Trinken und herrschen – Studie belegt Zusammenhang zwischen Alkohol und staatlicher Ordnung
Ob in China, Ägypten oder dem Gran Chaco – überall half Alkohol beim Aufbau komplexer Gesellschaften und dem Erhalt politischer Strukturen.

Bier und andere alkoholische Getränke waren ein wichtiger Bestandteil früherer Hochkulturen. © Dick Osseman
Nach einem Glas Bier oder Wein wird man gleich geselliger, die Sorgen des Tages sind für kurze Zeit vergessen. Das war auch den Menschen vor tausenden von Jahren bekannt. In vielen menschlichen Gesellschaften, vor allem aber in frühen Hochkulturen, diente Alkohol aber nicht nur dem Vergnügen: Er wurde gezielt genutzt, um Macht zu festigen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.
Alkohol steht in Verbindung mit komplexeren Strukturen
Neue Auswertungen ethnografischer Daten deuten darauf hin, dass Alkohol beim Aufbau komplexer Gesellschaften eine größere Rolle spielte, als bisher angenommen. Besonders auffällig ist der Zusammenhang zwischen Alkohol und politischer Organisation.
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zeigt in einer neuen Studie: Gesellschaften, die alkoholische Getränke selbst herstellten, verfügten deutlich häufiger über komplexe politische Strukturen – etwa mit zentraler Führung oder mehreren Verwaltungsebenen.
Die Untersuchung stützt sich auf Daten von 186 historischen Gesellschaften, hauptsächlich aus Afrika, Eurasien und Südamerika. Die ethnografischen Berichte stammen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Forscher nutzten zwei Datensätze: einen mit 160 Gesellschaften, einen zweiten mit 129 Fällen, die strengere Auswahlkriterien erfüllten.
In beiden Stichproben zeigte sich ein deutlicher Trend: Sobald indigener Alkohol nachgewiesen werden konnte, stieg auch die politische Komplexität. Selbst wenn Umweltbedingungen und Landwirtschaft berücksichtigt wurden, blieb ein relevanter Zusammenhang bestehen.
Alkohol als sozialer Klebstoff
Der Religionswissenschaftler Edward Slingerland schreibt in seinem Buch „Drunk: How We Sipped, Danced and Stumbled Our Way to Civilization“, dass Alkohol gezielt dazu genutzt wurde, um Gruppenbindung, Kreativität und Zusammenarbeit zu fördern – Eigenschaften, die für größere Gesellschaften entscheidend sind.
Belege dafür finden sich weltweit:
- Bereits um 7000 v. Chr. vergor man in China eine Mischung aus Reis, Honig und Früchten.
- Die Okiek in Afrika stellten Met aus Honig her.
- In Südamerika brauten die Menschen im Gran Chaco Bier aus den Hülsen der Prosopis-Pflanze.
- Selbst in Tasmanien, wo es keine Landwirtschaft gab, wurde Wein aus Eukalyptussaft gewonnen.
Alkohol entstand also in ganz unterschiedlichen Regionen und nicht nur als Nebenprodukt des Ackerbaus.
Alkohol als Mittel politischer Kontrolle
In frühen Staatswesen war Alkohol mehr als ein Genussmittel – er wurde zur politischen Strategie. In Mesopotamien oder Ägypten veranstalteten Herrscher große Trinkfeste, um Loyalität zu sichern und Abhängigkeiten zu schaffen. Der Anthropologe Michael Dietler beschrieb Alkohol bereits im Jahr 1990 als:
… ein Medium, das es ermöglicht, landwirtschaftliche Überschüsse indirekt in Arbeit, Prestige, ’soziales Kapital‘, politische Macht, Brautpreis oder dauerhafte Wertgegenstände umzuwandeln.
Auch in kleineren, nicht-staatlichen Gesellschaften war Alkohol von Bedeutung. Nach gemeinsamer Arbeit lockten Feiern mit Getränken. Der Anthropologe Jules Henry beobachtete im Jahr 1941 bei den brasilianischen Kainang, dass ihre Trinkfeste „ebenso oft Schauplatz heftiger Streitigkeiten und Unruhen wie von Freundlichkeit und Solidarität waren.“ Der Rausch konnte Konflikte anheizen – oder Gemeinschaft stärken.

© Jim Kuhn via Wikimedia unter CC BY 2.0
Landwirtschaft bleibt stärkster Einflussfaktor
Neben Alkohol berücksichtigten die Forscher auch weitere mögliche Ursachen, die die gesellschaftliche Entwicklung beeinflussten – etwa Ackerbau, Umweltbedingungen und andere Rauschmittel. Am stärksten wirkte die Landwirtschaft: Ihre Effektwerte lagen sogar deutlich über denen des Alkohols.
Faktoren wie Niederschlag oder Temperatur beeinflussten die politische Komplexität nur am Rand. Und andere Drogen wie Kava, Cannabis oder Tabak bremsten die Ausbreitung alkoholischer Getränke nicht. Entscheidend war letztlich nur: Gab es lokalen Alkohol oder nicht?
Modelle zeigen Zusammenhang, aber nicht Ursache
Die Studie nutzte sogenannte unidirektionale Kausalmodelle. Diese zeigen zwar, dass Alkoholkonsum mit politischer Komplexität zusammenhängt, aber nicht, ob eine Gesellschaft erst komplex werden muss, um Alkohol zu produzieren – oder umgekehrt. Rückkopplungen konnten nicht berücksichtigt werden. Spirituelle Überzeugungen oder der Einfluss von Nutztieren flossen auch nicht systematisch in die Analyse ein.
Kurz zusammengefasst:
- Alkohol spielte in vielen frühen Gesellschaften eine zentrale Rolle für den Aufbau politischer Strukturen.
- Gesellschaften mit eigener Alkoholproduktion wiesen häufiger komplexe Verwaltungsebenen auf.
- Laut der Studie verstärkte Alkohol soziale Bindung, Loyalität und Macht – vor allem in Kombination mit Landwirtschaft.
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Bild: © Dick Osseman via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0 (Bild zugeschnitten)