Nur noch 60 Prozent können richtig rechnen und lesen – Deutschland rutscht bei Kinderwohl deutlich im Ländervergleich ab
In Deutschland sinken schulische Leistungen und Lebenszufriedenheit bei Kindern deutlich – laut UNICEF fiel das Land im Ranking von Platz 14 auf Platz 25.

Mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland beherrscht laut UNICEF nicht einmal die grundlegenden Fähigkeiten in Rechnen und Lesen. © Pexels
Das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland ist bedroht. Hierzulande geht es der jungen Generation spürbar schlechter als noch vor fünf Jahren. Laut UNICEF verschlechtern sich sowohl schulische Leistungen als auch die allgemeine Zufriedenheit – ein Trend, der sich durch alle sozialen Schichten zieht.
Die Zahlen verdeutlichen, wie ernst die Lage ist. Der neue Bericht des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti vergleicht Daten aus 43 OECD- und EU-Ländern aus den Jahren 2018 und 2022. Deutschland rutscht im Ranking vom 14. auf den 25. Platz ab. Für betroffene Familien ist das mehr als eine Statistik.
Alarmierender Einbruch bei Lese- und Rechenfähigkeiten
Besonders dramatisch ist der Rückgang der schulischen Grundfähigkeiten. Nur noch 60 Prozent der Kinder in Deutschland verfügen laut UNICEF über grundlegende Kompetenzen in Rechnen und Lesen. 2018 waren es noch 73 Prozent. In nur zwei Ländern – den Niederlanden und Zypern – fiel der Rückgang noch stärker aus.
Dabei geht es nicht nur um Noten. Wer in der Grundschule nicht rechnen oder lesen kann, wird später kaum Chancen auf einen stabilen Berufsweg haben. Der Verlust dieser Basisfähigkeiten betrifft inzwischen breite Teile der Gesellschaft und nicht nur Kinder aus armen Haushalten.
UNICEF fordert gezielte Unterstützung für Kinder
Die emotionale Verfassung der Kinder hat sich parallel zur schulischen Leistung verschlechtert. 2018 fühlten sich noch 75 Prozent der Jugendlichen in Deutschland mit ihrem Leben zufrieden. 2022 waren es nur noch 68 Prozent. Das Vertrauen in die eigene Zukunft scheint zu bröckeln – trotz Wohlstand und technischer Möglichkeiten.
Der UNICEF-Bericht unterstreicht die wichtige Aufgabe der neuen Bundesregierung, in Kinder zu investieren und vor allem benachteiligte Kinder stärker zu unterstützen.
Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland
Damit spricht er nicht nur einkommensschwache Familien an, sondern auch Kinder mit Fluchterfahrung oder eingeschränktem Zugang zu Bildung.
Pandemie war Brandbeschleuniger – nicht Auslöser
Die Corona-Jahre haben viele Probleme verschärft. Schulschließungen, soziale Isolation und psychische Belastung haben vor allem die Jüngsten aus dem Tritt gebracht. Doch laut UNICEF setzte der Negativtrend bereits vor 2020 ein. Die Pandemie hat ihn nur sichtbarer gemacht.
Lernrückstände von sieben Monaten bis zu einem Jahr sind keine Ausnahme mehr. Kinder, die ohnehin weniger Unterstützung bekommen, fallen besonders stark zurück. Der soziale Hintergrund entscheidet damit mehr denn je über Bildungserfolg – trotz gegenteiliger politischer Versprechen.
Ursachen reichen tiefer als Handys oder TikTok
UNICEF räumt in seinem Bericht mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: Digitale Medien allein sind nicht schuld. Zwar verbringen Kinder heute mehr Zeit am Bildschirm, doch entscheidend für ihr Wohlbefinden sind andere Faktoren. Was zählt, sind stabile Beziehungen, gute Schulen, erreichbare Hilfeangebote – kurz: verlässliche Strukturen.
Der Bericht spricht von einer „komplexen Gemengelage“. Es reicht nicht aus, die Smartphone-Zeit zu begrenzen. Nötig sind gezielte Investitionen in die Betreuung, psychische Gesundheit und Bildungsgerechtigkeit.
Übergewicht bleibt konstant hoch
Auch körperlich geht es vielen Kindern immer schlechter. In Deutschland sind laut UNICEF rund 25 Prozent der Kinder übergewichtig und das seit Jahren. Bewegung, gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf kommen in vielen Familien zu kurz. Schule und Kita könnten hier gezielt gegensteuern – etwa mit täglichen gesunden Mahlzeiten.
Ein starker Körper hilft nicht nur gegen Krankheiten, sondern wirkt sich auch positiv auf die Psyche aus. Wer sich fit fühlt, hat mehr Energie und Selbstvertrauen. Doch gerade Kinder aus schwierigen Verhältnissen haben oft keinen Zugang zu Sportangeboten oder frischer Ernährung.
UNICEF: Der Staat muss nicht nur reden, sondern auch handeln
UNICEF fordert deshalb nicht nur bessere Strukturen, sondern auch mehr Mitsprache für Kinder. Die Einrichtung einer Kinderbeauftragtenstelle auf Bundesebene sei überfällig, ebenso wie verbindliche Beteiligungsrechte in Schule und Kommune. Kinder sollen nicht nur gefragt, sondern wirklich gehört werden.
Zusammengefasst schlägt UNICEF folgende politische Maßnahmen vor:
- Mentale Gesundheit stärken: Mehr Prävention, bessere Versorgung, engere Verzahnung von Schule und Hilfsangeboten.
- Gesunde Ernährung ermöglichen: Eine kostenlose, ausgewogene Mahlzeit pro Tag für jedes Schulkind.
- Bildungsgerechtigkeit erhöhen: Besonders benachteiligte Kinder gezielt fördern – auch digital.
- Kinderrechte ernst nehmen: Beteiligung sichern, Kinderbeauftragte einsetzen, Perspektiven einbeziehen.
„Auch das Vorhaben der Koalition, die mentale Gesundheit von Kindern mit einer eigenen Strategie zu verbessern, geht in die richtige Richtung“, so Schneider. Doch Pläne allein reichen nicht. Es braucht Taten – und zwar schnell.
Kurz zusammengefasst:
- Das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland hat sich deutlich verschlechtert – schulische Leistungen und Lebenszufriedenheit sind seit 2018 stark gesunken.
- Laut UNICEF verfügen nur noch 60 Prozent der Kinder über grundlegende Lese- und Rechenfähigkeiten – 2018 waren es noch 73 Prozent.
- Deutschland fiel im internationalen Vergleich auf Platz 25 zurück – betroffen sind vor allem benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Übrigens: Während UNICEF warnt, wie sehr das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland zurückgeht, zeigt eine aktuelle Studie aus London, wie stark unsere mentale Gesundheit über den Tag schwankt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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