Rätsel gelöst: Gehirnzellen erneuern sich doch bis ins hohe Alter
Lange war ungewiss, ob Gehirnzellen auch im Erwachsenenalter noch neu gebildet werden. Eine neue Studie liefert jetzt klare Antworten.

Neue Nervenzellen entstehen bis ins hohe Alter: Forscher konnten erstmals nachweisen, aus welchen Zellen sie sich entwickeln – und wo im Gehirn dieser Prozess stattfindet. © Vecteezy
Lange galt es als ungeklärt, nun steht fest: Die Gehirnzellen des Menschen erneuern sich bis ins hohe Alter hinein. Eine neue Studie zeigt nicht nur den Nachweis dieses Prozesses, sondern benennt auch die Zellen, aus denen die frischen Neuronen hervorgehen. Ein Forschungsteam aus Schweden untersuchte dazu die Gehirne verstorbener Menschen und fand deutliche Hinweise auf aktive Neurogenese – also die Bildung neuer Nervenzellen. Die Erkenntnis beendet eine jahrzehntelange Debatte in der Hirnforschung.
Vorläuferzellen liefern das Rohmaterial
Für die Untersuchung nutzte das Team um Marta Paterlini und Ionut Dumitru vom Karolinska-Institut moderne RNA-Sequenzierung. Analysiert wurden über 100.000 Zellen aus dem Hippocampus – jener Hirnregion, die eine zentrale Rolle für das Gedächtnis spielt. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf den neuronalen Vorläuferzellen. Diese besitzen die Fähigkeit, sich in reife Nervenzellen zu verwandeln.
Zunächst untersuchten die Forscher sechs kindliche Gehirne, die nach dem Tod gespendet worden waren. Dort identifizierten sie typische genetische Fingerabdrücke unreifer Nervenzellen und ihrer Vorläufer. Anschließend suchten sie in 19 weiteren Gehirnen von Jugendlichen und Erwachsenen (alle im Alter zwischen 13 und 78 Jahren) nach denselben Mustern.
- In 18 der 25 untersuchten Gehirne fanden die Forscher junge Nervenzellen
- In zwölf Fällen konnten sie die entscheidenden Vorläuferzellen nachweisen
Ist Epilepsie ein Zeichen hoher Zellneubildung?
Zwei der analysierten Gehirne wiesen besonders viele dieser Zellen auf. Eines davon gehörte einer Person mit Epilepsie. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang. Bei Mäusen kann eine gesteigerte Zellneubildung epileptische Anfälle begünstigen. Ob dieser Mechanismus auch beim Menschen eine Rolle spielt, ist bislang offen.
Fest steht: Die neuen Analysemethoden ermöglichen eine viel präzisere Untersuchung von Zelltypen und Entwicklungsstufen als je zuvor.
Beweis bringt Klarheit in alten Streit
Schon 1962 deuteten Tierversuche bei Ratten darauf hin, dass auch erwachsene Gehirne neue Nervenzellen produzieren. Beim Menschen blieb der nötige Beweis jedoch lange aus. Zwar fanden frühere Studien unreife Neuronen im Hippocampus, doch deren Ursprung blieb unklar.
„Jetzt haben wir sehr starke Belege, dass der gesamte Prozess auch beim Menschen stattfindet – von der Vorläuferzelle bis zur unreifen Nervenzelle“, sagte Gerd Kempermann von der TU Dresden. Der Neurobiologe war zwar nicht selbst an der Studie beteiligt, würdigt sie aber dennoch als großen Meilenstein.
Für Kempermann steht fest: Die Frage nach der Neurogenese im Erwachsenenalter ist damit geklärt. „Diese Studie sollte die Diskussion endlich beenden“, sagte er laut dem Scientific American.
Neue Nervenzellen – neue Fragen
Die Studie wirft nun allerdings zwei neue und zugleich wichtige Forschungsfragen auf:
- Was genau bewirken diese neuen Zellen im Gehirn?
- Wie verändert sich ihr Entstehen bei Erkrankungen wie Alzheimer oder Depression?
Ein besseres Verständnis der Neurogenese könne laut Dumitru helfen, neurologische Krankheiten gezielter zu behandeln. Künftige Studien sollen klären, ob auch andere Hirnregionen neue Zellen bilden. Der Riechkolben ist so ein Ort, wo bei Mäusen ebenfalls Neurogenese stattfindet.
Langfristig könnten Therapien entstehen, die das Wachstum neuer Nervenzellen aktiv unterstützen – etwa durch Medikamente, Hirnstimulation oder gezielte Veränderungen im Lebensstil. Für Menschen mit Demenz, Depressionen oder kognitivem Abbau im Alter wären solche Ansätze besonders vielversprechend.
Kurz zusammengefasst:
- Auch im hohen Alter können sich Gehirnzellen erneuern, wie eine neue Studie zeigt.
- Forscher fanden bei Verstorbenen eindeutige Hinweise auf aktive Neurogenese im Hippocampus.
- Die neuen Nervenzellen stammen aus speziellen Vorläuferzellen und könnten für Therapien bei Hirnerkrankungen wichtig sein.
Übrigens: Allein der Duft von Essen reicht – und im Gehirn springt der Appetit auf Stopp. Kölner Forscher haben Nervenzellen entdeckt, die schon beim Riechen für Sättigung sorgen – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Vecteezy