Nicht nur seelisch – Depression zeigt sich auch im Erbgut und Immunsystem
Depression lässt sich in der DNA erkennen: Entzündungsmarker, Gene und Gewicht beeinflussen das seelische Gleichgewicht.

DNA-Methylierung könnte künftig helfen, das individuelle Risiko für Depression besser einzuschätzen. © Pexels
Depressionen betreffen viele Menschen, sind aber oft schwer zu erklären. Warum erkrankt eine Person nach belastenden Lebensereignissen, während eine andere stabil bleibt? Eine internationale Studie liefert nun neue Hinweise – und diese reichen bis tief in die DNA. Forscher aus mehreren Ländern, darunter ein Team der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des LMU Klinikums in München, haben ein epigenetisches Muster im Erbgut entdeckt, das eng mit Depression verbunden ist. Diese chemischen Markierungen, sogenannte Methylierungen, steuern, welche Gene aktiv sind.
Molekulare Schalter beeinflussen, wie Gene arbeiten
Methylierungen lassen sich durch Umweltfaktoren verändern – etwa durch Stress, Ernährung oder traumatische Erlebnisse. Sie wirken wie Schalter, die Gene ein- oder ausschalten. Die Studie untersuchte solche Methylierungen bei über 26.000 Menschen. Das Ergebnis: Bei depressiven Personen fanden sich an 15 Stellen der DNA typische Veränderungen. Diese tauchten bei Gesunden deutlich seltener auf.
Viele dieser genetischen Schalter betreffen Gene, die am Immunsystem beteiligt sind. In Blutproben entdeckten die Forscher zudem erhöhte Werte von Entzündungsbotenstoffen, etwa Interleukin-6 oder Tumornekrosefaktor Beta.
„Das weist auf die vermittelnde Rolle des Immunsystems bei der Entstehung von Depressionen hin“, erklärte Studienautorin Aline Scherff. „Die Analyse der Daten brachte Hinweise, dass die DNA-Methylierung möglicherweise ursächlich zur Entstehung einer Depression beiträgt“, so die Forscherin weiter.
Auch Körpergewicht hat Einfluss
Ein weiterer wichtiger Zusammenhang betraf das Körpergewicht und den Stoffwechsel. Die Studie zeigte: Menschen mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI) oder mit Anzeichen eines gestörten Stoffwechsels wiesen deutlich häufiger das veränderte epigenetische Muster auf, das mit Depression in Verbindung steht.
Das bedeutet: Nicht nur psychische Belastungen, sondern auch körperliche Faktoren wie Übergewicht oder eine ungesunde Ernährung könnten das Risiko für Depression erhöhen. Bewegungsmangel, ein hoher Anteil an Körperfett oder unausgewogene Ernährung beeinflussen offenbar nicht nur Herz und Kreislauf, sondern auch die Aktivität bestimmter Gene – und damit das seelische Gleichgewicht.
Überschneidungen mit anderen Krankheiten
Die genetischen Veränderungen, die bei Depressionen festgestellt wurden, überschneiden sich mit solchen, die auch bei anderen Erkrankungen eine Rolle spielen. Dazu zählen Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, aber auch Alzheimer und ADHS. Die Studie legt somit nahe, dass bestimmte Genabschnitte an mehreren Krankheiten beteiligt sind – körperlichen wie psychischen.
Besonders auffällig war das Gen LZTFL1, das auch mit schweren COVID-19-Verläufen in Verbindung gebracht wird. Seine Beteiligung bei Depressionen deutet darauf hin, dass es molekulare Schnittstellen zwischen Immunreaktionen, Entzündungen und seelischer Gesundheit gibt. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass körperliche und psychische Erkrankungen enger miteinander verknüpft sind, als lange angenommen.
Depression besser verstehen und behandeln
Für die medizinische Versorgung bedeutet das: Wenn sich das epigenetische Muster stabil nachweisen lässt, könnten daraus neue Wege zur Prävention und Behandlung entstehen.
Mögliche Anwendungen:
- Früherkennung: Gentests könnten helfen, Risikopersonen frühzeitig zu erkennen.
- Individuelle Beratung: Ärzte könnten gezielter zu Ernährung, Bewegung und Lebensweise beraten.
- Neue Therapien: Medikamente könnten künftig nicht nur die Psyche beeinflussen, sondern auch das Immunsystem.
Genetik und Umwelt wirken gemeinsam
Prof. Dr. Ellen Greimel vom LMU Klinikum erklärt: „Die Epigenetik ermöglicht uns eine Erklärung, wie im Rahmen dieses Entstehungsmodells eine genetische Veranlagung in der Interaktion mit Umweltfaktoren zu einem erhöhten Risiko für Depression beitragen könnte.“ Und weiter:
Langfristig könnte die Untersuchung der DNA-Methylierung die Erfassung des individuellen Depressionsrisikos unterstützen.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher haben ein epigenetisches Muster im Erbgut entdeckt, das bei Menschen mit Depression deutlich häufiger vorkommt.
- Diese DNA-Veränderungen stehen im Zusammenhang mit Entzündungen, dem Immunsystem sowie dem Körpergewicht und könnten eine Ursache der Erkrankung sein.
- Die Erkenntnisse ermöglichen neue Ansätze für Gentests, gezielte Prävention und individuell abgestimmte Therapien.
Übrigens: Viele depressive Episoden nach Corona-Infektion oder Impfung werden als Long Covid oder Impfreaktion fehlgedeutet – ein riskanter Irrtum mit Folgen. Gerade junge Frauen trifft diese Verwechslung besonders häufig. Mehr dazu in unserem Artikel.
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