinden, wie sich diese Schmerzen stoppen lassen. „Patientinnen und Patienten mit einer Anti-Caspr2-Enzephalitis sind eingeladen, an unserer Forschung teilzunehmen“, sagt Doppler.
Für Betroffene, bei denen kein Schmerzmittel hilft, bietet diese Forschung einen konkreten Hoffnungsschimmer – gerade wenn die Beschwerden das Leben massiv einschränken.
Parkinson: Das Immunsystem als Frühwarnsystem
Bei Morbus Parkinson denken viele zuerst an zitternde Hände und steife Bewegungen. Doch die Erkrankung beginnt oft unsichtbar – und könnte weit mehr mit dem Immunsystem zu tun haben, als bislang vermutet wurde. Prof. Chi Wang Ip forscht an genau dieser Verbindung. Er entdeckte, dass bestimmte Immunzellen im Gehirn von Parkinson-Betroffenen auffällig aktiv sind. Sie reagieren auf das veränderte Protein Alpha-Synuclein. Diese Fehlreaktion könnte Entzündungen auslösen und Nervenzellen zusätzlich schädigen. Ips Forschung beschäftigt sich mit den Fragen: „Könnte das Immunsystem ein Frühwarnsystem für Parkinson sein?“ Und: „Lässt sich die Erkrankung durch eine gezielte Immuntherapie verzögern?“
Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team will Ip eine Immuntoleranz gegen Alpha-Synuclein entwickeln. So ließen sich womöglich neue Behandlungsansätze schaffen – noch bevor die typischen Symptome auftreten. Für Menschen mit familiärer Vorbelastung oder ersten Auffälligkeiten wäre das ein entscheidender Fortschritt.
Schlaganfall-Behandlung bereits im Rettungswagen
Auch bei Schlaganfällen spielt das Immunsystem eine bisher unterschätzte Rolle. Michael Schuhmann untersucht, wie schnell sich nach einem Gefäßverschluss im Gehirn gefährliche Entzündungsreaktionen bilden. Bereits während der akuten Phase – also noch vor der Entfernung des Blutgerinnsels – lösen Blutplättchen und Immunzellen eine starke Immunantwort aus.
Diese überschießende Reaktion kann das Hirngewebe zusätzlich beschädigen. Schuhmanns Ziel: die Entzündung frühzeitig stoppen – idealerweise schon im Rettungswagen. Eine solche Zusatztherapie könnte die Hirnschäden verringern und die Erholungschancen spürbar verbessern.
Das Immunsystem nutzen: früh eingreifen, besser heilen
Die Forschungen aus Würzburg machen deutlich, wie sehr das Immunsystem und Nervensystem über Verlauf und Schwere neurologischer Erkrankungen mitentscheidet. Wer unter unerklärlichen Nervenschmerzen, Lähmungen oder Koordinationsproblemen leidet, findet in diesen Erkenntnissen neue Antworten – und vielleicht bald auch bessere Therapien.
Kurz zusammengefasst:
- Das Immunsystem kann irrtümlich Nervenzellen angreifen und dabei Erkrankungen wie Immunneuropathien, Parkinson oder Schlaganfälle auslösen.
- Forscher am Universitätsklinikum Würzburg untersuchen, wie bestimmte Antikörper und Immunzellen neurologische Schäden verursachen – teils noch bevor erste Symptome auftreten.
- Neue Therapieansätze setzen frühzeitig an, zum Beispiel mit Immunmodulation oder Entzündungshemmung direkt nach einem Schlaganfall, um Folgeschäden zu verringern.
Übrigens: Forscher arbeiten an gezielten Therapien, um fehlerhafte Immunreaktionen und schädliche Entzündungen zu blockieren, ohne das Immunsystem insgesamt zu schwächen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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