Zerfall der Mittelschicht – Immer mehr Deutsche bangen um ihren Lebensstandard

Die Armut greift um sich. Laut WSI-Studie wächst die Einkommensungleichheit. Immer mehr Deutsche fürchten um ihren Lebensstandard.

Einkommensungleichheit auf Rekordhoch: Steigende Armut bedroht den Lebensstandard vieler.

Einkommensungleichheit auf Rekordhoch: Steigende Armut bedroht den Lebensstandard vieler. © Wikimedia

Die Armut in Deutschland greift weiter um sich, und immer mehr Menschen bangen um ihren Lebensstandard. Laut einer aktuellen WSI-Studie nimmt die Einkommensungleichheit stetig zu. Der Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich neue Höchststände erreicht hat. „Deutschland steckt in einer Teilhabekrise“, erklärt Dr. Dorothee Spannagel von der Hans-Böckler-Stiftung.

Armut nimmt zu – Lebensstandard schwindet

Seit 2010 steigt die Zahl der Menschen, die in Armut leben, kontinuierlich an. Diese Entwicklung betrifft längst nicht mehr nur die unteren Einkommensgruppen. Auch die Mittelschicht kämpft zunehmend mit Existenzängsten. Der WSI-Bericht hebt hervor, dass die Corona-Pandemie und die hohe Inflation die wirtschaftliche Lage vieler Haushalte drastisch verschärft haben. Mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte und fast die Hälfte der oberen Mittelschicht befürchten, ihren Lebensstandard in Zukunft nicht halten zu können. Die Sorge um den sozialen Abstieg breitet sich aus.

Einkommensungleichheit erreicht Rekordniveau

Ein klares Zeichen für die wachsende Ungleichheit ist der Gini-Koeffizient, der 2021 mit 0,31 den höchsten Wert seit über einem Jahrzehnt erreicht hat. Diese Zahl macht die zunehmende Einkommenskluft in Deutschland deutlich. Besonders betroffen sind Arbeitslose und Menschen ohne berufliche Qualifikation. Während die Mittelschicht eine gewisse Stabilität bewahrt, rutschen die unteren Einkommensgruppen weiter ab. Das Gefühl, wirtschaftlich abgehängt zu sein, nimmt zu und vertieft die soziale Spaltung.

Anteil der Menschen mit großen Sorgen um finanzielle Lage und Arbeitsplatz nach Einkommensgruppen © WSI-Report

Vertrauen in Demokratie und Institutionen bröckelt

Mit der wachsenden Armut und den Existenzsorgen sinkt auch das Vertrauen in politische und staatliche Institutionen. Weniger als die Hälfte der Menschen in prekären Lebensverhältnissen empfindet die Demokratie in Deutschland als funktionierend. Besonders drastisch ist das Bild bei Menschen, die von Armut betroffen sind. Hier vertraut rund ein Fünftel dem deutschen Rechtssystem nur noch gering. Laut dem WSI-Bericht sehen sich viele Menschen in Armut kaum in der Lage, ihre Interessen über demokratische Prozesse zu vertreten. Für sie scheint der Glaube an eine faire politische Teilhabe immer mehr zu schwinden.

Politische Teilhabe schwindet – die Demokratie ist in Gefahr

Der Rückzug aus der politischen Teilhabe zeigt sich auch im Wahlverhalten. Ein erheblicher Teil (knapp 20 Prozent) der Menschen in Armut gibt an, bei der kommenden Bundestagswahl nicht wählen zu wollen. Die Hans-Böckler-Stiftung warnt, dass diese Entwicklung langfristig die demokratische Ordnung in Deutschland gefährden könnte. Die zunehmende Abkehr vom politischen Prozess sei ein deutliches Signal für den wachsenden Vertrauensverlust in die staatlichen Strukturen. Für die Demokratie, so der Bericht, sei dies eine beunruhigende Entwicklung, da der soziale Zusammenhalt auf dem Spiel stehe.

Potenzielle Nichtwähler nach Einkommensgruppen, 2023 (in Prozent) © WSI-Report

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WSI fordert mehr soziale Sicherheit

Um die soziale Kluft in Deutschland zu verringern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren, fordert die Hans-Böckler-Stiftung verstärkte Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit. Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, betont die Dringlichkeit: „Es ist entscheidend, das Teilhabeversprechen glaubhaft zu erneuern, das konstitutiv ist für eine demokratische, soziale Marktwirtschaft.“ In ihrem Bericht plädiert die Stiftung für die Stärkung von Tarifverträgen und die Sicherung der gesetzlichen Rente. Auch eine gerechtere Besteuerung sehr großer Vermögen wird als notwendiger Schritt gesehen, um die Finanzierung dringend erforderlicher Investitionen zu gewährleisten.

Gefahr wachsender Polarisierung – der soziale Frieden steht auf dem Spiel

Die Forscher des WSI sehen die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft mit großer Sorge. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer breiter und bedroht langfristig den Zusammenhalt. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fühlen sich viele Menschen abgehängt und fremd im eigenen Land. Für die Hans-Böckler-Stiftung steht fest: Eine gerechtere Verteilung des Wohlstands ist entscheidend, damit der soziale Frieden in Deutschland bestehen bleibt.

Was du dir merken solltest:

  • Die Einkommensungleichheit in Deutschland ist laut WSI-Bericht auf einem Rekordhoch, und die steigende Armut lässt viele um ihren Lebensstandard bangen.
  • Immer mehr Deutsche verlieren das Vertrauen in Demokratie und Institutionen; besonders Menschen in prekären Verhältnissen fühlen sich politisch abgehängt.
  • Das WSI fordert dringend die Stärkung von Tarifverträgen, der gesetzlichen Rente und eine gerechtere Vermögensbesteuerung, um die soziale Spaltung zu verringern.

Bild: © Lienhard Schulz via Wikimedia unter CC BY-SA 3.0

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