Gehirn nutzt neue Tricks: Wie ältere Menschen Denkdefizite ausgleichen
Wissenschaftler entdeckten, dass ältere Gehirne neue Regionen aktivieren, um die kognitive Leistung zu verbessern.
Auch wenn unser Gehirn mit zunehmendem Alter an Leistung verliert, hat es eine erstaunliche Fähigkeit: Es kann bestimmte Ausfälle ausgleichen, indem es andere Bereiche aktiviert. Wissenschaftler der University of Cambridge und der University of Sussex haben nun herausgefunden, dass diese Kompensation bei älteren Menschen tatsächlich funktioniert und ihre kognitive Leistung verbessern kann.
Was ist fluide Intelligenz und warum nimmt sie ab?
Bei der Studie ging es um die sogenannte fluide Intelligenz. Das ist die Fähigkeit, neue Informationen schnell zu verarbeiten und Probleme zu lösen. Sie wird oft bei abstrakten Aufgaben gebraucht, wie etwa Puzzles oder logischen Rätseln. Mit dem Alter lässt diese Fähigkeit nach, weil das Gehirn Nervenverbindungen verliert und langsamer arbeitet.
Dr. Kamen Tsvetanov von der University of Cambridge erklärt: „Manche Menschen schaffen es trotzdem, ihre fluide Intelligenz zu bewahren.“ Die Forscher wollten wissen, ob das Gehirn andere Regionen nutzt, um den altersbedingten Abbau auszugleichen.
So lief die Studie ab
Das Team untersuchte 223 Erwachsene zwischen 19 und 87 Jahren. Die Teilnehmer lagen in einem funktionellen MRT-Scanner (fMRT), während sie Puzzles lösten. Ihre Aufgabe: Das Element zu finden, das nicht in die Reihe passt. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben war unterschiedlich.
Mit dem fMRT konnten die Forscher beobachten, welche Gehirnregionen bei der Lösung der Aufgaben besonders aktiv waren.
Das Multiple-Demand-Netzwerk verliert an Kraft
Normalerweise nutzt das Gehirn bei solchen Aufgaben das sogenannte Multiple-Demand-Netzwerk (MDN). Dieses Netzwerk besteht aus Regionen im vorderen und hinteren Teil des Gehirns und hilft bei schwierigen Denkvorgängen. Die Studie zeigte jedoch: Mit dem Alter wird dieses Netzwerk weniger aktiv.
Doch es gab eine Überraschung. Mithilfe von Machine-Learning-Analysen fanden die Forscher zwei Gehirnareale, die bei älteren Menschen stärker arbeiteten. Diese Bereiche waren der Cuneus – ein Teil des Hinterkopfs, der visuelle Informationen verarbeitet – und eine Region im Frontalkortex.
Der Cuneus gleicht Defizite aus
Der Cuneus spielte dabei die entscheidende Rolle. Bei älteren Teilnehmern war seine Aktivität besonders hoch. Gleichzeitig konnten die Forscher eine stärkere Verbindung zwischen seiner Aktivität und der Lösungsfähigkeit beobachten. Anders gesagt: Je aktiver der Cuneus war, desto besser lösten ältere Teilnehmer die Aufgaben.
Normalerweise hilft der Cuneus dabei, das Gesehene klarer zu verarbeiten. Bei älteren Menschen, die oft Probleme haben, sich kurzfristig an visuelle Informationen zu erinnern, scheint dieser Bereich eine neue Rolle zu übernehmen. Er gleicht Gedächtnisschwächen aus, indem er die Aufmerksamkeit stärker auf visuelle Details lenkt.
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Warum funktioniert das nicht bei allen Menschen?
Dr. Ethan Knights von der University of Cambridge erklärt, dass die Ergebnisse neue Fragen aufwerfen. „Warum passiert dieser Ausgleich bei manchen Menschen, aber nicht bei anderen? Hängt das mit ihrem Lebensstil, ihrer Bildung oder anderen Faktoren zusammen?“ Diese Fragen sollen in weiteren Studien geklärt werden.
Dr. Alexa Morcom von der University of Sussex betont, dass die Forschung bestehende Annahmen infrage stellt. Bisher dachte man, dass Kompensation im Alter hauptsächlich über das Multiple-Demand-Netzwerk läuft. Die Ergebnisse zeigen jedoch: Andere, besser erhaltene Gehirnbereiche spielen eine wichtigere Rolle.
Was du dir merken solltest:
- Die fluide Intelligenz, also die Fähigkeit, neue Informationen schnell zu verarbeiten, nimmt mit dem Alter ab, weil Nervenverbindungen verloren gehen und das Gehirn langsamer arbeitet.
- Das Gehirn kann altersbedingte Leistungseinbußen ausgleichen, indem es andere Regionen wie den Cuneus aktiviert, was die kognitive Leistung bei älteren Menschen verbessert.
- Forschungen der University of Cambridge zeigen, dass der Cuneus bei älteren Menschen besonders aktiv wird und hilft, visuelle Informationen gezielter zu verarbeiten, um Gedächtnisdefizite auszugleichen.
Übrigens: Eine neue Studie zeigt, dass SARS-CoV-2-Spike-Proteine bei Long COVID dauerhaft im Gehirn verbleiben und zur Entstehung neurologischer Schäden führen können. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.
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