Im Darm entscheidet sich früh, wer zunimmt – und die Leber spielt dabei eine Schlüsselrolle
Noch bevor Werte im Blut auffallen, entscheidet der Darm mit: Stoffe aus der Darmflora steuern in der Leber, wie der Körper Gewicht reguliert.
Warum Menschen unterschiedlich zunehmen, entscheidet sich nicht erst auf der Waage: Darm und Leber steuern früh, wie der Körper mit Energie umgeht. © Unsplash
Warum manche Menschen schnell an Gewicht zulegen, während andere trotz ähnlicher Ernährung schlank bleiben, beschäftigt die Forschung seit Jahrzehnten. Eine neue Studie der Harvard University liefert nun eine präzisere Antwort: Entscheidend ist nicht allein, was gegessen wird, sondern welche Stoffe aus dem Darm zuerst die Leber erreichen.
Die Untersuchung zeigt, dass bestimmte Moleküle aus der Darmflora über die Pfortader direkt in die Leber gelangen und dort den Stoffwechsel steuern. Dieser frühe Kontakt entscheidet mit darüber, ob der Körper Fett speichert, Zucker effizient verarbeitet oder in Richtung Insulinresistenz driftet. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Cell Metabolism veröffentlicht.
Darm-Leber-Achse bei Fettleibigkeit: Warum die Leber zuerst reagiert
Im Mittelpunkt der Studie stehen sogenannte Metabolite. Das sind kleine Stoffwechselprodukte, die entstehen, wenn Darmbakterien Nahrung verarbeiten. Anders als lange angenommen wirken sie nicht erst im gesamten Blutkreislauf, sondern erreichen zunächst konzentriert die Leber – über die Pfortader, die den Darm direkt mit ihr verbindet.
„Die Pfortader ist der erste Ort, an dem Produkte des Mikrobioms ankommen. In der Leber können sie umgewandelt oder weitergeleitet werden – und so den gesamten Stoffwechsel beeinflussen“, erklärt Erstautor Vitor Rosetto Muñoz.
Die Forscher verglichen Mäuse mit unterschiedlicher genetischer Veranlagung für Übergewicht. Einige Tiere erhielten eine fettreiche Ernährung, andere zusätzlich Antibiotika, die gezielt das Darmmikrobiom verändern. Dabei zeigte sich: Sowohl Ernährung als auch Zusammensetzung der Darmflora bestimmen, welche Metabolite die Leber erreichen – und in welcher Menge.

Diese Darmstoffe verstärken die Insulinwirkung in der Leber
Besonders auffällig waren drei Metabolite: Mesaconat, Itaconat und Citraconat. Sie stammen aus dem Zitronensäurezyklus, einem zentralen Prozess der Energiegewinnung in Zellen. Gelangen diese Stoffe aus dem Darm in die Leber, verbessern sie dort messbar die Insulinwirkung.
In Zell- und Tierversuchen zeigte sich unter anderem:
- Die Aktivität der Insulinrezeptoren nahm um rund 30 Prozent zu.
- Ein zentrales Enzym der Insulin-Signalübertragung arbeitete bis zu 80 Prozent stärker.
- Die Neubildung von Fettsäuren in der Leber sank deutlich, während die Fettverbrennung zunahm.
Leberzellen speicherten weniger Fett und nutzten Energie effizienter. Die Metabolite wirken damit nicht nur als Marker eines gesunden Stoffwechsels, sie greifen auch aktiv regulierend ein.
Fettreiche Ernährung schwächt schützende Darm-Leber-Signale
Die Studie zeigt auch, wie empfindlich dieses System reagiert. Nach elf Wochen mit stark fettreicher Kost nahm die Zahl der günstigen Metabolite im Pfortaderblut deutlich ab. Gleichzeitig stiegen entzündungsfördernde Fettsäuren an, die mit Insulinresistenz in Verbindung stehen.
Wurde das Darmmikrobiom dagegen gezielt verändert, etwa durch das Antibiotikum Vancomycin, verschob sich das Gleichgewicht erneut. Der Anteil von Mesaconat stieg, problematische Bakterien gingen zurück, und die Leber reagierte wieder empfindlicher auf Insulin. Die Tiere regulierten ihren Blutzucker besser und lagerten weniger Fett ein.
Gene bestimmen, wie stark die Darm-Leber-Achse wirkt
Nicht alle Tiere reagierten gleich. Mäuse, die genetisch weniger anfällig für Stoffwechselstörungen waren, besaßen eine Darmflora mit höherem Anteil bestimmter Bakterienarten, die mit günstigen Metaboliten verbunden sind. Diese Tiere verbrannten mehr Fett und hielten ihre Insulinwerte stabil.
Anfällige Mäuse dagegen wiesen häufiger Bakterien auf, die entzündungsfördernde Stoffe produzieren. Das spiegelte sich in erhöhten Insulinspiegeln, stärkerer Fetteinlagerung und einer geringeren Stoffwechselaktivität wider. An der Darm-Leber-Achse zeigt sich damit, warum Fettleibigkeit biologisch sehr unterschiedlich entsteht.
Hinweise aus Humanstudien stützen den Mechanismus
Dass diese Zusammenhänge nicht auf Mäuse beschränkt sind, zeigen Daten aus der Jackson Heart Study. In dieser großen Langzeituntersuchung war der Spiegel von Citraconat beim Menschen umso niedriger, je höher der Nüchternblutzucker lag. Höhere Citraconatwerte gingen mit einer besseren Blutzuckerregulation einher.
Die Autoren werten das als Hinweis, dass die in der Studie identifizierten Mechanismen auch beim Menschen relevant sind – insbesondere für die Entstehung von Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit.
Was die Ergebnisse für den Alltag bedeuten
Die Studie verschiebt den Blick auf Übergewicht. Entscheidend ist nicht nur die Kalorienbilanz, sondern ein früher biologischer Filter: die Darm-Leber-Achse. Sie bestimmt, ob Nahrungsbestandteile den Stoffwechsel belasten oder stabilisieren – lange bevor klassische Blutwerte auffällig werden.
Für die Medizin bedeutet das vor allem: Künftig könnten Ernährung, Präbiotika oder gezielte Wirkstoffe so eingesetzt werden, dass die Darmflora vermehrt günstige Metabolite produziert. Damit ließe sich möglicherweise früher und gezielter gegen Insulinresistenz und Fettleibigkeit vorgehen.
Kurz zusammengefasst:
- Darmbakterien bilden Moleküle, die über die Pfortader zur Leber gelangen und dort den Stoffwechsel sowie die Insulinempfindlichkeit regulieren – ein Mechanismus, der erklären kann, warum Menschen unterschiedlich auf Ernährung reagieren.
- Bestimmte Substanzen wie Mesaconat, Itaconat und Citraconat verbessern die Energieverwertung, steigern die Insulinwirkung um bis zu 80 Prozent und senken die Fettspeicherung in Leberzellen deutlich.
- Eine gesunde Darmflora mit den richtigen Bakterienarten fördert diese Prozesse, während fettreiche Ernährung und entzündungsfördernde Keime sie abschwächen – ein möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien gegen Übergewicht und Diabetes.
Übrigens: Fettgewebe ist mehr als ein passiver Speicher – es sendet Botenstoffe, die offenbar das Gehirn beeinflussen. Eine neue Studie zeigt, dass Übergewicht Alzheimer im Körper messbar beschleunigt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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