Überraschende Entdeckungen zur Evolution: Bakterien nutzen Photoperiodismus und erkennen wechselnde Jahreszeiten
Einfache Bakterien können offenbar den Wechsel der Jahreszeiten durch Photoperiodismus erkennen und sich auf den Winter vorbereiten.
Selbst einfachste Bakterien können den Wechsel der Jahreszeiten vorhersagen. Cyanobakterien, die zu den ältesten Lebensformen auf der Erde zählen, sind in der Lage, sich auf den kommenden Winter vorzubereiten, indem sie auf die Menge an Licht reagieren, der sie ausgesetzt sind. Diese Forschungsergebnisse sind besonders überraschend, da dies bisher nur bei komplexen Organismen wie Pflanzen und Tieren beobachtet wurde. Bekanntermaßen werfen Bäume ihre Blätter ab, bevor es kälter wird, oder Tiere wie der Bär bereiten sich auf den Winterschlaf vor. Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass auch Cyanobakterien, die eine sehr kurze Lebensspanne haben, auf die Tageslänge reagieren können.
Bakterien nutzen Licht, um Jahreszeiten zu erkennen
Eine aktuelle Studie der Vanderbilt University zeigt, dass Cyanobakterien die Lichtmenge nutzen, um ihre biologischen Prozesse an die bevorstehenden saisonalen Veränderungen anzupassen. Diese Organismen reagieren auf kurze Tage – die typisch für den Winter sind – indem sie ihre Widerstandsfähigkeit gegen Kälte erhöhen. Das Team um Maria Luísa Jabbur entdeckte, dass die Bakterien ihre inneren Uhren anpassen und damit besser auf den Wechsel der Jahreszeiten und die rauen Bedingungen des Winters vorbereitet sind. Das Besondere daran ist, dass Bakterien diese Fähigkeit besitzen, obwohl sie zu den einfachsten Lebensformen gehören. Die Forscher vermuten, dass dieser Mechanismus eine sehr frühe Form des biologischen Zeitmessens darstellt.
Uralte Mechanismen könnten zirkadiane Uhren überholt haben
Besonders spannend an diesen Erkenntnissen sind ihre Auswirkungen auf unser Verständnis der Entwicklung solcher Mechanismen. Carl Johnson, ein führender Forscher der Vanderbilt University, erklärt: „Für mich ist das Aufregendste an diesen Ergebnissen ihre Bedeutung für die Evolution der biologischen Zeitmessung.“ Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass zirkadiane Uhren, also die inneren Tagesrhythmen, zuerst entstanden sind und erst später die Fähigkeit zur Messung der Tageslänge und der Jahreszeiten dazukam. Doch die neuen Ergebnisse stellen diese Annahme infrage.
Johnson hebt zwei entscheidende Punkte hervor. Erstens, dass der Photoperiodismus, also die Fähigkeit, auf die Länge von Tag und Nacht zu reagieren, in solch uralten und einfachen Organismen wie Cyanobakterien existiert. Zweitens zeigen die Genexpressionsdaten der Forschung, dass die Reaktionen auf Stressfaktoren vermutlich sehr früh in der Entwicklung des Lebens auf der Erde entstanden sind. „Wir Chronobiologen haben immer angenommen, dass die zirkadianen Uhren vor der Fähigkeit zur Messung der Tageslänge entstanden sind“, sagt Johnson. „Aber die Tatsache, dass der Photoperiodismus in so alten und einfachen Organismen wie den Cyanobakterien existiert, deutet darauf hin, dass dieser Mechanismus vielleicht sogar vor den zirkadianen Uhren entwickelt wurde.“
Lange oder kurze Tage sind für Cyanobakterien, die auf Licht angewiesen sind, unterschiedlich belastend. Johnson vermutet, dass genau diese Stressfaktoren die Entwicklung des Photoperiodismus vorangetrieben haben. „Lange Tage oder lange Nächte sind unterschiedlich stressig für lichtabhängige Organismen wie Cyanobakterien, und daher würde man erwarten, dass solche Bedingungen unterschiedliche Stressantworten auslösen“, erklärt er. Dies könnte der Grund dafür sein, dass diese Form der Zeitmessung durch den Photoperiodismus vor der Entwicklung der zirkadianen Uhren entstanden ist.
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„Diese Möglichkeit haut mich um“
Die Forschungsergebnisse der Vanderbilt University legen nahe, dass der Druck, auf wechselnde Lichtverhältnisse zu reagieren, einen selektiven Vorteil darstellte. Das könnte erklären, warum Cyanobakterien schon lange vor komplexeren Organismen in der Lage waren, den Wechsel der Jahreszeiten vorherzusehen. Für Johnson ist diese Entdeckung revolutionär: „Diese Möglichkeit haut mich um!“ Die Vorstellung, dass einfache Organismen wie Cyanobakterien möglicherweise bereits vor der Entwicklung von zirkadianen Uhren die Tageslänge zur Vorbereitung auf saisonale Veränderungen nutzten, eröffnet völlig neue Perspektiven auf die Evolution biologischer Zeitmechanismen.
Innere Uhren und Stressantworten arbeiten zusammen
Das Forschungsteam stellte außerdem fest, dass die innere Uhr der Cyanobakterien, die durch spezielle Proteine gesteuert wird, eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung auf den Winter spielt. Diese Proteine, die als Kai-Proteine bezeichnet werden, regulieren die Reaktionen der Bakterien auf die Tageslänge. Wenn diese Proteine deaktiviert werden, können die Bakterien sich nicht mehr auf die Kälte vorbereiten. Dabei verändert sich nicht die Aktivität der Uhr-Gene selbst, sondern es kommt zu Anpassungen in der Fettsäure- und Lipidproduktion. Diese Anpassungen ermöglichen es den Bakterien, sich auf kalte Temperaturen einzustellen.
Unterschiedliche Reaktionen je nach Standort
Die Fähigkeit der Cyanobakterien, sich auf den Winter vorzubereiten, hängt von ihrem geografischen Standort ab. Bakterien, die in nördlicheren Breitengraden leben, beginnen früher mit der Vorbereitung auf den Winter als solche, die in südlicheren Regionen vorkommen. So könnten beispielsweise Bakterien in Nashville, Tennessee, bereits im Oktober bei Temperaturen um 10 Grad Celsius auf den Winter vorbereitet sein, während Cyanobakterien in Florida erst später reagieren. Diese geografischen Unterschiede könnten entscheidend für das Überleben der Bakterien sein.
Was du dir merken solltest:
- Bakterien können den Wechsel der Jahreszeiten durch Photoperiodismus erkennen und sich auf den Winter vorbereiten.
- Photoperiodismus könnte sich evolutionär vor den zirkadianen Uhren entwickelt haben, da Cyanobakterien bereits auf die Tageslänge reagieren, um Stress zu bewältigen.
- Die geografische Lage beeinflusst, wann Cyanobakterien mit der Wintervorbereitung beginnen, was entscheidend für ihr Überleben ist.
Übrigens: Wieder sind es Bakterien, die Forscher verblüffen. Diesmal handelt es sich um Mikroben, die sich in den heißen Quellen des Yellowstone Nationalpark wohlfühlen. Diese könnten als Modell für Leben im All dienen. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.
Bild: © NASA via Wikimedia unter Public Domain