Neue Hoffnung gegen Depressionen: Wie ein Wissenschaftler Entzündungen als Ursache entdeckte

Der Wissenschaftler Raz Yirmiya hat bewiesen, dass Entzündungen Depressionen auslösen. Seine Forschung öffnete die Türen zu neuen Therapien.

Entzündliche Prozesse im Gehirn spielen eine Schlüsselrolle bei Depressionen und könnten neue, personalisierte Therapien ermöglichen. © Unsplash

Entzündliche Prozesse im Gehirn spielen eine Schlüsselrolle bei Depressionen und könnten neue, personalisierte Therapien ermöglichen. © Unsplash

Professor Raz Yirmiya hat die Verbindung zwischen Entzündungen und Depression in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Als Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie an der Hebräischen Universität Jerusalem revolutionierte er die Forschung zur biologischen Basis von Depressionen. Seine Studien bewiesen erstmals experimentell, dass entzündliche Prozesse depressive Symptome hervorrufen können. „Entzündungen beeinflussen nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Diese Erkenntnis hat unser Verständnis von Depression verändert“, betont Yirmiya gegenüber Genomic Press.

Durch die Entwicklung fortschrittlicher Tiermodelle und gezielter Studien am Menschen zeigte er, wie Immunreaktionen die Stimmung und das Denken beeinflussen. Diese Ergebnisse haben nicht nur neue Wege in der Forschung eröffnet, sondern auch den Grundstein für innovative Therapien gelegt.

Stress und das Immunsystem: Ein Teufelskreis

Yirmiyas Arbeit konzentriert sich auf Mikroglia, die Immunzellen des Gehirns, und deren Rolle bei stressbedingten Depressionen. Er zeigte, dass das Zytokin Interleukin-1β (IL-1β) bei chronischem Stress im Gehirn ansteigt und depressive Symptome verursacht. „Unsere Forschung hat gezeigt, dass Stress Entzündungen im Gehirn auslöst, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Stimmung haben können“, erklärt er.

Raz Yirmiya ist ein israelischer Verhaltensneurowissenschaftler und Direktor des Labors für Psychoneuroimmunologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem in Israel. © ירמיה רז via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0
Raz Yirmiya ist ein israelischer Verhaltensneurowissenschaftler und Direktor des Labors für Psychoneuroimmunologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem in Israel. © ירמיה רז via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

Spannenderweise stellte er fest, dass die Mikroglia unter längerem Stress nicht nur aktiviert werden, sondern in einen Zustand der Degeneration übergehen können. Dieser überraschende Befund änderte den Blick auf das Gehirn als dynamisches Immunorgan. In weiteren Experimenten zeigte Yirmiyas Team, dass frühe anti-entzündliche Behandlungen solche Schäden verhindern können. Doch sobald die Mikroglia degenerieren, sind gezielte Stimulatoren wie Lipopolysaccharid (LPS) effektiver. „Die Immunantwort des Gehirns ist viel komplexer und flexibler, als wir dachten“, sagt er.

Neue Therapien: Personalisierte Ansätze gegen Depressionen

Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelt Yirmiya neuartige Therapien, die auf die Immunzellen des Gehirns abzielen. Eine vielversprechende Strategie ist die Modulation von Immun-Checkpoint-Rezeptoren wie LAG3 und CX3CR1. Das Blockieren dieser Rezeptoren zeigte in Studien deutliche antidepressive Effekte. „Wir arbeiten daran, diese Mechanismen besser zu verstehen, um gezielte Therapien zu entwickeln“, erklärt er.

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Darüber hinaus untersucht sein Team die Wirksamkeit von Cannabinoiden, Flavonoiden und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAIDs) bei entzündungsbedingten Depressionen. Yirmiya betont jedoch, dass personalisierte Medizin der Schlüssel sei: „Jeder Patient hat ein eigenes Entzündungsprofil. Therapien müssen darauf abgestimmt sein.“ Ein solcher Ansatz könnte besonders für Patienten, die auf klassische Antidepressiva nicht ansprechen, neue Hoffnung bringen.

Das Experiment, das alles veränderte

Ein Wendepunkt in Yirmiyas Forschung war ein Experiment mit Ratten, bei dem LPS depressive Symptome wie Anhedonie auslöste – den Verlust der Freude an zuvor angenehmen Aktivitäten. Die Tiere zeigten eine deutlich reduzierte Vorliebe für Süßes sowie weniger soziale und explorative Aktivitäten. „Dieses Experiment war der erste Beweis dafür, dass Entzündungen depressive Zustände direkt hervorrufen können“, erklärt Yirmiya.

Er übertrug diese Erkenntnisse auf den Menschen und zeigte, dass entzündliche Herausforderungen wie Impfungen oder LPS-Gaben depressive Verstimmungen und kognitive Beeinträchtigungen verursachen können. In einer Studie berichteten Teilnehmer nach einer LPS-Gabe von erhöhter depressiver Stimmung, begleitet von Konzentrationsproblemen. Diese Symptome korrelierten mit einem Anstieg der Zytokinspiegel im Blut.

Eine neue Ära der Depressionsforschung

Yirmiyas Arbeit inspirierte inzwischen mehr als 700 Studien, die die Rolle von Entzündungen bei Depressionen weiter untersuchen. Seine Erkenntnisse zu Mikroglia und IL-1β gelten als Meilensteine in der Psychoneuroimmunologie. Sie legten den Grundstein für innovative therapeutische Ansätze, die auf entzündliche Prozesse abzielen. „Unsere Forschung zeigt, dass Entzündungen eine zentrale Rolle bei Depressionen spielen. Das öffnet neue Türen für maßgeschneiderte Behandlungen“, fasst Yirmiya zusammen.

Seine Arbeit gibt Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Millionen Betroffene, die unter Depressionen leiden – und zeigt, dass die stille Verbindung zwischen Entzündungen und Psyche alles andere als unbedeutend ist.

Was du dir merken solltest:

  • Entzündungen beeinflussen Depressionen: Raz Yirmiya bewies als Erster, dass entzündliche Prozesse depressive Symptome auslösen.
  • Stress verstärkt Entzündungen: Chronischer Stress aktiviert entzündliche Prozesse im Gehirn, führt jedoch bei längerem Verlauf zur Degeneration von Mikroglia, was depressive Symptome weiter verschärft.
  • Neue Therapien basieren auf Entzündungsmodulation: Personalisierte Ansätze, die entzündliche Prozesse gezielt hemmen oder aktivieren, bieten vielversprechende Perspektiven für die Behandlung von Depressionen, besonders bei therapieresistenten Patienten.

Übrigens: Hochfunktionale Depression bleibt im Alltag oft verborgen. Betroffene erscheinen leistungsfähig, während sie innerlich mit Erschöpfung und Überforderung kämpfen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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