Innere Uhr aus dem Takt – Wie die Jahreszeiten Körper und Psyche beeinflussen
Unsere innere Uhr tickt im Takt des Lichts – selbst moderne Technik kann nicht verhindern, dass sie Schlaf, Stimmung und Gesundheit beeinflusst.

Der Tag beginnt, doch der Körper ruht noch – geführt von einer inneren Uhr, die sich nicht nach Weckern, sondern nach dem Licht richtet. © DALL-E
Elektrisches Licht, smarte Wecker, Schichtarbeit – vieles scheint darauf hinzudeuten, dass der Mensch heute unabhängig von Tageslicht lebt. Doch diese Annahme trügt. Eine aktuelle Studie der University of Michigan zeigt: Unsere innere Uhr folgt auch im Jahr 2025 noch dem Licht der Jahreszeiten. Und das hat direkte Folgen – für die persönliche Stimmung, den Körper und das eigene Wohlbefinden.
„Menschen sind saisonal, auch wenn wir das in unserem modernen Kontext vielleicht nicht zugeben wollen“, sagt Ruby Kim, Mathematikerin und Mitautorin der Studie. Auch bei künstlicher Beleuchtung passt sich unser Körper dem natürlichen Licht an. Und nicht jeder kommt gleich gut damit klar.
Zirkadiane Rhythmen steuern mehr als nur den Schlaf
Im Zentrum der Studie stehen die zirkadianen Rhythmen – also die biologischen Abläufe im Körper, die sich am Tag-Nacht-Wechsel orientieren. Die innere Uhr beeinflusst, wann man müde wird, wie tief man schläft und wann der Körper bereit für Leistung ist. Diese Rhythmen ticken nicht gleichmäßig durchs Jahr, sondern passen sich der Tageslänge an.
Die Forscher werteten dafür Daten von mehreren Tausend Assistenzärzten in den USA aus. Alle nahmen an der sogenannten „Intern Health Study“ teil. Ihre Schlafzeiten wurden über ein Jahr hinweg per Wearables wie Fitbits aufgezeichnet – also mit Geräten, die Schrittzahl, Aktivität und Ruhephasen messen. Die Teilnehmer hatten wechselnde Arbeitszeiten, Nachtschichten und hohen Stress. Trotzdem war erkennbar: Je nach Jahreszeit veränderte sich ihr Schlafrhythmus messbar.
Die Dämmerung stellt den inneren Wecker
„Es gibt nicht wirklich eine einzige innere Uhr“, erklärt Daniel Forger, Professor für Mathematik an der University of Michigan. „Es sind zwei, die versuchen, die Morgendämmerung und die Abenddämmerung zu verfolgen.“ Unser Körper ist also doppelt abgestimmt: auf den Beginn und das Ende des Tages.
Und das ist keine Nebensache. Denn wenn diese Rhythmen aus dem Takt geraten – etwa im Winter, wenn es spät hell und früh dunkel wird – kann das Folgen für die Gesundheit haben. Konzentration, Antrieb und sogar das Immunsystem hängen vom richtigen Zusammenspiel dieser beiden inneren Uhren ab.
Wer besonders leidet: Menschen mit sensibler Genvariante
Nicht jeder reagiert gleich stark auf die Veränderungen. Die Studie hat auch gezeigt, dass Menschen mit einer bestimmten Genvariante sich besonders schwer tun, sich an wechselnde Tageslängen anzupassen. Ihre innere Uhr reagiert langsamer, sie schlafen schlechter, sind antriebsloser und anfälliger für depressive Verstimmungen.
„Für manche Menschen mag die Anpassung leichter sein, für andere kann es viel schlimmer sein“, so Forger. Gerade Menschen mit dieser genetischen Veranlagung könnten stärker unter Schichtarbeit, Jetlag oder dem Lichtmangel im Winter leiden. Eine Erkenntnis, die für viele Betroffene wichtig sein könnte – etwa bei der Frage, warum sie sich in bestimmten Monaten immer wieder abgeschlagen fühlen.
Winterdepression, Angstzustände, Stoffwechselprobleme – alles hängt zusammen
Die Ergebnisse helfen auch, eine bekannte Diagnose besser zu verstehen: die saisonal abhängige Depression (SAD). Diese tritt oft im Herbst oder Winter auf und wird nicht nur durch mangelndes Sonnenlicht ausgelöst, sondern offenbar auch durch die Verschiebung der inneren Uhren.
Doch das ist nur ein Teil des Problems. Die Studie legt nahe, dass auch andere Erkrankungen eng mit den zirkadianen Rhythmen verknüpft sein könnten – etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Angststörungen oder Stoffwechselprobleme. Die Erkenntnisse könnten daher langfristig den Weg zu besseren, individuell angepassten Therapien ebnen.
Innere Uhr stärken: Fünf einfache Tipps für stabile Rhythmen
Wer die eigene innere Uhr unterstützen möchte, kann einige einfache Maßnahmen in den Alltag integrieren:
- Morgens möglichst viel natürliches Licht tanken – am besten schon kurz nach dem Aufstehen.
- Den Tag über regelmäßige Schlafenszeiten einhalten, auch am Wochenende.
- Spaziergänge im Freien fest einplanen, idealerweise zur Mittagszeit.
- Am Abend auf grelles Kunstlicht und Bildschirmzeit verzichten.
- Das Schlafzimmer möglichst dunkel und kühl halten, um einen natürlichen Schlafbeginn zu fördern.
Diese Gewohnheiten stärken die zirkadianen Rhythmen und helfen dem Körper, besser mit jahreszeitlichen Veränderungen umzugehen.
Biologische Rhythmen bleiben stärker als Technik
Die moderne Welt bietet viele Möglichkeiten, den Tag zu verlängern – aber unser Körper bleibt fest in seinen Rhythmen verwurzelt. „Die Tageslänge, die Menge an Sonnenlicht, die wir bekommen, beeinflusst wirklich unsere Physiologie“, sagt Ruby Kim.
Unser zirkadianes System ist nicht überholt, sondern hochaktiv. Wer das versteht, kann besser mit Stimmungsschwankungen, Schlafproblemen und Wintertiefs umgehen und dem eigenen Körper helfen, im richtigen Takt zu bleiben.
Kurz zusammengefasst:
- Zirkadiane Rhythmen passen sich trotz künstlichem Licht weiter an Tageslängen an – sie steuern Schlaf, Stimmung und Körperfunktionen und bleiben stark vom Sonnenlicht beeinflusst.
- Im Körper arbeiten zwei biologische Uhren, die sich an Morgendämmerung und Abenddämmerung orientieren und bei manchen Menschen durch genetische Faktoren empfindlicher auf jahreszeitliche Veränderungen reagieren.
- Störungen dieser inneren Taktgeber können das Risiko für Depressionen, Schlafprobleme und Stoffwechselstörungen erhöhen – gezielte Maßnahmen wie Lichttherapie oder feste Schlafzeiten helfen, den natürlichen Rhythmus zu stabilisieren.
Übrigens: Auch das Immunsystem tickt nach einem festen Tagesrhythmus – bestimmte Abwehrzellen besitzen eine lichtgesteuerte innere Uhr. Wie stark Tageslicht unsere körpereigene Abwehr beeinflusst, zeigt eine neue Studie. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E