Einsamkeit verstärkt Angst bei Jugendlichen – auch trotz digitaler Kontakte 

Einsamkeit steigert die Bedrohungswahrnehmung bei Jugendlichen. Selbst digitale Verbindungen mindern diese Reaktion nicht. 

Schon kurze Isolation, selbst mit Smartphone, steigert bei Jugendlichen Stressreaktionen und verstärkt Unsicherheitsgefühle. © Unsplash

Schon kurze Isolation, selbst mit Smartphone, steigert bei Jugendlichen Stressreaktionen und verstärkt Unsicherheitsgefühle. © Unsplash

Schon wenige Stunden Einsamkeit reichen aus, um bei Jugendlichen die Wahrnehmung von Bedrohungen spürbar zu steigern – selbst wenn sie in dieser Zeit Smartphones und soziale Medien nutzen. Das zeigt eine aktuelle Studie der University of Cambridge, die die Beziehung zwischen Einsamkeit und psychischer Gesundheit untersucht hat. Die Forscher wollten experimentell nachweisen, wie soziale Isolation auf junge Menschen wirkt und ob sie die Entstehung von Angststörungen begünstigen könnte.

„Wir haben deutliche Anzeichen erhöhter Bedrohungsempfindlichkeit nach nur wenigen Stunden der Isolation festgestellt“, erklärte Emily Towner, Hauptautorin der Studie. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass „selbst digitale Interaktionen nicht ausreichen, um die negativen Effekte von Einsamkeit vollständig zu verhindern“, so Towner weiter. Die Studie liefert neue Einblicke in die Auswirkungen von Isolation, die besonders für Jugendliche, eine sozial hochsensible Altersgruppe, relevant sind.

Was vier Stunden Einsamkeit bei Jugendlichen auslösen können

Für die Studie wurden 40 Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren in Cambridge rekrutiert. Sie hatten keine bekannten psychischen Vorerkrankungen und beschrieben ihre sozialen Netzwerke als stabil. Alle Teilnehmer wurden gebeten, an zwei isolierten Sitzungen teilzunehmen, die jeweils vier Stunden dauerten. Eine Sitzung fand ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt statt. In der anderen durften die Jugendlichen Smartphones mit Internetzugang nutzen, hatten aber keinen direkten persönlichen Kontakt.

Vor Beginn der Sitzungen wurde der mentale Zustand der Jugendlichen und ihr Stresslevel anhand von Untersuchungen und Fragebögen überprüft. Einer der Tests in den Sitzungen war der sogenannte Pavlovsche Bedrohungstest. Dabei wurden geometrische Formen auf einem Bildschirm gezeigt, von denen eine mit einem plötzlichen, lauten Geräusch gekoppelt war. Dieses Geräusch löste bei den Teilnehmern eine Stressreaktion aus, die mit Elektroden an den Fingern gemessen wurde. Diese registrierten die sogenannte elektrodermale Aktivität, ein physiologischer Indikator für emotionalen Stress.

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Nach den Isolationstests wiederholten die Forscher die Bedrohungstests und verglichen die Ergebnisse mit den Ausgangswerten. Beide Sitzungen – mit und ohne Smartphone – führten zu einem Anstieg der Bedrohungswahrnehmung. Selbst bei digitaler Vernetzung berichteten die Jugendlichen von verstärkter Anspannung und Stress. „Obwohl virtuelle soziale Interaktionen das Gefühl von Einsamkeit teilweise linderten, blieb die erhöhte Bedrohungsempfindlichkeit bestehen“, erklärte Towner.

Digitale Kontakte sind kein vollständiger Schutz

Die Forscher stellten fest, dass die Stressreaktionen nach der Isolation signifikant zunahmen. Im Durchschnitt stieg die Wahrnehmung von Bedrohungen um 70 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert – unabhängig davon, ob die Jugendlichen während der Isolation Zugang zu sozialen Medien hatten oder nicht. Interessanterweise war das Gefühl von Einsamkeit bei völliger Isolation stärker ausgeprägt als bei digitaler Vernetzung. Dennoch konnte keine der beiden Szenarien die stressbedingte Überreaktion auf potenzielle Bedrohungen verhindern.

„Unser Experiment legt nahe, dass Phasen der Isolation die Anfälligkeit für die Entwicklung von Angststörungen erhöhen könnten“, erklärte Towner weiter. Diese Erkenntnis ist besonders besorgniserregend, da Angststörungen weltweit zunehmen und insbesondere junge Menschen betreffen. Laut der Co-Autorin der Studie, Dr. Livia Tomova, habe sich Einsamkeit unter Jugendlichen in den letzten Jahren fast verdoppelt. „Die Bedürfnisse nach sozialer Interaktion sind in der Jugend besonders hoch, und es bleibt unklar, ob virtuelle Interaktionen diese Bedürfnisse wirklich erfüllen können“, so Tomova.

Einsamkeit prägt auch das soziale Miteinander

Die Ergebnisse der Studie geben auch einen Einblick in die evolutionären Wurzeln der menschlichen Kultur. Towner erklärte, dass die erhöhte Bedrohungswahrnehmung bei Isolation einen evolutionären Hintergrund haben könnte: „Es ergibt Sinn, dass Alleinsein die Wachsamkeit gegenüber Gefahren steigert. In der Jugendzeit, einer Phase voller sozialer und emotionaler Veränderungen, werden diese Mechanismen besonders sensibel.“

Einsamkeit und Isolation sind nicht nur individuelle Probleme, sondern beeinflussen auch die soziale Struktur und die menschliche Kultur insgesamt. Soziale Interaktionen, ob virtuell oder persönlich, sind essenziell für das Wohlbefinden, doch die Studie deutet darauf hin, dass die Qualität dieser Interaktionen entscheidend ist. Selbst digitale Vernetzung kann die grundlegenden Bedürfnisse nach menschlicher Nähe und direktem Kontakt nicht ersetzen.

Forscher suchen nach langfristigen Lösungen

Die Forscher planen, ihre Untersuchungen zu vertiefen und herauszufinden, wie sich unterschiedliche Formen der Interaktion – physisch oder digital – langfristig auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen auswirken. Während soziale Medien bei akuter Einsamkeit eine gewisse Linderung verschaffen können, zeigen die Ergebnisse, dass sie die tiefgreifenden Folgen von Isolation nicht vollständig ausgleichen können.

Was du dir merken solltest:

  • Isolation steigert Bedrohungswahrnehmung: Schon wenige Stunden Einsamkeit, selbst mit Smartphone-Nutzung, erhöhen bei Jugendlichen die Stressreaktionen und das Gefühl von Unsicherheit.
  • Virtuelle Kontakte mildern Einsamkeit, verhindern aber keinen Stress: Obwohl soziale Medien das Einsamkeitsgefühl verringern, bleiben die physiologischen Stressreaktionen durch Isolation bestehen.
  • Einschränkungen digitaler Interaktionen: Menschliche Nähe und direkter Kontakt sind entscheidend für das psychische Wohlbefinden und können durch virtuelle Vernetzung nicht vollständig ersetzt werden.

Übrigens: Aktuelle Studien legen nahe, dass das Blaulicht von Bildschirmen das Wachstum fördern und die Pubertät bei Kindern vorzeitig einleiten könnte. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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