Maus aus Milliarden Jahre altem Gen geschaffen: Zeitreise zu den Ursprüngen von Stammzellen

Ein Gen aus 700 Millionen Jahre alten Einzellern brachte Stammzellen hervor, die eine lebende Maus entstehen ließen.

Ein 700 Millionen Jahre altes Einzeller-Gen ermöglichte die Entwicklung von Stammzellen, die eine lebende Maus hervorbrachten. © Wikimedia

Ein 700 Millionen Jahre altes Einzeller-Gen ermöglichte die Entwicklung von Stammzellen, die eine lebende Maus hervorbrachten (Symbolbild). © Wikimedia

Wissenschaftler haben mit einer bahnbrechenden Methode eine lebende Maus geschaffen, deren Grundlage ein Gen aus der Zeit vor der Entstehung des Tierreichs ist. Dieses Gen stammt aus den sogenannten Choanoflagellaten, einzelligen Verwandten der Tiere, die sich vor mehr als 700 Millionen Jahren vom tierischen Stammbaum abgespalten haben. Das internationale Team, zu dem auch Forscher der Queen Mary University of London und des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie gehören, ersetzte ein Maus-spezifisches Gen durch das uralte Gen der Choanoflagellaten. Die daraus entwickelten Stammzellen wurden in einen Maus-Embryo injiziert, der schließlich zu einer lebenden Maus heranwuchs.

Das Ergebnis bestätigt: Die molekularen Grundlagen der Stammzellbildung reichen viel weiter zurück als bisher angenommen. „Das ist wie ein molekulares Gegenstück zur Ausgrabung eines Übergangsfossils“, erklärt Dr. Mathias Girbig vom Max-Planck-Institut.

Alte Gene steuern moderne Prozesse

Die zentrale Rolle von Transkriptionsfaktoren wie SOX und POU bei der Stammzellbildung wurde lange ausschließlich dem Tierreich zugeschrieben. Die neue Studie zeigt jedoch, dass diese Proteine bereits in Einzellern vorhanden waren und grundlegende zelluläre Prozesse steuerten. „Choanoflagellaten haben keine Stammzellen, sie sind einzellige Organismen, aber sie besitzen diese Gene wahrscheinlich, um grundlegende Zellprozesse zu kontrollieren, die mehrzellige Tiere später vermutlich für den Aufbau komplexer Körperstrukturen umfunktioniert haben“, erklärte Dr. Alex de Mendoza von der Queen Mary University of London.

Lebende Maus als Beweis: Stammzellen basieren auf uralten genetischen Werkzeugen

Die Forscher zeigten, dass das Choanoflagellaten-Gen wichtige genetische Programme aktivierte, die Stammzellen bilden können. Damit bewiesen sie, dass die Werkzeuge zur Steuerung von Stammzellen evolutionär erhalten blieben und bereits lange vor der Entstehung von Tieren existierten. „Schlüsselgene für die Stammzellbildung entstanden möglicherweise weit früher als die Stammzellen selbst und könnten den Weg für das heutige mehrzellige Leben geebnet haben“, erklärte Dr. Alex de Mendoza.

Evolution durch Umnutzung bestehender Werkzeuge

Um die Ursprünge dieser Proteine zu verstehen, nutzten die Wissenschaftler eine Technik namens Ancestral Sequence Reconstruction. Dabei rekonstruieren sie mithilfe von Computeralgorithmen die Sequenzen von längst ausgestorbenen Vorfahren. Im Labor getestet, zeigten die rekonstruierten Proteine bei der Bildung von Stammzellen dieselbe Funktionalität wie in der Maus vorhandene Varianten. „Das ist wie eine molekulare Zeitmaschine“, sagte Dr. Girbig. „Mit dieser Methode können wir Proteinsequenzen längst ausgestorbener Vorfahren ableiten und durch ihre Rekonstruktion im Labor wieder zum Leben erwecken.“

Die Untersuchung ergab, dass die Eigenschaften der SOX-Proteine schon in frühen Einzellern vollständig ausgebildet waren. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass die Evolution oft bestehende Werkzeuge umnutzt, anstatt neue Mechanismen zu erfinden.

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Potenziale für regenerative Medizin

Die Ergebnisse dieser Studie gehen weit über die Evolutionsbiologie hinaus. Sie könnten dazu beitragen, neue Ansätze in der regenerativen Medizin zu entwickeln. Durch ein besseres Verständnis der evolutionären Ursprünge von Stammzellen könnten künftig effektivere Zelltherapien entstehen. Beispielsweise könnten synthetische Varianten der uralten Gene entwickelt werden, die effizienter arbeiten als ihre tierischen Pendants. „Das Studium der alten Wurzeln dieser genetischen Werkzeuge erlaubt uns, mit einem klareren Blick darauf zu innovieren, wie Mechanismen der Pluripotenz angepasst oder optimiert werden können“, sagte Dr. Ralf Jauch vom Max-Planck-Institut.

Mit dieser Arbeit ist es gelungen, einen wichtigen evolutionären Zusammenhang zu entschlüsseln und gleichzeitig neue Türen für medizinische Innovationen zu öffnen.

Was du dir merken solltest:

  • Ein Gen aus 700 Millionen Jahre alten Einzellern half, Stammzellen zu erzeugen, die schließlich eine lebende Maus hervorbrachten.
  • Die Untersuchung zeigt, dass Schlüsselgene wie SOX und POU, die für die Stammzellregulation entscheidend sind, evolutionär aus einzelligen Vorfahren stammen.
  • Die Ergebnisse bieten nicht nur Einblicke in die Evolution der Stammzellen, sondern könnten auch die regenerative Medizin durch optimierte Zelltherapien revolutionieren.

Übrigens: Während uralte Gene neue Erkenntnisse über Stammzellen liefern, zeigen Cyanobakterien, wie selbst einfache Organismen Jahreszeiten erkennen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Rama via Wikimedia unter CC BY-SA 2.0 FR

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