Unser Gehirn würde mit sieben statt fünf Sinnen viel besser Informationen speichern – sagen Forscher
Ein Modell zeigt: Das Gedächtnis speichert am meisten Informationen, wenn es auf sieben Sinneskanäle statt auf fünf zugreifen kann.

Das Gehirn speichert Informationen am effektivsten, wenn es vielfältige Sinneseindrücke verknüpft – sieben Kanäle scheinen dabei das ideale Maß zu sein. © Midjourney
Wie viele Eindrücke kann das menschliche Gehirn gleichzeitig verarbeiten, bevor es überfordert ist? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrzehnten – und sie betrifft jeden: beim Lernen, Erinnern oder Verstehen komplexer Zusammenhänge. Eine neue Studie des Skolkowo-Instituts für Wissenschaft und Technologie (Skoltech) in Moskau liefert nun eine überraschende Antwort.
Demnach erreicht das Gedächtnis seine höchste Leistungsfähigkeit, wenn es Informationen aus sieben verschiedenen Sinneskanälen verarbeiten kann. Das ist das Ergebnis eines mathematischen Modells, das Forscher entwickelt haben, um zu verstehen, wie Erinnerungen entstehen, sich verändern – und warum sie manchmal verblassen.
Das Modell zeigt: Das Gehirn könnte theoretisch deutlich mehr Informationen speichern, wenn es über sieben Sinne verfügen würde – statt der bekannten fünf.
Wie ein mathematisches Modell das Gedächtnis nachbildet
Die Grundlage der Studie sind sogenannte Engramme – kleine Gruppen von Nervenzellen, die aktiv werden, wenn eine Erinnerung entsteht. Jedes Engramm steht für ein Konzept, also einen Gedanken, eine Erfahrung oder ein Objekt.
Eine Banane etwa wird nicht als ein einzelnes Bild abgespeichert, sondern über viele Merkmale: ihre gelbe Farbe, ihren Geruch, Geschmack, ihre Form und Textur. Im Modell entspricht das einem Objekt in einem fünfdimensionalen Raum – jede Dimension steht für einen Sinneseindruck.
Um herauszufinden, wie viele Dimensionen ein optimales Gedächtnis braucht, ließen die Forscher ihr Modell in Räumen mit einer bis acht Dimensionen „denken“. Das Ergebnis war eindeutig: Bei sieben Dimensionen erreichte das System die höchste Speicherkapazität.
Warum sieben die ideale Zahl für das Gedächtnis ist
„Wir haben mathematisch gezeigt, dass die Zahl der unterschiedlichen Engramme im Gedächtnis ihren größten Wert erreicht, wenn der Denkraum sieben Dimensionen hat“, erklärt Professor Nikolay Brilliantov von Skoltech AI.
Diese Zahl sei kein Zufall, sondern folge aus den Eigenschaften des Gedächtnisses selbst. Wurden im Modell weniger als sieben Dimensionen verwendet, gingen Informationen verloren. Bei mehr als sieben verschwand die klare Trennung zwischen den gespeicherten Erinnerungen – sie „verschwammen“.
Das Modell zeigt damit einen Punkt maximaler Effizienz: Das Gehirn funktioniert am besten, wenn jedes Konzept durch etwa sieben Merkmale beschrieben wird – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Brilliantov betont, dass der Vergleich mit menschlichen Sinnen eine metaphorische Übertragung ist. „Unsere Schlussfolgerung ist natürlich spekulativ in Bezug auf die Anwendung auf menschliche Sinne“, sagt er. „Aber es könnte sein, dass Menschen der Zukunft einen Sinn für Magnetfelder oder Strahlung entwickeln. In jedem Fall sind unsere Ergebnisse praktisch relevant für Robotik und künstliche Intelligenz.“
Gehirn sieben Sinne – was das für das Lernen bedeutet
Das Modell erklärt auch, warum das Gehirn ständig zwischen Lernen und Vergessen balanciert. Jedes Engramm verändert sich im Lauf der Zeit: Wird es häufig aktiviert, bleibt es stabil. Ohne Reize verliert es an Schärfe und kann mit anderen Erinnerungen verschmelzen.
Nach einer Weile bildet sich ein Gleichgewicht – eine stabile Struktur im Gedächtnis, in der bestimmte Informationen dauerhaft erhalten bleiben.
Das Ergebnis der Studie erinnert an frühere psychologische Beobachtungen: Schon in den 1950er-Jahren hatte der US-Psychologe George Miller festgestellt, dass das Kurzzeitgedächtnis meist nur etwa sieben Informationseinheiten gleichzeitig speichern kann – die berühmte „magische Sieben“.
Wie Maschinen von den sieben Sinnen profitieren könnten
„Unsere Erkenntnisse könnten für die Robotik und die Theorie der künstlichen Intelligenz von praktischer Bedeutung sein“, sagt Brilliantov. Wenn Maschinen Informationen über mehrere Kanäle gleichzeitig aufnehmen – etwa Bild, Ton, Bewegung, Temperatur oder Druck –, könnte ihr Lernverhalten ähnlich optimiert werden wie im Modell. Systeme, die mit sieben verschiedenen Eingangssignalen arbeiten, könnten Daten besser verknüpfen, Muster schneller erkennen und effizienter lernen.
Das zeigt, dass künstliche Intelligenz umso „menschlicher“ wird, je mehr Arten von Reizen sie verarbeiten kann. Eine Kamera, die auch Töne und Temperaturveränderungen registriert, versteht ihre Umgebung tiefer – ähnlich wie ein Mensch, der nicht nur sieht, sondern hört, fühlt und riecht.
Lernen mit mehreren Sinnen – so bleibt Wissen länger im Kopf
Das Modell hat auch Konsequenzen für das menschliche Lernen. Erfahrungen prägen sich besonders gut ein, wenn sie mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen – etwa beim Lernen mit Bildern, Geräuschen oder Bewegung. Wer Wissen langfristig behalten möchte, sollte also versuchen, Lerninhalte über verschiedene Kanäle zu kombinieren.
Kurz zusammengefasst:
- Das mathematische Modell des Skoltech-Instituts zeigt, dass das Gedächtnis am meisten Informationen speichern kann, wenn es auf sieben verschiedene Sinneskanäle zugreift.
- Bei weniger als sieben Kanälen gehen Details verloren, bei mehr verschwimmen Erinnerungen – sieben gilt als optimale Zahl für stabiles und effizientes Lernen.
- Die Erkenntnisse helfen, Lernprozesse besser zu verstehen und liefern zugleich neue Ideen für künstliche Intelligenz, die nach dem Vorbild des Gehirns lernen soll.
Übrigens: Während Forscher zeigen, dass unser Gehirn mit sieben Sinnen viel besser Informationen speichern würde, verengt die digitale Welt unsere Wahrnehmung immer mehr auf Sehen und Hören. Welche Folgen das für unsere Emotionen und unser soziales Miteinander hat, mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Midjourney