Musik berührt nicht alle gleich – Was unsere Gene damit zu tun haben

Eine Studie mit über 9.000 Teilnehmern zeigt: Ob uns Musik berührt oder kaltlässt, hängt stärker von den Genen ab als vom Gehör oder der Erziehung.

Unsere Gene beeinflussen, wie sehr uns Musik berührt

Wie stark Musik uns emotional erreicht, hängt auch von der Genetik ab. © Pexels

Musik kann uns euphorisieren, trösten oder völlig kaltlassen. Warum das von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ist, hat ein Forschungsteam jetzt im Detail untersucht. In einer groß angelegten Zwillingsstudie mit mehr als 9.000 Teilnehmern fanden die Wissenschaftler heraus: Bis zu 54 Prozent der Unterschiede im Empfinden, wie sehr wir Musik genießen können, sind durch unsere Gene bedingt. Dabei geht es nicht nur um die Freude an Musik im Allgemeinen. Die Studie zeigt, wie stark Menschen durch Musik emotional berührt werden, ob sie Musik zur Regulierung ihrer Stimmung nutzen oder gezielt nach neuen Titeln suchen.

Gene wirken gezielt auf Emotion, Bewegung und Musikleidenschaft

Ein Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts analysierte fünf Einzelbereiche des Musikgenusses: emotionale Reaktion, Stimmungsregulation, Musik-Suche, körperliche Reaktion und soziales Erleben durch Musik. Verwendet wurde der „Barcelona Music Reward Questionnaire (BMRQ)“ – ein etabliertes Messinstrument, das die individuelle Musikbelohnungsempfindlichkeit erfasst. „Wir wollten herausfinden, ob eine gemeinsame genetische Basis hinter all diesen Facetten steckt oder ob sie unabhängig entstehen“, erklärt das Forschungsteam. Die Auswertung ergab: Viele genetische Einflüsse wirken gezielt – und unterschiedlich stark – auf einzelne Aspekte.

Musikgenuss entsteht nicht allein im Ohr

Interessant war auch, dass nur rund 30 Prozent der genetischen Einflüsse durch Unterschiede beim Hören oder bei der allgemeinen Belohnungssensitivität erklärt werden können. Der Großteil wirkt unabhängig davon. Das bedeutet: Auch ein gutes Gehör oder ein starkes Belohnungssystem im Gehirn reichen nicht aus, um Musik wirklich zu genießen. Die genetischen Grundlagen des Musikgenusses greifen also tiefer – und betreffen nicht nur die Sinneswahrnehmung, sondern auch emotionale und soziale Verarbeitungsprozesse.

Stärkerer Einfluss durch genetische Faktoren als durch Gehör

Der BMRQ-Fragebogen misst gezielt emotionale Reaktionen, die Rolle von Musik bei der Stimmungsregulierung, das Interesse an neuen Stücken, körperliche Reaktionen sowie den sozialen Musikbezug. So ließ sich erkennen, dass manche Menschen sich gerne bewegen, wenn Musik läuft – andere aber emotional kaum reagieren. Ein wichtiger Befund: Auch wer über ein gutes Gehör oder ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl verfügt, muss nicht automatisch mehr Freude an Musik empfinden.

Der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Genuss ist komplex – und nicht direkt gekoppelt. Um diesen Zusammenhang besser zu erfassen, nutzte das Team zusätzlich den sogenannten SMDT-Test. Er prüft, wie gut Melodien, Rhythmen und Tonhöhen unterschieden werden können – unabhängig vom emotionalen Musikerleben. Damit ließ sich klar erkennen: Wahrnehmungsfähigkeit und emotionale Reaktion auf Musik laufen teilweise auf getrennten Wegen. Wer technisch gut hört, muss Musik nicht zwingend als Belohnung empfinden.

Bewegung, Gefühle, Gemeinschaft – alles zählt

Je nach genetischer Ausstattung empfinden Menschen Musik unterschiedlich intensiv. Manche spüren sofort den Drang, sich zur Musik zu bewegen. Andere erleben beim Hören ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Die Forscher betonen: „Es gibt nicht das eine Gen für Musikgenuss.“ Vielmehr wirken verschiedene genetische Netzwerke je nach Teilaspekt. Diese Unterschiede beeinflussen, ob Musik als emotionales Erlebnis, körperliche Reaktion oder soziales Bindemittel wahrgenommen wird.

Auch das Umfeld wirkt – aber weniger als gedacht

Häufig wird angenommen, dass Vorlieben für bestimmte Songs oder Genres ausschließlich durch Erziehung oder kulturelle Einflüsse entstehen. Doch laut der Studie spielt das Erbgut eine deutlich größere Rolle als bisher vermutet. Die Forscher erklären: „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass Musikgenuss ein komplexes Merkmal ist, das durch mehrere unabhängige genetische und umweltbedingte Faktoren beeinflusst wird.“ Zwar fließen auch Umwelteinflüsse in das Musikerleben ein, doch sie erklären deutlich weniger Unterschiede als gedacht. Je nach Teilbereich unterscheiden sich ihre Wirkungen.

Die soziale Dimension etwa hängt stärker vom Umfeld ab – etwa ob Musik gemeinsam erlebt wird. Emotionale Reaktionen und körperliche Bewegungsimpulse hingegen lassen sich klarer genetisch zuordnen. Auch das Erleben von Gänsehaut bei Musik ist damit weniger eine Frage der Erziehung – sondern eher eine Frage der Gene.

Kurz zusammengefasst:

  • Bis zu 54 Prozent der Unterschiede im Musikgenuss lassen sich durch genetische Faktoren erklären – nicht allein durch Erziehung oder Umwelt.
  • Die Gene beeinflussen gezielt einzelne Bereiche wie Emotionen, Bewegung oder das Bedürfnis nach neuen Songs, unabhängig vom Hörvermögen.
  • Ein feines Gehör oder sicheres Rhythmusgefühl bedeuten nicht automatisch, dass Musik tiefer berührt – unsere Gene prägen das emotionale Erleben somit stärker als das reine Hören.

Übrigens: Musik wirkt nicht nur emotional – sie kann nach Operationen sogar Schmerzen lindern und den Bedarf an Morphin halbieren. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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