Tagträumen macht klüger: Was Forscher jetzt über unbewusstes Lernen herausgefunden haben
Wenn Gedanken abschweifen, läuft im Gehirn mehr ab als gedacht: Neue Studien zeigen, dass Tagträumen unbewusstes Lernen fördern kann.

Wenn Gedanken abschweifen, lernt das Gehirn heimlich mit – Tagträume könnten klüger machen, als viele denken. © Pexels
Wer nachts schlecht schläft, dessen Gedanken werden tagsüber vermutlich häufiger abschweifen – wie eine Schlafstudie bewiesen hat. Und das kann durchaus nützlich sein. Eine neue Studie desselben Autors zeigt jetzt, dass nicht alle Formen des Gedankenabschweifens schädlich sind. Im Gegenteil: In bestimmten Situationen helfen sie sogar beim Lernen. Besonders beim unbewussten Erfassen von Mustern scheint das Hirn von spontanen Tagträumen zu profitieren.
Gedanken schweifen bei vielen Menschen fast die Hälfte des Tages ab – rund 30 bis 50 Prozent der Wachzeit verbringen wir in diesem Zustand. Lange galt das als störend: Die Konzentration sinkt, Fehler häufen sich. Doch aktuelle Forschung zeigt, dass das nicht immer der Fall ist. Gedankenwandern kann durchaus sinnvoll sein – wenn es im richtigen Moment passiert.
Wenn Gedanken abschweifen – Unbewusstes Lernen wird begünstigt
In der Untersuchung, die an die Schlafstudie anknüpft, testeten die Wissenschaftler, ob das gedankliche Abschweifen beim sogenannten „impliziten Lernen“ helfen kann. Dabei geht es um das automatische Erkennen von Mustern, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Solche Fähigkeiten sind im Alltag nützlich – etwa beim Erlernen von Sprachen oder dem Einschätzen von Situationen durch Erfahrung.
Die Probanden mussten bei einer Lernaufgabe unbewusst wiederkehrende Muster in einem visuellen Ablauf erkennen. Mehrmals am Tag wurden sie gefragt, ob sie bei der Sache waren – oder ob ihre Gedanken abschweifen. Das Ergebnis überraschte: Wer häufiger ungewollt abschweifte, entdeckte die versteckten Zusammenhänge am besten.
Tagträumen – spontan besser als geplant
Wichtig war dabei, dass das Gedankenwandern nicht bewusst herbeigeführt wurde. Nur das unwillkürliche, spontane Abschweifen hatte positive Effekte. Sobald sich Teilnehmer gezielt ablenkten, verschwand der Lerneffekt. Offenbar hilft genau dieser freie Denkmodus dem Gehirn, Muster und Strukturen zu verarbeiten, ohne dass man bewusst darauf achtet.
Gleichzeitig zeigte die EEG-Messung eine auffällige Hirnaktivität: Langsame Wellen im Delta- und Slow-Bereich, die sonst vor allem im Schlaf auftreten, traten auch während des Abschweifens auf – und zwar verstärkt in den frühen Phasen der Lernaufgabe.
Schlafähnlicher Zustand im wachen Gehirn
Die Forscher interpretieren diese langsamen Wellen als Zeichen eines „offline-Zustands“ im Gehirn – eine Art gedanklicher Leerlauf, der die Türen für unbewusstes Lernen öffnet. Laut Schlafstudie zeigte sich, dass gerade der REM-Schlaf diesen Zustand vorbereitet. Wer zu wenig davon hatte, driftete tagsüber häufiger ab. Offenbar ein Schutzmechanismus des Gehirns, um sich trotzdem Informationen zu erschließen.
Die Beobachtungen legen nahe, dass Tagträumen mehr kann, als nur für Ablenkung sorgen. Es hilft, unbewusst zu lernen und Informationen zu verarbeiten – besonders dann, wenn Konzentration gar nicht notwendig ist.
Warum Tagträumen nützlich sein kann
„Unsere Ergebnisse weisen auf den Einfluss von REM-Schlaf, sogenannte Traumschlafphasen, auf das Gedankenwandern am Tag hin“, schreiben die Wissenschaftler. Und mehr noch: Das scheinbar nutzlose Abschweifen kann in bestimmten Kontexten sogar ein Vorteil sein – etwa bei komplexen, unstrukturierten Lernprozessen, bei denen es um das Entdecken von Mustern geht.
Wer sich demnach in Momenten geistiger Abwesenheit ertappt, ist womöglich gerade dabei, Neues auf eine ganz andere Weise zu verarbeiten.
Kurz zusammengefasst:
- Wenn Gedanken abschweifen, kann das Gehirn unbewusst Muster erkennen und dadurch implizites Lernen fördern.
- Wer weniger REM- und leichten Schlaf bekommt, neigt tagsüber stärker zum Abschweifen – das beeinflusst das unbewusste Lernen.
- Während solcher Phasen zeigt das Gehirn langsame Wellen wie im Schlaf – ein möglicher Mechanismus zur unbewussten Informationsverarbeitung.
Übrigens: Während Tagträume das Lernen im Wachzustand fördern können, arbeitet das Gehirn auch im Schlaf intensiv weiter – und sortiert dabei unsere Erinnerungen neu. Wie genau sich Gedächtnisinhalte im Tiefschlaf verändern, zeigen Forscher in einer spannenden Studie – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Pexels