Jeder fünfte Europäer leidet unter Lärm – besonders nachts wird es gefährlich
Über 112 Millionen Europäer sind gesundheitsgefährdendem Lärm ausgesetzt – vor allem nachts steigt das Risiko für Erkrankungen.

Verkehrslärm rund um die Uhr: In Europas Städten wie hier in Paris leben Millionen Menschen mit Geräuschpegeln, die laut Experten längst zur Gesundheitsgefahr geworden sind. © Unsplash
Über 112 Millionen Menschen in Europa leben mit einem Geräuschpegel, der dauerhaft zu hoch ist – und der nicht nur stört, sondern ernsthaft krank machen kann. Das entspricht mehr als 20 Prozent der Bevölkerung. Besonders betroffen sind Menschen in Städten, wo der Lärm von Straßen, Bahnen oder Flugzeugen kaum noch nachlässt – selbst in der Nacht. Wie weit das Problem inzwischen reicht, zeigt ein neuer Bericht der Europäischen Umweltagentur. Demnach ist Lärm für viele Europäer zu einem dauerhaften Gesundheitsrisiko geworden. Nach strengeren Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation sind sogar rund 150 Millionen Menschen betroffen – also fast jeder Dritte.
Europäer leiden unter dem Lärm – Besonders der Verkehr trifft Stadtbewohner besonders hart
Die lauteste Quelle ist der Straßenverkehr. Besonders tagsüber, aber auch nachts, wenn eigentlich Ruhe einkehren sollte:
- 92 Millionen Menschen hören dauerhaft Verkehrslärm – rund um die Uhr
- 58 Millionen davon leiden speziell unter nächtlicher Lärmbelastung
Auch Bahn- und Fluglärm sind alles andere als selten:
- Bahnlärm betrifft 18 Millionen tagsüber und 13 Millionen nachts
- Unter Fluglärm leiden 2,6 Millionen Menschen am Tag – nachts immerhin noch knapp eine Million
Die offiziellen Grenzwerte liegen bei 55 Dezibel tagsüber und 50 Dezibel nachts. Wer nah an einer Hauptstraße, Bahnlinie oder Einflugschneise wohnt, kennt solche Zahlen nicht vom Papier – sondern vom Alltag.
Was der Lärm im Körper auslöst
Lärm ist kein harmloses Hintergrundgeräusch. Er setzt den Körper unter Stress – unbemerkt, aber dauerhaft. Das kann ernste Folgen haben:
- 66.000 Menschen starben 2021 in Europa vorzeitig durch Verkehrslärm
- 50.000 Menschen erkrankten neu an Herz-Kreislauf-Leiden
- 22.000 entwickelten Typ-2-Diabetes
„Verkehrslärm führt in Europa jährlich zum Verlust von über 1,3 Millionen gesunden Lebensjahren“, heißt es im Bericht. Damit zählt Lärm zu den gefährlichsten Umweltfaktoren überhaupt – noch vor Passivrauchen oder Bleibelastung.
Kinder trifft es besonders früh – und hart
Kinder können sich Lärm weder entziehen noch verstehen, warum es in ihrem Kopf nicht mehr ruhig wird. Die Folgen betreffen nicht nur ihre Gesundheit – sondern auch ihre Entwicklung:
- 560.000 Kinder hatten 2021 durch Lärm Schwierigkeiten beim Lesen
- 63.000 zeigten Verhaltensauffälligkeiten
- 272.000 litten unter Übergewicht
Somit führte Verkehrslärm 2021 zu zahlreichen Fällen von Leseschwierigkeiten, Verhaltensproblemen und Übergewicht bei Kindern in Europa, stellt die Umweltagentur fest. Eine leise Kindheit? Für Millionen in Europa kaum vorstellbar.
Wenn es selbst im Wald nicht mehr still ist
Auch Tiere leiden unter dem Lärm der Menschen. Rund 29 Prozent der besonders geschützten Natura-2000-Gebiete sind so laut, dass sie Wildtiere in ihrem Verhalten stören. Rückzugsräume werden knapp – selbst in der Natur.
Noch dramatischer ist die Lage unter Wasser: Schiffe, Bohrplattformen und Meereserkundungen erzeugen Lärm, der Delfine und Wale irritiert oder gar vertreibt. Besonders betroffen sind unter anderem der Ärmelkanal, die Adria und Teile der Ostsee – Regionen, in denen Meeressäuger auf akustische Signale zum Überleben angewiesen sind.
Warum viele Maßnahmen bisher nicht ausreichen
Trotz wachsender Erkenntnisse passiert wenig: Zwischen 2017 und 2022 ging die Zahl der stark vom Lärm Geplagten nur um drei Prozent zurück. Das Ziel, bis 2030 eine spürbare Entlastung zu schaffen, bleibt in weiter Ferne.
Dabei gäbe es wirksame Ansätze:
- Tempo 30 in Wohngebieten
- leisere Reifen und emissionsarme Fahrzeuge
- besser gewartete Bahnstrecken
- weniger Lärm bei Starts und Landungen
- mehr grüne und ruhige Flächen in den Städten
„Mindestens einer von fünf Europäern lebt in Gebieten, in denen die Lärmbelastung über den gesundheitlich empfohlenen Grenzwerten liegt, was ernsthafte Gesundheitsrisiken mit sich bringt“, heißt es im Bericht. Lärm mag alltäglich erscheinen – doch genau das macht ihn so gefährlich.
Kurz zusammengefasst:
- Über 112 Millionen Europäer leben laut Europäischer Umweltagentur mit gesundheitsschädlichem Lärm – vor allem in Städten.
- Die Folgen reichen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Diabetes bis zu vermehrtem Übergewicht bei Kindern.
- Auch Tiere und geschützte Naturflächen sind betroffen, während Maßnahmen zur Lärmminderung bisher kaum greifen.
Übrigens: Schon alltäglicher Straßenlärm kann tiefgreifender wirken, als viele denken. Eine große deutsche Studie zeigt, dass selbst unterhalb der offiziellen Grenzwerte der Stoffwechsel aus dem Takt gerät – vor allem in der Leber. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash