Demenz erkennen hinterm Steuer – Änderungen am Fahrverhalten liefern erste Warnzeichen
Das Fahrverhalten kann Hinweise auf eine beginnende Demenz liefern – schon Jahre vor einer möglichen Diagnose.
Daten aus dem Fahrverhalten könnten künftig helfen, Menschen mit einem erhöhten Risiko für geistigen Abbau frühzeitig zu erkennen. © Unsplash
Der Radius wird kleiner, die Fahrten seltener, nachts wird irgendwann gar nicht mehr gefahren. Für viele ältere Autofahrer ist das nicht ungewöhnlich. Eine Langzeitstudie der American Academy of Neurology legt nun jedoch nahe: Solche leisen Verschiebungen im Alltag können mit frühen geistigen Problemen zusammenhängen – noch bevor Ärzte eine leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) feststellen.
Dafür zeichneten Forscher bei älteren Autofahrern das Fahrverhalten im Alltag per GPS-Datenlogger auf – teils bis zu 40 Monate lang – und verglichen die Muster über Jahre mit jährlichen Gedächtnis- und Kliniktests.
GPS-Daten machen Gehirnveränderungen sichtbar
Das Team um Ganesh M. Babulal von der Washington University School of Medicine in St. Louis begleitete 298 ältere Autofahrer über mehr als drei Jahre. Die Teilnehmer waren im Schnitt 75 Jahre alt, fuhren mindestens einmal pro Woche und waren zu Beginn der Studie noch aktiv im Straßenverkehr. 56 von ihnen hatten bereits eine leichte kognitive Beeinträchtigung, 242 galten als geistig gesund.
Alle Autos wurden mit GPS-Datenloggern ausgestattet, die jede Fahrt automatisch erfassten – vom Fahrbeginn bis zur Ankunft, einschließlich Streckenlänge, Dauer, Tageszeit, Geschwindigkeit, Bremsverhalten und Routenabweichungen. Parallel nahmen die Teilnehmer regelmäßig an Tests zur Denk- und Gedächtnisleistung teil. Auch genetische Faktoren wie das Alzheimer-Risikogen APOE ε4 wurden erhoben.
Fahrverhalten verbessert Vorhersagekraft gegenüber Demenz-Tests
Zu Beginn der Untersuchung unterschieden sich die Fahrmuster kaum. Doch im Verlauf der Jahre fuhren die Studienteilnehmer mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen seltener, kürzer und meist auf vertrauten Wegen. Sie verzichteten häufiger auf Nachtfahrten und änderten ihre gewohnten Routen kaum noch.
Mit diesen GPS-Daten konnten die Forscher in 82 Prozent der Fälle richtig vorhersagen, ob jemand eine leichte kognitive Beeinträchtigung entwickelt hatte. Kombinierten sie die Daten mit Alter, Testwerten und genetischen Merkmalen, stieg die Genauigkeit auf 87 Prozent. Ohne Fahrdaten lag die Trefferquote nur bei 76 Prozent. Babulal erklärt:
Wir konnten mit einem GPS-Daten-Tracking-Gerät genauer bestimmen, wer kognitive Probleme entwickelt hatte, als mit Alter, Gedächtnistests oder genetischen Faktoren allein.
Kleine Veränderungen am Steuer als Warnsignal
Die Studie zeigt, dass alltägliche Verhaltensänderungen am Steuer ein Frühwarnzeichen sein können – lange bevor Gedächtnisprobleme im Alltag auffallen. Typische Veränderungen, die laut Forschern aufhorchen lassen sollten, sind:
- Weniger Fahrten pro Monat: durchschnittlich rund eine halbe Fahrt weniger pro Monat.
- Rückgang der Nachtfahrten: spürbare Abnahme im Vergleich zu gesunden Fahrern.
- Weniger Routenvielfalt: spontane Umwege oder längere Strecken wurden seltener.
„Das tägliche Fahrverhalten zu beobachten, ist eine relativ einfache und unaufdringliche Möglichkeit, kognitive Fähigkeiten einzuschätzen“, so Babulal. Dadurch könne man gefährdete Fahrer früher erkennen – noch bevor es zu Unfällen oder Beinahe-Kollisionen kommt, wie sie im späteren Verlauf häufig auftreten.
Ethischer Umgang mit sensiblen Fahrverhaltensdaten
Nach Angaben der Forscher ist die frühe Erkennung gefährdeter Fahrer auch aus Sicht der öffentlichen Gesundheit wichtig. Sie kann helfen, rechtzeitig Unterstützung anzubieten, um Sicherheit und Mobilität möglichst lange zu erhalten.
Gleichzeitig muss der Umgang mit diesen Daten sensibel erfolgen. „Wir müssen die Autonomie, die Privatsphäre und die informierte Entscheidung der Menschen respektieren und sicherstellen, dass ethische Standards eingehalten werden“, sagt Babulal.
Kurz zusammengefasst:
- Das Fahrverhalten kann frühe Anzeichen einer beginnenden Demenz zeigen – etwa, wenn ältere Menschen seltener fahren, Nachtfahrten meiden oder nur noch vertraute Strecken wählen.
- Eine US-Studie beobachtete über drei Jahre 298 Autofahrer und konnte mit GPS-Daten kognitive Beeinträchtigungen mit bis zu 87 Prozent Genauigkeit erkennen.
- Solche Alltagssignale können helfen, Gedächtnisprobleme frühzeitig zu entdecken, bevor Unfälle passieren – vorausgesetzt, Datenschutz und Privatsphäre werden gewahrt.
Übrigens: Eine neue KI könnte bald erkennen, wo im Straßenverkehr Gefahr droht – noch bevor ein Unfall passiert. Wie das System „SeeUnsafe“ funktioniert und warum es Städte sicherer machen könnte, mehr dazu in unserem Artikel.
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