Sie warnten einander vor ihren Dates – Jetzt schlägt Frauen Online-Hass entgegen

In Telegram-Gruppen schlägt Frauen, die vor ihren Dates warnen, Hass entgegen. Ihre Daten und intime Bilder werden verbreitet.

In Telegram-Gruppen geraten Frauen ins Visier, nachdem sie vor ihren Dates gewarnt haben.

In Telegram-Gruppen geraten Frauen ins Visier, nachdem sie vor ihren Dates gewarnt haben. © Pexels

Wer online datet, hofft auf Liebe, nicht auf Gefahr oder Gewalt. Doch Frauen, die in den Facebook-Gruppen „Are We Dating the Same Guy?“ (AWDTSG) nach Hinweisen auf untreue oder übergriffige Männer suchen, laufen Gefahr, selbst zur Zielscheibe zu werden. Auf Telegram haben sich Gruppen formiert, die genau diese Frauen ins Visier nehmen, ihre persönlichen Daten verbreiten und intime Fotos ohne Einwilligung teilen. Was als digitale Selbsthilfe begann, wird nun von männlichen Hassgruppen missbraucht, um Frauen zu erniedrigen und einzuschüchtern, wie das US-Magazin Wired berichtet.

Was ist AWDTSG und warum gibt es die Bewegung?

AWDTSG wurde 2022 von Paola Sanchez in New York gegründet. Die Idee dahinter: Frauen sollen sich untereinander über potenzielle Risiken beim Dating austauschen. Die Gruppen bestehen aus über 150 regionalen Foren allein auf Facebook mit rund drei Millionen Mitgliedern weltweit. Hier teilen Frauen Erfahrungen, Warnungen und manchmal auch Beweise dafür, dass ein Mann sie betrogen oder belogen hat.

Früher, wenn eine Frau den Verdacht hatte, dass ihr Partner sie betrügt oder ihr gegenüber nicht ehrlich ist, hatte sie nur begrenzte Möglichkeiten, dies herauszufinden: Sie konnte seine Mails und SMS durchsuchen, sich an Freundinnen wenden oder vage Hinweise in seinem Verhalten deuten. AWDTSG hat dieses Problem grundlegend verändert.

Wie funktioniert AWDTSG?

Das System ist simpel, aber effektiv: Eine Frau postet ein Bild eines Mannes, mit dem sie sich trifft oder verabredet hat, und beschreibt ihre Erfahrungen oder ihren Verdacht. Andere Frauen sehen diesen Post und können eigene Erlebnisse teilen. So erfährt eine Frau innerhalb kürzester Zeit, ob ihr potenzieller Partner noch mit anderen Frauen zusammen ist, sie belogen hat oder es Warnungen vor ihm gibt. Bestätigt sich der Verdacht der Untreue, wird der Mann nicht nur den direkt betroffenen Frauen bekannt, sondern auch tausenden anderen, die seinen Namen, sein Gesicht und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sehen. Wie das kalifornische Nachrichtenportal Lost Coast Outpost berichtet, hat AWDTSG für viele Frauen eine Art kollektive Sicherheitsstruktur geschaffen, die im digitalen Zeitalter immer wichtiger wird.

Der Boom von AWDTSG zeigt: Das Bedürfnis nach Schutz und Information ist groß. Viele Frauen haben nach schlechten Erfahrungen den Wunsch, andere zu warnen und sich selbst abzusichern. Doch genau das macht sie zur Zielscheibe.

Online-Gewalt gegen Frauen – Systematische Bloßstellung

Bestimmte Telegram-Gruppen sind laut Wired kein Zufallsprodukt. Sie wurden gezielt als Gegenbewegung zu AWDTSG gegründet und dienen Männern dazu, sich zu rächen. Wired hat mehr als 3.500 Nachrichten aus einer dieser Gruppen analysiert. Innerhalb von 24 Stunden wurden Frauen identifiziert, ihre Daten gesammelt und intime Inhalte verbreitet.

Besonders erschreckend: Frauen, die nicht-weißer Hautfarbe sind, wurden in den Gruppen häufig besonders aggressiv herabgewürdigt. Es sei ein gezieltes, systematisches Vorgehen, das oft nicht nur digital bleibt, heißt es bei Wired. Wer einmal in diesen Gruppen landet, kann plötzlich von Unbekannten auf anderen Plattformen oder sogar im realen Leben belästigt werden.

Hassnetzwerke auf Telegram organisieren digitale Gewalt

Die Angriffe sind durchdacht. In London teilten sich Nutzer die Stadt in vier Regionen auf, um gezielt Frauen aus bestimmten Vierteln anzugreifen. Auch in anderen Städten fanden sich Männer zusammen, um Frauen gezielt online zu belästigen. In den Chats suchten sie nach „Brum-Links“ oder „Manny-Links“ – Codewörter für Birmingham und Manchester. Dabei ging es nicht nur um das Teilen von Gerüchten, sondern um das gezielte Nachstellen von Frauen.

Die Wortwahl in den Gruppen entlarvt die Denkweise dahinter. „Sie ist ein Freak, das muss man ihr lassen“, schrieb ein Nutzer. „Versteckt sie vor mir“, forderte ein anderer. Andere Mitglieder ermutigten zum Teilen expliziten Materials: „Teilen ist kümmern, sei nicht gierig.“ Frauen werden in diesen Gruppen nicht als Menschen betrachtet, sondern als Objekte, über die man verfügen kann.

TikTok als Katalysator: Wie Algorithmen den Hass verstärken

Nicht nur Telegram fördert diese Dynamik, sondern auch Plattformen wie TikTok. Wired analysierte 12 TikTok-Videos, in denen über die Telegram-Gruppen diskutiert wurde. In den Kommentaren wurden Einladungslinks geteilt, wodurch noch mehr Menschen Zugang zu den frauenfeindlichen Gruppen erhielten.

Die Algorithmen sozialer Netzwerke treiben solche Inhalte zusätzlich an. Inhalte, die Empörung oder Hass auslösen, verbreiten sich besonders schnell. Dadurch wachsen die Telegram-Gruppen weiter, weil immer neue Mitglieder durch virale Trends angelockt werden.

Kurz zusammengefasst:

  • AWDTSG bietet Frauen eine Plattform, um sich gegenseitig vor untreuen oder problematischen Männern zu warnen, indem sie Bilder und Erfahrungen teilen – ein kollektives Schutzsystem im digitalen Zeitalter.
  • Männergruppen auf Telegram nutzen AWDTSG als Feindbild, verfolgen und belästigen Frauen gezielt, indem sie persönliche Daten und intime Bilder ohne Einwilligung verbreiten.
  • Online-Gewalt gegen Frauen wird durch soziale Netzwerke wie TikTok und Telegram verstärkt, da deren Algorithmen frauenfeindliche Inhalte begünstigen und Plattformbetreiber kaum eingreifen.

Übrigens: Die Unzufriedenheit vieler Männer mit dem Single-Dasein hat teils drastische Folgen. Einige radikalisieren sich in Incel-Foren und machen Frauen für ihr Alleinsein verantwortlich. Warum Frauen als Singles glücklicher sind und was das mit Online-Gewalt gegen Frauen zu tun hat – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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