Zuhause bleiben ist das neue Ausgehen: Warum wir immer weniger vor die Tür gehen
Zuhause bleiben statt Ausgehen, Netflix statt Nachtleben: Immer mehr Menschen verlagern Arbeit und Freizeit in die eigenen vier Wände.
In den letzten Jahren hat sich das Freizeitverhalten vieler Menschen grundlegend verändert. Eine umfassende US-Studie im Journal of the American Planning Association zeigt, dass Amerikaner seit 2019 täglich fast eine Stunde weniger für Aktivitäten außerhalb des Hauses aufwenden. Während früher Kino, Restaurantbesuche und Treffen mit Freunden auf dem Plan standen, gewinnt das Zuhause bleiben zunehmend an Bedeutung – ein Trend, den die Pandemie stark beschleunigt hat.
Zuhause bleiben im Trend – Daten belegen den Wandel
Forscher von Universitäten wie Clemson und UCLA werteten Daten von über 34.000 Personen aus, um das Verhalten in den Jahren vor und nach der Pandemie zu vergleichen. Ihr Fokus lag auf der Gegenüberstellung von Zeit, die zu Hause und außer Haus verbracht wurde. Sie fanden heraus, dass die Zeit außer Haus von durchschnittlich etwa fünfeinhalb Stunden täglich im Jahr 2019 auf rund viereinhalb Stunden im Jahr 2023 gefallen ist. Auch die tägliche Reisezeit, etwa durch Pendeln, schrumpfte merklich – fast eine Viertelstunde weniger verbringen Menschen pro Tag im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das Ergebnis ist eine dauerhafte Veränderung des Alltags. Die Zeitersparnis durch weniger Pendeln und weniger außerhäusliche Aktivitäten wird nun für Hobbys im eigenen Zuhause genutzt. Auch digitale Angebote, die während der Pandemie verstärkt in Anspruch genommen wurden, blieben weiterhin gefragt.
Auch in Deutschland zeigt sich ein ähnlicher Trend: Immer weniger Menschen treffen sich regelmäßig mit Freunden, und Aktivitäten verlagern sich zunehmend ins Private.
Freundschaften auf Distanz: Treffen seltener und sporadischer
Laut einer Untersuchung der Stiftung für Zukunftsfragen trifft sich heute nur noch etwa jeder fünfte Deutsche (18 Prozent) mindestens einmal pro Woche mit Freunden – vor zwanzig Jahren lag dieser Anteil noch bei 28 Prozent. Besonders auffällig ist der Rückgang bei den Jüngeren: Während 2004 noch 56 Prozent der unter 35-Jährigen regelmäßig Zeit mit Freunden verbrachten, sind es heute nur noch 32 Prozent. Interessanterweise äußern jedoch zwei Drittel der Befragten den Wunsch, häufiger Freundschaften aktiv zu pflegen und mehr Zeit mit anderen zu verbringen.
Zunehmender Druck und Selbstoptimierung verdrängen reale Kontakte
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und spiegeln den gesellschaftlichen Wandel wider. Der Alltag vieler Menschen ist zunehmend durch berufliche Verpflichtungen und private Projekte bestimmt, was für echte Treffen wenig Raum lässt. Die Stiftung für Zukunftsfragen verweist zudem auf das vielfältige Angebot an Freizeit- und Weiterbildungsaktivitäten, das Social Media oft noch verstärkt. Viele Menschen möchten bei den zahllosen Möglichkeiten mithalten, wodurch ein erheblicher Druck entsteht, ständig „am Ball zu bleiben“. Die digitalen Plattformen erleichtern zwar den virtuellen Kontakt, doch ersetzen diese Interaktionen selten die Qualität eines persönlichen Treffens. Auch die allgegenwärtige Selbstoptimierung führt dazu, dass soziale Kontakte häufig zugunsten persönlicher Ziele vernachlässigt werden.
Die Forscher in den USA haben ebenfalls nach den Gründen gefahndet, warum sich das Leben zunehmend ins Private verlagert.
Rückzug ins Private – Welche Gründe gibt es dafür?
Im Journal of the American Planning Association nennen sie mehrere Ursachen für diesen Rückzug ins Private. Zum einen spielt die Arbeit im Homeoffice eine entscheidende Rolle: Viele Unternehmen bieten weiterhin flexible Arbeitsmodelle an, die das Zuhause zur neuen Basis für den Arbeitsalltag machen. Zum anderen hat die Pandemie das Freizeitverhalten verändert. Online-Shopping und digitale Streaming-Dienste haben persönliche Besorgungen und Unterhaltungen an vielen Stellen ersetzt. Diese Entwicklung wird durch verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologien begünstigt, die es ermöglichen, Freizeit- und Arbeitsaktivitäten nahtlos in den häuslichen Bereich zu verlagern.
Zusätzlich zeigt die Studie, dass Amerikaner inzwischen mehr Zeit zum Schlafen aufwenden. Diese Ruhepausen helfen vielen Menschen dabei, den stressigen Alltag besser zu bewältigen, was die Bedeutung des Zuhauses als Rückzugsort weiter verstärkt.
Stadtplanung muss sich neu ausrichten
Mit weniger Menschen in Büros und Geschäften steht die Stadtplanung vor großen Herausforderungen. Die Forscher schlagen vor, ungenutzte Büro- und Einzelhandelsflächen in Wohnraum umzuwandeln, um den veränderten Lebensgewohnheiten gerecht zu werden. Lieferservices und Online-Einkäufe erfordern zudem eine Anpassung der Infrastruktur – von mehr Platz für Lieferfahrzeuge bis hin zu optimierten Lieferwegen.
„Städte sollten stärker auf Angebote setzen, die Freizeit, Kultur und Unterhaltung bieten, um die Menschen anzuziehen,“ erklärt Studienleiter Eric A. Morris. Die Stadtzentren könnten sich mehr in Konsum- und Erlebnisorte verwandeln, statt in reine Arbeitsorte. Insbesondere jüngere Generationen bevorzugen dichte, multifunktionale Wohnräume in urbanen Gebieten, was eine Umgestaltung der städtischen Struktur notwendig macht.
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Bleibt das neue Freizeitverhalten dauerhaft?
Die Forscher gehen davon aus, dass der Trend zum Zuhausebleiben weiter anhält, selbst nachdem die Pandemiebeschränkungen aufgehoben wurden. 2023 verbrachten die Menschen fast genauso viel Zeit in den eigenen vier Wänden wie in den Vorjahren. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind enorm: Während der Rückzug ins Private mehr Flexibilität und Erholung ermöglicht, besteht auch die Gefahr der sozialen Isolation. Persönliche Begegnungen werden seltener, was das soziale Gefüge langfristig beeinflussen könnte.
Doch es gibt auch Vorteile: Weniger Pendeln bedeutet Einsparungen bei den Fahrtkosten und eine Reduzierung der Emissionen. Zugleich sparen sich viele Menschen den täglichen Stress des Berufsverkehrs. Für die Stadtplanung sind diese Erkenntnisse von hoher Bedeutung. Städte müssen sich darauf einstellen, dass weniger Pendler die Bürogebäude füllen und neue Freizeitangebote gefragt sind, um eine lebendige Stadtstruktur zu bewahren.
Was du dir merken solltest:
- Zuhause bleiben wird immer beliebter. Menschen verbringen seit 2019 täglich fast eine Stunde weniger außer Haus.
- Gründe sind flexible Arbeitsmodelle, die Nutzung digitaler Angebote und ein wachsender Wunsch nach einem Rückzugsort und Erholung.
- Diese Entwicklung stellt die Stadtplanung vor neue Herausforderungen und könnte soziale Isolation fördern, bietet jedoch auch Potenziale für eine nachhaltigere Infrastruktur.
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