Viele Tiere leben queer: Homosexualität ist in der Natur weit verbreitet

Homosexuelle Paarungen dienen oft der Konfliktlösung, dem Stressabbau und der Gruppenstabilität.

Viele Tiere leben queer: Homosexualität ist in der Natur häufig

Adéliepinguine zeigen, dass gleichgeschlechtliche Bindungen im Tierreich ganz natürlich vorkommen. © Pexels

Pinguine stehen oft sinnbildlich für treue Elternpaare. Doch viele dieser Tiere leben queer – mindestens ein Drittel der Pinguinarten zeigt laut dem Standard gleichgeschlechtliches Verhalten. Schon 1911 hatte der britische Naturforscher George Murray Levick während einer Antarktisexpedition homosexuelle Interaktionen bei Adéliepinguinen dokumentiert. Doch seine Beobachtungen veröffentlichte er nicht – er schrieb sie auf Griechisch nieder und gab sie nur einem kleinen Fachkreis weiter. Der Grund: Er empfand die Szenen als zu „schockierend“.

Erst Jahrzehnte später tauchte sein Text zufällig in einem Archiv auf. Damit rückte ein bislang verdrängtes Thema in die Forschung zurück – die queere Seite der Tierwelt. Wissenschaftsautor Josh L. Davis fasst sie in seinem Buch Queer. Sex und Geschlecht in der Welt der Tiere und Pflanzen anschaulich zusammen.

Forschung ignoriert lange queeres Verhalten bei Tieren

Laut Davis dokumentieren Forscher heute gleichgeschlechtliches Verhalten bei mehr als 1.500 Tierarten. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen. Denn viele Studien aus früheren Jahrhunderten blendeten Verhaltensweisen aus, die nicht ins heteronormative Bild passten. Ein Beispiel: Weibliche Gorillas reiben ihre Genitalien aneinander – und das bis zu fünfmal länger als bei männlich-weiblichen Begegnungen.

Auch bei Giraffen sieht man queere Praktiken deutlich. In manchen Populationen machen homosexuelle Interaktionen über 90 Prozent der beobachteten Paarungen aus. Bei Hausschafen zeigen etwa 8 Prozent der männlichen Tiere regelmäßig Interesse an anderen Böcken.

Queeres Verhalten stärkt Gruppen und fördert Fürsorge

Davis verweist auf die sozialen Funktionen solcher Verhaltensweisen. Gleichgeschlechtliche Interaktionen helfen beim Stressabbau, fördern Bindung und dienen der Gruppenstabilität. Bei Bonobos und Makaken sind sie ein Mittel zur Konfliktvermeidung. Männliche Trauerschwäne wiederum ziehen zusammen Küken auf – häufig mit größerem Erfolg als gemischtgeschlechtliche Paare, weil sie sich bessere Reviere sichern.

Auch unter Pinguinen finden sich solche Partnerschaften. In vielen Zoos kümmern sich gleichgeschlechtliche Männchen erfolgreich um Eier. Für Davis wäre es überraschend, wenn eine Tierart keine queeren Merkmale aufweise.

Pflanzen und Pilze brechen alle Regeln

Die Diversität endet nicht beim Verhalten. Auch körperlich unterscheiden sich viele Tiere deutlich vom gewohnten Geschlechterbild. Schmetterlinge und Vögel treten manchmal als sogenannte Gynander auf – Wesen mit halb männlichem, halb weiblichem Körper. Pflanzen wie Lilien oder Nachtschattengewächse können ihr Geschlecht je nach Bedarf wechseln.

Ein Extremfall ist der Gemeine Spaltblättling, ein Pilz mit über 20.000 Geschlechtern. Die Paarungskompatibilität ergibt sich hier aus einem komplexen System genetischer Kombinationen – das klassische männlich-weiblich-Schema greift dabei nicht.

Tiere queer betrachten: Wie neue Perspektiven verborgene Vielfalt sichtbar machen

Historisch wurde diese Vielfalt übersehen oder als Randerscheinung dargestellt. Levicks Bericht zu den Pinguinen blieb ein Jahrhundert lang verschlossen. Erst der Fund eines der 100 Sonderhefte machte die Erkenntnisse wieder zugänglich.

Heute verändert sich der Blick. Der Begriff „queer“ beschreibt in diesem Kontext Verhalten und Körper jenseits der klassischen Einordnung – bei Tieren ebenso wie bei Pflanzen. Davis stellt fest: „Je genauer wir hinsehen, desto mehr Vielfalt entdecken wir.“

Kurz zusammengefasst:

  • Gleichgeschlechtliches Verhalten ist bei über 1.500 Tierarten dokumentiert – darunter Pinguine, Giraffen, Gorillas und Bonobos.
  • Diese Verhaltensweisen dienen nicht der Fortpflanzung, sondern stärken Bindungen, lösen Konflikte und stabilisieren Gruppen.
  • Auch körperlich zeigt die Natur Vielfalt: Manche Schmetterlinge sind halb männlich, halb weiblich – und ein Pilz besitzt über 20.000 Geschlechter.

Übrigens: Auch beim Menschen zeigt sich, wie vielfältig Geschlecht wirklich ist – rund 1,7 Prozent werden intergeschlechtlich geboren, mit körperlichen Merkmalen jenseits des klassischen männlich-weiblich-Schemas. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert