Rätsel der Evolution: Wann begannen Menschen Fleisch zu essen?

Neue Zahnschmelz-Analysen am Mainzer Max-Planck-Institut könnten klären, wann unsere Vorfahren erstmals Fleisch aßen und welche Rolle dies in der Evolution spielte.

Menschen Fleisch essen

Wissenschaftler untersuchen mittels Zahnschmelz-Analysen, ob der Fleischverzehr oder das Kochen von Nahrung eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns spielte. © Wikimedia

Am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz arbeiten Wissenschaftler daran, eine zentrale Frage der menschlichen Evolution zu beantworten: Wann begannen unsere Vorfahren, Fleisch zu essen, und wie entscheidend war dieser Schritt für die Entwicklung zum modernen Menschen? Die Geochemikerin Tina Lüdecke leitet ein Forschungsteam, das eine neuartige Methode zur Analyse von Zahnschmelz entwickelt hat. Ziel ist es, endlich direkte Beweise für den Fleischkonsum unserer Vorfahren zu finden – ein Thema, das bislang vor allem auf Indizien und Vermutungen beruhte.

Bisher geht die Forschung davon aus, dass unsere Vorfahren vor etwa 2,4 Millionen Jahren erstmals Fleisch verzehrten. Diese Annahme stützt sich auf Funde von Steinwerkzeugen und Schnittspuren an tierischen Knochen. Doch Lüdecke will mehr als Vermutungen: „Wir können zum ersten Mal direkte Beweise zum Fleischkonsum anhand von individuellen Zähnen von Vormenschen rekonstruieren“, sagte sie gegenüber dem SWR. Dazu untersucht sie fossile Aminosäuren, die sich im Zahnschmelz über Millionen von Jahren erhalten haben. Mithilfe einer speziellen Stickstoff-Isotopenanalyse sollen diese Spuren einen chemischen Fingerabdruck hinterlassen, der den Konsum von Fleisch belegt.

Zahnschmelz als Schlüssel zur Evolutionsforschung

Derzeit testet Lüdecke ihre Methode an Zähnen von Menschenaffen. Erste erfolgreiche Tests an Dinosaurierzähnen zeigten, dass die Methode zuverlässig Hinweise auf die Art der Nahrung geben kann – im Fall der Dinosaurier fand man erwartungsgemäß nur Spuren pflanzlicher Kost. Doch der nächste Schritt, die Analyse der Zähne unserer menschlichen Vorfahren, ist eine deutlich größere Herausforderung. „Gerade dadurch, dass ich Löcher in die Zähne bohre, ist es sehr schwierig, an fossile Zähne heranzukommen“, erklärte Lüdecke. Viele Museen und Sammlungen sind nicht begeistert, wenn ihre wertvollen Exponate angebohrt werden sollen, selbst wenn dies der Wissenschaft dient.

Die Frage, ob der Fleischkonsum ein entscheidender Faktor in der Evolution des Menschen war, ist in der Wissenschaft umstritten. In den 1950er-Jahren und verstärkt in den 1990er-Jahren wurde die sogenannte „Meat-made-us-human“-These populär. Diese Theorie besagt, dass der Verzehr von Fleisch es den Menschen ermöglichte, ein größeres Gehirn zu entwickeln, da Fleisch eine besonders energiereiche Nahrung ist. „Das Einfachste ist, eine Nahrungsquelle zu finden, die sehr einfach sehr viel Energie dem Körper zuführt. Und das ist Fleisch“, so Lüdecke gegenüber dem SWR.

Neue Perspektiven auf den menschlichen Aufstieg

In den letzten Jahren haben sich jedoch auch andere Theorien herausgebildet. Ein prominentes Beispiel ist die These von Richard Wrangham, einem Forscher der Harvard-Universität, der vermutet, dass das Beherrschen des Feuers und das Kochen von Nahrung eine entscheidende Rolle bei der Evolution des Menschen spielte. Gekochte Nahrung liefert oft mehr Energie als Rohkost, was möglicherweise den Anstieg der Gehirngröße förderte. Die Frage, ob Fleisch oder Feuer den größeren Einfluss auf die menschliche Evolution hatte, bleibt offen. Lüdeckes Zahnschmelz-Analysen könnten hier Klarheit schaffen.

Besonders interessant ist dabei, dass die bisherigen archäologischen Beweise, auf die sich die Theorie vom frühen Fleischkonsum stützt, möglicherweise verzerrt sind. Eine 2022 veröffentlichte Studie im Fachmagazin PNAS kritisierte, dass Funde aus der Zeit vor etwa 2,6 Millionen Jahren, die Hinweise auf Fleischverzehr liefern, möglicherweise überbewertet wurden. Diese Funde wurden besonders häufig untersucht, was zu einer Überschätzung ihrer Bedeutung führen könnte. Die Zahnschmelz-Analysen von Lüdecke und ihrem Team könnten diese Lücken in der bisherigen Forschung schließen und zuverlässigere Daten liefern.

Aktuell laufen die Analysen an Zähnen von Menschenaffen. Erste Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet. Sobald diese Tests abgeschlossen sind, sollen endlich die Zähne von Frühmenschen untersucht werden. Lüdecke hofft, dass diese Untersuchungen das Rätsel um den Fleischkonsum unserer Vorfahren lösen werden. Sie selbst isst übrigens nur noch selten Fleisch und sieht darin keinen zwingenden Bestandteil der modernen menschlichen Ernährung. Doch die zentrale Frage bleibt: Hat der Fleischverzehr unsere Vorfahren zu modernen Menschen gemacht, oder spielte das Kochen und Braten über dem Feuer die entscheidendere Rolle? Die Ergebnisse der anstehenden Untersuchungen könnten Antworten liefern.

Was du dir merken solltest:

  • Neue Zahnschmelz-Analysen am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz sollen den ersten Fleischkonsum unserer Vorfahren direkt nachweisen und damit ein zentrales Rätsel der Evolution lösen.
  • Die Forschung untersucht, ob Fleischverzehr entscheidend für die Entwicklung des menschlichen Gehirns war, oder ob das Kochen von Nahrung eine größere Rolle spielte.
  • Bisherige Theorien basieren auf indirekten Beweisen, wie Steinwerkzeugen und Knochenfunden, die möglicherweise überbewertet wurden; die neuen Analysen könnten diese Lücken schließen.

Übrigens: Heutzutage ist der Fleischverzehr nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für die Gesundheit. Allein 50 Gramm rotes oder verarbeitetes Fleisch täglich erhöhen laut einer Studie das Risiko für Typ-2-Diabetes. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © USSLR via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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