Waldbaden auf Knopfdruck: Virtuelle Bäume lindern Stress und verbessern die Stimmung

Virtuelles Waldbaden senkt nachweislich Stress und hebt die Stimmung, besonders, wenn Bild, Klang und Duft gleichzeitig auf die Sinne wirken.

Virtuelles Waldbaden auf Knopfdruck: So lindert VR Stress.

Ein Waldspaziergang aus der Brille: Die VR-Plattform simuliert Naturerlebnisse – für mehr Ruhe im Kopf, ganz ohne echten Wald. © MPI

Die Augen wandern über Waldboden und Tannennadeln, Vogelstimmen ertönen, ein würziger Duft steigt in die Nase. Doch der Wald existiert nur dank VR-Brille. Virtuelles Waldbaden – das ist längst keine Spielerei mehr, sondern eine gezielte Methode zur Regulation von Stress. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zeigt nun: Die Wirkung tritt besonders dann ein, wenn mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Die virtuelle Waldkulisse verbessert das emotionale Wohlbefinden und bringt ein Gefühl von Naturverbundenheit zurück in Räume, in denen echte Natur fehlt.

Shinrin-Yoku: Die Wurzeln des Waldbadens

Der Begriff Shinrin-Yoku stammt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie „Baden in der Waldluft“. Die Praxis entstand in den 1980er-Jahren als Teil eines nationalen Gesundheitsprogramms in Japan und basiert auf der Idee, durch bewusstes Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes Körper und Geist zu stärken. Dabei geht es nicht nur um das Gehen an der frischen Luft, sondern um Achtsamkeit: Geräusche wahrnehmen, Düfte einatmen, den Boden unter den Füßen spüren – ganz ohne Eile.

Shinrin-Yoku gilt in Japan bis heute als anerkannte Methode zur Stressbewältigung und Gesundheitsförderung. Studien belegen positive Effekte wie sinkenden Blutdruck, niedrigere Cortisolwerte, ein gestärktes Immunsystem und eine bessere Stimmung. Inzwischen findet Waldbaden auch in westlichen Ländern zunehmend Anwendung – etwa in Prävention, Psychotherapie oder Reha.

Multisensorik hilft spürbar gegen Stress

In der Studie testeten die Forscher verschiedene Versionen des virtuellen Waldbadens. Die Teilnehmer wurden zunächst durch emotionale Bilder in eine akute Stresslage versetzt. Danach erlebten sie, mit VR-Brille ausgestattet, einen 360°-Waldspaziergang. Mal nur mit Bild, mal nur mit Ton, mal nur mit Duft oder in Kombination.

Digitale Naturerlebnisse können emotionale Wirkung entfalten, auch wenn sie reale Natur nicht ersetzen.

Leonie Ascone, Erstautorin der Studie

Besonders die komplette Sinneserfahrung mit Vogelgesang, Waldblick und dem Geruch von Douglasienöl entfaltete eine deutlich stärkere Wirkung.

Natur zum Greifen nah durch VR

Das verwendete Video stammt aus dem größten Douglasienwald Europas im Naturschutzgebiet Sonnenberg. Die Umsetzung ist detailverliebt: echtes Waldrauschen, hochauflösende Bildqualität und natürliche Düfte simulieren die Atmosphäre eines echten Waldbades, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Dieses multisensorische Setup wirkte bei den Probanden besonders stimmungsaufhellend. Auch das Gefühl, der Natur nah zu sein, verstärkte sich spürbar. Wer unter hoher mentaler Belastung leidet, könnte durch solche Anwendungen wieder leichter zur Ruhe finden.

Virtuelle Wälder für Einsatzorte in Kliniken, Schulen und Büros

Neuropsychologin Simone Kühn forscht seit Jahren zu Umwelt und Gehirn. Gemeinsam mit Teams aus Wien, Birmingham und Exeter konnte sie bereits zeigen, dass Naturvideos sogar die Wahrnehmung körperlicher Schmerzen verändern.

Gerade an Orten mit begrenztem Zugang zur Natur, etwa in Kliniken, Wartebereichen oder urbanen Innenräumen, können Bilder, Klänge und Düfte der Natur das mentale Wohlbefinden unterstützen. 

Simone Kühn, Studienleiterin

Virtuelles Waldbaden ist für sie kein Ersatz, sondern eine Hilfe dort, wo echte Natur nicht erreichbar ist. Mögliche Einsatzorte für virtuelles Waldbaden sind:

  • Kliniken
    – zur Unterstützung bei Angststörungen, Depression, Schmerztherapie oder in der Psychosomatik
  • Pflegeheime und Seniorenresidenzen
    – für immobile oder bettlägerige Bewohner, zur Verbesserung von Stimmung und Orientierung
  • Wartebereiche (z. B. Arztpraxen, Behörden, Flughäfen)
    – zur Stressminderung und Verkürzung der gefühlten Wartezeit
  • Büros und Unternehmen
    – betriebliche Gesundheitsförderung, kurze Regenerationspausen im Arbeitsalltag
  • Schulen und Bildungseinrichtungen
    – zur Förderung von Konzentration, Achtsamkeit und Stressabbau bei Schülern
  • Gefängnisse und forensische Einrichtungen
    – als beruhigendes Angebot in isolierten oder stark belasteten Umgebungen
  • Private Haushalte
    – für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder zur Entspannung, etwa nach der Arbeit oder vor dem Einschlafen

Virtuelle Welt, reale Wirkung

Neben dem emotionalen Effekt testeten die Wissenschaftler auch kognitive Leistungen. Das Ergebnis: Nur im Arbeitsgedächtnis zeigten sich kleine Verbesserungen. Andere Funktionen wie Aufmerksamkeit oder Impulskontrolle veränderten sich kaum.

Die Forscher merken jedoch an, dass die positiven Effekte spezifisch und nicht universell sind. Sie sehen in der digitalen Anwendung dennoch viel Potenzial. Für den Einsatz braucht es nur ein wenig Technologie. Und VR-Brillen werden günstiger, Inhalte flexibler. Wenn ein virtuelles Waldbad hilft, Stress zu senken, die Stimmung zu heben und das Gefühl von Naturverbundenheit zurückzubringen, könnte es bald Teil moderner Gesundheitsstrategien werden – direkt zwischen Großstadtlärm und Neonlicht.

Kurz zusammengefasst:

  • Virtuelles Waldbaden wirkt am besten, wenn mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden – also Bild, Ton und Duft kombiniert werden.
  • Die Methode verbessert das emotionale Wohlbefinden und stärkt das Gefühl der Naturverbundenheit, auch ohne Zugang zur echten Natur.
  • Erste Studien zeigen zudem leichte Verbesserungen im Arbeitsgedächtnis, vor allem bei Menschen mit hoher mentaler Belastung.

Übrigens: Wer unter Redeangst leidet, kann jetzt mithilfe einer KI-gestützten VR-Plattform erstmals realistisch trainieren – ganz ohne Publikum. Die University of Cambridge hat ein kostenloses Tool entwickelt, das schon nach kurzer Nutzung das Selbstvertrauen deutlich stärkt. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © MPI

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