Alzheimer-Schalter im Gehirn entdeckt? Proteinfabriken der Zellen versagen trotz Bauplan
Forscher finden den Grund für Proteinverlust im Gehirn im Alter: Blockierte Ribosomen könnten Alzheimer- und Parkinson-Risiko erhöhen.

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und betrifft vor allem ältere Menschen. Sie führt zu einem fortschreitenden Abbau von Gedächtnis, Denkvermögen und Alltagsfähigkeiten. © Pexels
Wenn Menschen älter werden, arbeitet das Gehirn langsamer – Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Denktempo nehmen oft ab. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung des Jenaer Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI), der Scuola Normale Superiore Pisa und der Stanford University hat nun einen möglichen Grund gefunden: In den Eiweißfabriken der Zellen, den Ribosomen, stockt die Produktion. Wichtige Proteine werden nicht mehr hergestellt, obwohl ihre genetischen Baupläne noch vorhanden sind.
Eiweißbalance gerät im Alter aus dem Lot
In gesunden Zellen sorgt die sogenannte Proteostase dafür, dass Eiweiße in der richtigen Menge und Qualität vorhanden sind. Dazu gehören:
- Herstellung neuer Proteine in den Ribosomen
- Korrekte Faltung der Eiweiße, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können
- Abbau beschädigter oder überflüssiger Proteine über das Proteasom
Störungen in diesem System führen dazu, dass fehlerhafte oder funktionslose Eiweiße entstehen. Sie gelten als typisches Kennzeichen des Alterns und stehen im Zusammenhang mit Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Um diese Veränderungen im Detail zu verstehen, setzten die Forscher den kurzlebigen Killifisch als Modell ein. Er zeigt ähnliche Veränderungen im alternden Gehirn wie der Mensch und eignet sich daher besonders für diese Studien.
Killifisch-Analyse deckt Proteinverlust auf
Die Wissenschaftler untersuchten alle Stufen der Eiweißproduktion, vom Ablesen der Gene (Transkriptom) über die Übersetzung in Eiweiße (Translatom) bis zur tatsächlichen Proteinmenge in den Zellen (Proteom). „Durch diesen mehrstufigen Ansatz konnten wir sehr präzise bestimmen, auf welcher Ebene alternsbedingte Veränderungen auftreten“, erklärt Domenico Di Fraia, Co-Erstautor der Studie.
Das Ergebnis: Vor allem Proteine mit vielen basischen Aminosäuren wie Arginin oder Lysin verschwinden im Alter. Diese Eiweiße sind für die Verarbeitung von DNA und RNA sowie den Aufbau neuer Ribosomen unverzichtbar. Ohne sie geraten Zellteilung, Energieproduktion und Reparaturprozesse ins Stocken.
Bauplan vorhanden, aber Produktionsfehler
Die Baupläne dieser Proteine, die mRNA, lagen in normaler Menge vor. Die Untersuchungen zeigten: Ribosomen bleiben an Abschnitten mit vielen basischen Aminosäuren hängen. Einige pausieren, andere kollidieren. Das verhindert, dass die Eiweiße fertiggestellt werden, oder sie entstehen gar nicht. Alessandro Ori, leitender Autor der Studie, erklärt:
Das war für uns ein klares Zeichen, dass hier kein Problem beim Abbau, sondern bei der Herstellung der Proteine vorliegen muss.
Test bestätigt: Kein verstärkter Abbau
Um sicherzugehen, dass der Verlust nicht durch Abbau entsteht, blockierten die Forscher das Proteasom. Das Ergebnis: Der Verlust der betroffenen Proteine blieb bestehen. „Sie wurden also nicht abgebaut, sondern gar nicht erst korrekt hergestellt“, sagt Co-Erstautor Antonio Marino.
Diese Störung zieht weitere Probleme nach sich. Manche mRNAs werden häufiger, andere seltener übersetzt. Das verändert die gesamte Eiweißzusammensetzung im Gehirn und betrifft vor allem Mitochondrien- und Nervensystem-Proteine.
Direkte Verbindung zu kognitiven Einbußen möglich
Diese Verschiebung bringt das Gleichgewicht der Proteine im Gehirn durcheinander und könnte ein möglicher Auslöser für Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson sein.
Zum ersten Mal lässt sich damit erklären, warum mRNA-Mengen und Proteinspiegel im alternden Gehirn oft nicht übereinstimmen. Für Betroffene ist diese Erkenntnis besonders relevant: Die gestörte Übersetzung wichtiger Proteine kann die Energieversorgung von Nervenzellen schwächen, Reparaturprozesse verlangsamen und damit Gedächtnis- und Denkprozesse direkt beeinträchtigen.
Neue Chancen, Übersetzungsfehler in Zellen zu korrigieren
„Wir haben eine Schwachstelle in der zellulären Maschinerie identifiziert, die mit dem Alter zunehmend versagt“, fasst Ori zusammen. „Diese Fehlfunktion könnte eine zentrale Rolle bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen spielen.“
Langfristig könnten gezielte Eingriffe in die Translation helfen, den Verlust zentraler Proteine zu verhindern. Damit ließen sich möglicherweise auch neurodegenerative Erkrankungen verlangsamen.
Kurz zusammengefasst:
- Im Alter geraten die Eiweißfabriken der Zellen (Ribosomen) ins Stocken, sodass wichtige Proteine trotz vorhandener Baupläne nicht mehr hergestellt werden.
- Betroffen sind vor allem Proteine für DNA-Reparatur, Ribosomenaufbau, Energieproduktion und Nervenzellfunktionen – ihr Fehlen kann Alzheimer oder Parkinson begünstigen.
- Ursache ist kein verstärkter Abbau, sondern ein Fehler bei der Übersetzung der mRNA, der gezielt therapiert werden könnte, um Proteinverluste zu verhindern.
Übrigens: Wie gut Zimt, Ananas oder Fisch gerochen wird, hängt nicht nur von der Nase ab – auch die Gene spielen eine entscheidende Rolle. Forscher entdeckten sogar Genvarianten, die Alzheimer früh ankündigen könnten – mehr dazu in unserem Artikel.
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