Mädchen reagieren besonders empfindlich auf pränatalen Stress – Studie zeigt frühe Schwächung von Psyche und Immunsystem

Pränataler Stress greift bei Mädchen früh in zentrale Körperfunktionen ein, vor allem Psyche und Immunabwehr sind betroffen.

Pränataler Stress belastet Mädchen körperlich stärker als Jungen

Geborgenheit nach der Geburt zählt – doch viele Mädchen bringen schon erste Spuren seelischer Belastung mit: Die Psyche der Mutter wirkt bis in das Immunsystem des Kindes hinein. © Pexels

Eine schwangere Frau spürt die ersten leichten Tritte ihres Babys. Doch während außen Vorfreude herrscht, wächst in ihr die Anspannung – beruflicher Druck, finanzielle Sorgen, schlaflose Nächte. Was viele nicht wissen: Diese inneren Belastungen erreichen das Kind. Neue Erkenntnisse der Hebrew University of Jerusalem zeigen, dass sich pränataler Stress in der Schwangerschaft bereits vor der Geburt messbar im Körper des Babys niederschlägt und das besonders bei Mädchen.

Forscher des Edmond and Lily Safra Center for Brain Science untersuchten Nabelschnurblut von über 120 Neugeborenen. Ihr Ziel: herausfinden, ob und wie sich das Stressempfinden der Mutter in der späten Schwangerschaft auf das Kind überträgt. Der Fokus lag auf winzigen RNA-Abschnitten, sogenannten tRFs, die im Körper wichtige Prozesse steuern, darunter auch das Gleichgewicht im Stresssystem.

Verluste im Zellprogramm weiblicher Babys nachweisbar

Besonders bei neugeborenen Mädchen entdeckten die Wissenschaftler deutliche Spuren des mütterlichen Stresses. Ganze Familien dieser tRFs, speziell jene aus dem Erbgut der Mitochondrien, waren fast verschwunden. Diese sogenannten CholinotRFs beeinflussen Gene, die unter anderem für die Produktion und Regulierung von Acetylcholin verantwortlich sind – einem zentralen Botenstoff für die Reizweiterleitung im Gehirn und die Steuerung der Immunabwehr.

Wir sehen eine klare Verbindung zwischen dem Stress der Mutter und der biologischen Ausstattung der Kinder, noch bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblicken.

Prof. Hermona Soreq, Studienleiterin
Die Studie analysierte Blut von 120 Mutter-Kind-Paaren mit vaginaler Geburt, um anhand von Stressskalen, Enzymaktivität und RNA-Profilen den Einfluss pränatalen Stresses zu untersuchen. © Studie
Die Studie analysierte Blut von 120 Mutter-Kind-Paaren mit vaginaler Geburt, um anhand von Stressskalen, Enzymaktivität und RNA-Profilen den Einfluss pränatalen Stresses zu untersuchen. © Studie

Mädchen büßen Immunsteuerung ein, Jungen zeigen Stressüberreaktion

Acetylcholin spielt eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Reizen, bei Gedächtnisfunktionen und bei der Regulation von Entzündungen. Wenn das System dahinter aus dem Gleichgewicht gerät, kann das langfristige Folgen für die psychische Stabilität und körperliche Gesundheit haben.

Bei Mädchen zeigten sich diese molekularen Verschiebungen besonders deutlich. Jungen reagierten hingegen auf andere Weise: Ihr Blut wies erhöhte Mengen eines Enzyms namens Acetylcholinesterase auf. Dieses Enzym sorgt normalerweise dafür, dass Acetylcholin abgebaut wird. Ein Anstieg kann bedeuten, dass ihr Stresssystem von Anfang an überaktiv arbeitet und schwerer zur Ruhe kommt.

Jeder dritte Schwangere fühlt sich dauerhaft überfordert

Gerade deshalb hat die Studie große Relevanz für den Alltag: Viele Frauen erleben in der Schwangerschaft massive psychische Belastungen – durch Arbeitsstress, finanzielle Sorgen oder familiäre Konflikte. Nach Angaben internationaler Studien fühlen sich rund ein Drittel der Schwangeren dauerhaft gestresst. Diese innere Anspannung wirkt sich laut den neuen Ergebnissen weit stärker aus als bisher angenommen.

KI erkennt gestresste Babys mit 95 Prozent Treffsicherheit

Mit einer KI-gestützten Analyse konnten die Forscher weibliche Neugeborene anhand ihrer CholinotRF-Profile mit 95 Prozent Genauigkeit dem mütterlichen Stress zuordnen. Eine so hohe Trefferquote sei ungewöhnlich, betont Co-Autorin Shani Vaknine. „Diese Moleküle im Blut könnten uns künftig helfen, besonders empfindliche Kinder früh zu identifizieren und sie gezielt zu unterstützen.“

Wenn Stressbelastung in der Schwangerschaft künftig molekular nachweisbar wird, könnten auch Vorsorge und Therapie besser angepasst werden, bevor psychische oder körperliche Probleme entstehen.

Mentale Gesundheit in der Schwangerschaft betrifft mindestens zwei

Die neuen Daten liefern erstmals präzise molekulare Hinweise darauf, wie stark sich seelischer Druck in der Schwangerschaft und pränataler Stress auf das ungeborene Kind überträgt und wie unterschiedlich Mädchen und Jungen darauf reagieren.

Wir unterschätzen oft, wie viel Einfluss die mentale Verfassung einer Schwangeren auf die Gesundheit des Kindes hat.

Shani Vaknine

Je früher Belastungen erkannt und abgefedert werden, desto besser stehen die Chancen für einen gesunden Start ins Leben. Mentale Gesundheit in der Schwangerschaft ist demnach nicht nur wichtig für die Mutter, sondern auch für die langfristige Entwicklung des Kindes.

Kurz zusammengefasst:

  • Psychischer Stress in der Schwangerschaft verändert bereits vor der Geburt messbar das Stress- und Immunsystem des Kindes – besonders bei Mädchen.
  • Bei Mädchen verschwinden wichtige RNA-Steuerungsmoleküle, Jungen zeigen dagegen eine Überreaktion im Enzymsystem zur Stressverarbeitung.
  • Die Veränderungen lassen sich im Blut nachweisen – mit 95 Prozent Genauigkeit, was neue Chancen für frühe Diagnostik und gezielte Hilfe eröffnet.

Übrigens: Auch der Geburtsweg hinterlässt Spuren im kindlichen Immunsystem. Neue Daten aus Schweden deuten darauf hin, dass ein geplanter Kaiserschnitt das Leukämie-Risiko bei Kindern leicht erhöht – vor allem bei Jungen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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