Gefährliche „Pestizidcocktails“: Chemikalien landen unkontrolliert auf Spielplätzen, Gärten und Wanderwegen
Pestizide kennen keine Grenzen. Neue Daten zeigen: Die Chemikalien verbreiten sich über hunderte Kilometer – mit gefährlichen Folgen.

Landwirte spritzen Pestizide gegen Schädlinge, doch die Chemikalien verbreiten sich unkontrolliert in der Umwelt. © Pexels
Pestizide sollen Pflanzen vor Schädlingen schützen – doch sie bleiben nicht dort, wo sie eingesetzt werden. Eine aktuelle Studie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) zeigt, dass die Chemikalien weit über die Felder hinaus in die Umwelt gelangen. Selbst in Naturschutzgebieten und entlegenen Bergregionen sind Rückstände messbar. Besonders besorgniserregend ist, dass die Pestizide oft als Mischungen vorkommen, deren langfristige Auswirkungen kaum erforscht sind.
Verbreitung über hunderte Kilometer
Das Forschungsteam untersuchte die Pestizidbelastung entlang einer 180 Kilometer langen Strecke im Oberrheingraben. Das Gebiet erstreckt sich von Bingen bis Basel und gehört zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Regionen Deutschlands. Hier werden auf großen Flächen Obst, Gemüse und Wein angebaut.
Das Problem: Um Schädlinge zu bekämpfen, setzen Landwirte verschiedene Pestizide ein. Diese Mittel werden als Spritzmittel eingesetzt, können aber durch Wind und Regen in andere Gebiete gelangen. Die Forscher entnahmen Proben aus Boden, Pflanzen, Gewässern und Pfützen an 78 verschiedenen Standorten – von den Feldern in der Tiefebene bis zu den Wäldern im Pfälzerwald und Schwarzwald.

Fast alle untersuchten Flächen waren belastet
Die Untersuchung ergab ein klares Bild: In 97 Prozent der Boden- und Pflanzenproben waren Pestizide nachweisbar. Besonders alarmierend ist, dass selbst in entlegenen Gebieten Rückstände gefunden wurden. Die Forscher stellten fest, dass im Durchschnitt fünf verschiedene Pestizide in den Bodenproben enthalten waren – in manchen Fällen sogar bis zu 26 verschiedene Stoffe.
Besonders häufig wurde das Fungizid Fluopyram nachgewiesen, ein Mittel gegen Pilzbefall. Es gehört zur Gruppe der sogenannten PFAS, die sich in der Umwelt nur sehr langsam abbauen. Einige dieser Stoffe können sogar das Grundwasser belasten.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Pestizide viel weiter verbreitet sind, als bisher angenommen. Sie begegnen uns nicht nur auf Feldern, sondern auch auf Spielplätzen, in Gärten oder bei Spaziergängen.
Erstautor Ken Mauser
Gefährliche Wechselwirkungen durch Pestizidmischungen
Ein weiteres Problem: Pestizide treten selten einzeln auf. Die Studie zeigt, dass in vielen Proben Mischungen aus mehreren Wirkstoffen gefunden wurden – insgesamt 140 verschiedene Kombinationen. Diese sogenannten „Pestizidcocktails“ können sich gegenseitig verstärken und unvorhersehbare Auswirkungen haben.
In Laborversuchen konnte bereits nachgewiesen werden, dass solche Mischungen die Eiablage von Insekten um über 50 Prozent reduzieren. Das bedeutet, dass sich Pestizide nicht nur auf die Landwirtschaft auswirken, sondern auch das gesamte Ökosystem beeinflussen können. Besonders betroffen sind nützliche Insekten wie Bienen oder Schmetterlinge.
Naturschutzgebiete sind nicht sicher
Eigentlich sollen Naturschutzgebiete Rückzugsorte für seltene Pflanzen und Tiere sein. Doch die Studie zeigt, dass selbst geschützte Flächen nicht frei von Pestiziden sind. In den untersuchten Schutzgebieten – darunter der Nationalpark Schwarzwald – fanden die Forscher mehrere Pestizide. Sogar auf dem Feldberg, mit 1.494 Metern die höchste Erhebung im Schwarzwald, wurden Rückstände festgestellt.
Besonders stark betroffen sind intensiv bewirtschaftete Weinregionen wie die Südpfalz und der Kaiserstuhl. Hier wurden bis zu 20 verschiedene Pestizide in Boden- und Pflanzenproben nachgewiesen. Das zeigt, dass die Chemikalien weit über die gespritzten Felder hinaus in die Umwelt gelangen.
Wissenschaftler fordern strenge Maßnahmen
Angesichts dieser Ergebnisse fordern die Forscher der RPTU Kaiserslautern-Landau eine drastische Reduzierung des Pestizideinsatzes. Besonders wichtig sei es, Schutzgebiete besser abzugrenzen und landwirtschaftliche Flächen in ihrer Nähe umweltfreundlicher zu bewirtschaften.
Als Lösung schlagen sie sogenannte Übergangszonen vor: Flächen zwischen konventionellen Anbaugebieten und Naturschutzflächen, auf denen keine Pestizide eingesetzt werden. So könnte verhindert werden, dass sich die Chemikalien ungehindert ausbreiten.
Pestizide sind ein Problem für die gesamte Gesellschaft – und nicht nur für die Landwirtschaft. Daher brauchen wir strengere Vorschriften und müssen alternative Anbaumethoden stärker fördern.
Kurz zusammengefasst:
- Eine Studie der RPTU Kaiserslautern-Landau zeigt, dass Pestizide nicht nur auf landwirtschaftlichen Flächen verbleiben, sondern sich durch Wind und Regen über große Entfernungen verbreiten – selbst in Naturschutzgebieten und entlegenen Bergregionen.
- In 97 Prozent der untersuchten Boden- und Pflanzenproben wurden Rückstände nachgewiesen, oft in Form von Pestizidmischungen, deren Wechselwirkungen und langfristige Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit weitgehend unerforscht sind.
- Die Forscher fordern eine drastische Reduzierung des Pestizideinsatzes und schlagen sogenannte Übergangszonen zwischen Agrarflächen und Schutzgebieten vor, um eine unkontrollierte Verbreitung der Chemikalien einzudämmen.
Übrigens: In den Tiefen der Ostsee tickt eine unsichtbare Zeitbombe – tonnenweise Altmunition aus dem Zweiten Weltkrieg gibt schleichend giftige Chemikalien ins Wasser ab. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Pexels