Digitale Erschöpfung – Wenn der Job zum Energieräuber wird
Digitale Erschöpfung entsteht nicht durch die Arbeit selbst, sondern durch die dauernde Reizflut. Wer ständig unterbrochen wird, verliert Energie und Fokus.

Zwischen Mails, Meetings und Chat-Nachrichten: Der digitale Arbeitsalltag bringt viele an ihre Belastungsgrenze. © Pexels
E-Mail-Flut, Chat-Nachrichten, Meetings, unendlich viele Tools – sie alle prägen den digitalen Arbeitsalltag der meisten sogenannten Wissensarbeiter. Das Resultat sind Stress, Überforderung, fehlender Fokus und Mangel an Kreativität – kurz: digitale Erschöpfung. Oft wird der Arbeitstag beendet mit dem Gefühl: „Habe ich überhaupt etwas geschafft?“ Und das, obwohl man den ganzen Tag unter Dauerstrom gearbeitet hat und sich am Ende völlig ausgebrannt fühlt. Wie schaffen wir es in einem derart überfrachteten Arbeitsalltag wieder zu Fokus und Produktivität zu kommen und gleichzeitig abends mit einem guten Gefühl und entspannt in den Feierabend zu gehen?
Wir müssen gehirngerechtes Arbeiten lernen
Eine Studie des Think Tank Next Work Innovation hat ergeben, dass Wissensarbeiter im Schnitt alle 4 Minuten unterbrochen werden. Allein diese Zahl zeigt deutlich, dass wir nicht mehr fokussiert arbeiten. Doch heißt das allein bereits, dass wir nicht produktiv sind?
Wagen wir hierfür einen Blick in unser Gehirn. Unsere Denkzentrale ist ein Monotasking-Gehirn. Tun wir mehrere Dinge parallel, so ist es, als würden wir mehrere Tabs in unserem Gehirn offenhalten und zwischen ihnen hin- und herspringen. Das kostet unglaublich viel Energie. Die Energie und Kapazität unseres Gehirns sind laut Daniel Kahneman jedoch sehr begrenzt. Sind sie aufgebraucht, sinkt die Leistungsfähigkeit, es fällt schwerer Entscheidungen zu treffen oder kreativ zu sein.
Digitale Arbeitswelt überfordert systematisch – Stress wird zum Dauerzustand
Übersteigen die Anforderungen die Ressourcen, kommt es zu Stress. Die Vielzahl an Unterbrechungen, die Menge an Informationen und der häufig bestehende Zeitdruck führen zu erhöhten Anforderungen in einer digitalen Arbeitswelt, die natürlicherweise kaum durch die bestehenden Ressourcen (Zeit, Fokus und Kompetenzen) erfüllbar sind. Außerdem fördert eine fragmentierte reaktive Arbeitsweise emotionale Erschöpfung und das Gefühl der Fremdbestimmung. Beide Punkte spielen in Zusammenhang mit Burnout eine Rolle. Stress ist in einer digitalen Arbeitswelt vorprogrammiert.
Wer benutzt hier eigentlich wen?
Das Handy vibriert und wir greifen direkt danach. Eine E-Mail-Benachrichtigung erscheint und wir lesen sie direkt oder öffnen eventuell sogar direkt das E-Mail-Postfach. Wenn man das so liest, wirkt es fast, als würde man nicht mehr selbst entscheiden. Die Prozesse, die dabei in unserem Gehirn ablaufen, ähneln dabei tatsächlich einer Fernsteuerung. Das Problem ist, dass unser Gehirn sich daran gewöhnt. Diese Reize werden immer schwerer zu ignorieren – gleichzeitig schwindet die Fähigkeit, konzentriert bei einer Sache zu bleiben.
Aber: Wir können unser digitales Verhalten verändern – weg von der Fremdbestimmung, hin zu einem bewussten und selbstbestimmten Umgang mit Technik.
Produktiv bleibt nur, wer seine Arbeitsweise verändert
Die Anforderungen moderner Wissensarbeit überfordern unser Gehirn, das für ganz andere Aufgaben geschaffen wurde. Wir arbeiten nicht gehirngerecht. Da die Evolution deutlich langsamer ist als unsere Digitalisierung, müssen wir aktiv werden und lernen, wie wir richtig arbeiten in einer digitalen Arbeitswelt, wenn wir weiterhin produktiv statt ausgelaugt sein wollen.
Tipps für die aktive Umsetzung im Arbeitsalltag:
- Benachrichtigungen deaktivieren – idealerweise von allen Anwendungen und Apps, sowohl auf dem Rechner als auch auf dem Smartphone
- Monotasking – eine Aufgabe bearbeiten, bis sie beendet ist, ohne zwischendurch Mails zu checken oder das Handy in die Hand zu nehmen. Sollte man doch einer anderen Tätigkeit nachgehen wollen, kurz innehalten und sich fragen: „Weshalb möchte ich gerade etwas anderes tun? Was brauche ich eigentlich? Vielleicht eine Pause oder Unterstützung?“
- Fokuszeiten – Zeiten definieren, in denen man fokussiert arbeitet. Diese im Kalender blocken und verteidigen wie ein Meeting mit dem Chef. Dabei realistisch bleiben, was die Menge an Fokuszeit angeht und klein starten (z.B. lieber öfter 30 Minuten oder 1 Stunde Fokuszeit als direkt 3 Stunden).
- Fokuszeit-Setup – Programme schließen, die nicht benötigt werden, Fokusmodus z.B. im Chatprogramm einstellen, Handy idealerweise in einen anderen Raum legen und stumm schalten.
- Batchen – um die Fragmentierung des Tages zu reduzieren, ähnliche Aufgaben gesammelt bearbeiten. Beispiel E-Mails: Zwei Mal täglich alle Mails, die man beantworten kann, am Stück beantworten.
- Wahre Pausen fürs Gehirn – unser Gehirn hat erst dann Pause, wenn keine Informationen mehr auf es einströmen. Das bedeutet: Durch Social Media scrollen oder einen Podcast hören, ist keine wirkliche Pause. Auch einfach mal für ein paar Minuten nichts tun und ein Loch in die Luft schauen.
Unser Kopf ist keine Maschine. Wer wieder klar denken, kreativ sein und nicht in die digitale Erschöpfung rutschen will, muss lernen, die Technik nicht über sich bestimmen zu lassen. Nur so bleibt Arbeit auf Dauer gesund und produktiv.
Mentale Gesundheit ist die Basis für Erfolg – für Einzelne, Teams und ganze Unternehmen. Als ehemalige Führungskraft in der Digitalwirtschaft kennt Sandra Mederer, Gründerin von MindFarm, die Herausforderungen moderner Arbeit aus erster Hand. Nach einem Burn-out fand sie Wege, wieder gesund und produktiv zu arbeiten – und gibt dieses Wissen heute weiter. Als ICF-zertifizierter Coach (ACC) und Expertin für mentale Gesundheit, Resilienz, Achtsamkeit und produktives Arbeiten unterstützt sie Unternehmen mit praxisnahen Workshops und (Team-)Coachings.
Kurz zusammengefasst:
- Digitaler Dauerstress reduziert Produktivität: Wissensarbeiter sind ständig Unterbrechungen ausgesetzt, was zu Stress, Erschöpfung und dem Verlust von Fokus führt – unser Gehirn ist für diese Art von Multitasking nicht gemacht.
- Digitale Geräte übernehmen die Kontrolle: Durch ständige Reize wie Benachrichtigungen reagieren wir oft automatisch, wodurch unsere Fähigkeit zum fokussierten Arbeiten und zur Selbststeuerung leidet.
- Gehirngerechtes Arbeiten ist erlernbar: Gezielte Maßnahmen wie das Deaktivieren von Benachrichtigungen, bewusstes Monotasking, Fokuszeiten und echte Pausen helfen gegen digitale Erschöpfung. So kann produktives und gesundes Arbeiten wieder gelingen.
Übrigens: Die Digitalisierung verändert mehr als nur den Alltag – sie lässt alte Fähigkeiten verkümmern. Bei der Gen Z geht sogar das Schreiben von Hand immer mehr verloren. Mehr dazu in unserem Artikel.
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