Schwarzes Loch schleudert Sterne aus unserer Nachbargalaxie
Astronomen entdecken Hypergeschwindigkeitssterne, die aus der Großen Magellanschen Wolke stammen – ein Hinweis auf ein Schwarzes Loch.

Etwa die Hälfte der untersuchten Hypergeschwindigkeitssterne stammt nicht aus der Milchstraße, sondern aus der benachbarten Großen Magellanschen Wolke. © Wikimedia
Stellen Sie sich vor, ein Stern rast mit so hoher Geschwindigkeit durch das All, dass er für immer aus seiner Galaxie entkommt – ohne Aussicht auf Rückkehr. Genau das passiert bei den sogenannten Hypergeschwindigkeitssternen, von denen sich viele mit atemberaubendem Tempo durch das Universum bewegen. Forscher haben nun eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Etwa die Hälfte der Hypergeschwindigkeitssterne, von denen man bisher dachte, sie würden aus der Milchstraße stammen, kommen tatsächlich aus einer benachbarten Galaxie, der Großen Magellanschen Wolke (LMC). Diese Sterne wurden mit solcher Wucht aus ihrer Heimat geschleudert, dass sie auf direktem Weg in den intergalaktischen Raum unterwegs sind.
Wissenschaftler vermuten nun, dass im Zentrum der LMC ein supermassereiches Schwarzes Loch existiert, das diese Sterne mit enormer Geschwindigkeit ins All schleudert. Seine Masse wird auf rund 600.000 Sonnenmassen geschätzt. Und es scheint ein wahrer Gigant, der offenbar ganze Sterne aus seiner Galaxie hinauskatapultiert. Besonders auffällig ist, dass sich diese Sterne in einer bestimmten Region um das Sternbild Löwe konzentrieren.
Was bedeutet Hypergeschwindigkeit für einen Stern?
Um zu verstehen, was diese Sterne so besonders macht, hilft ein Blick auf die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit. Sie beschreibt die Mindestgeschwindigkeit, die ein Objekt erreichen muss, um der Anziehungskraft eines Himmelskörpers zu entkommen – ohne je wieder zurückzufallen. Für die Erde liegt diese Grenze bei etwa 11,2 km/s. Die Milchstraße hingegen hält ihre Sterne mit einer Fluchtgeschwindigkeit von rund 500 km/s fest. Hypergeschwindigkeitssterne sind jedoch so schnell, dass sie sogar diese Grenze überschreiten und für immer in den intergalaktischen Raum entweichen können.
Diese Entdeckung basiert auf Daten des Gaia-Weltraumteleskops. Die Astronomen untersuchten 21 Hypergeschwindigkeitssterne. Dabei stellten sie fest, dass neun von ihnen nicht aus dem Zentrum der Milchstraße stammen. Ihre Herkunft lässt sich aus der Großen Magellanschen Wolke zurückführen. Dies deckt sich mit Simulationen, die zeigen, dass ein Schwarzes Loch in der LMC diese Sterne mit extremer Geschwindigkeit ins All schleudern könnte.
Ein kosmischer Schleudersitz
Wie aber werden diese Sterne derart beschleunigt? Die Antwort liegt in einem faszinierenden Mechanismus, den der Astronom Jack Hills 1988 beschrieb. Wenn ein Doppelsternsystem einem supermassereichen Schwarzen Loch zu nahe kommt, wird ein Stern von der gewaltigen Anziehungskraft des Schwarzen Lochs eingefangen. Der andere wird mit enormer Geschwindigkeit davongeschleudert – oft mit mehr als 1.000 km/s. Dieses Phänomen ist als Hills-Mechanismus bekannt.
Jiwon Han vom Harvard & Smithsonian Center for Astrophysics schreibt dazu in der im The Astrophysical Journal eingereichten Studie: „Wir haben herausgefunden, dass die Hälfte der ungebundenen Hypergeschwindigkeitssterne, die durch die HVS-Umfrage entdeckt wurden, nicht auf das galaktische Zentrum, sondern auf die Große Magellansche Wolke zurückzuführen ist.“
Eine enge Verbindung zum Sternbild Löwe
Besonders bemerkenswert ist die räumliche Verteilung der Hypergeschwindigkeitssterne. Viele dieser Sterne scheinen sich in der Nähe des Sternbilds Löwe zu häufen. Dies deutet darauf hin, dass das Schwarze Loch in der LMC für ihre außergewöhnliche Geschwindigkeit verantwortlich sein könnte.
„Diese Häufung tritt auf, weil Hypergeschwindigkeitssterne aus der LMC durch die Umlaufbewegung der LMC um etwa 300 km/s beschleunigt werden“, heißt es in der Studie. Das Modell der Forscher reproduzierte die beobachteten Positionen der Sterne mit großer Präzision, was die Existenz eines Schwarzen Lochs in der LMC als wahrscheinlich erscheinen lässt.
Was bedeutet das für unser Universum?
Diese Entdeckung verändert unser Bild von der Milchstraße und ihrer Umgebung. Bislang glaubte man, dass nur große Galaxien supermassereiche Schwarze Löcher beherbergen. Die Tatsache, dass nun ein solches Objekt in einer vergleichsweise kleinen Zwerggalaxie entdeckt wurde, könnte weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis der Entwicklung von Galaxien haben.
Zukünftige Beobachtungen und weitere Datenveröffentlichungen von Gaia könnten dabei helfen, noch mehr Hypergeschwindigkeitssterne zu identifizieren und deren Ursprung weiter zu erforschen. Sollten sich die bisherigen Erkenntnisse bestätigen, könnte dies neue Perspektiven auf die Entstehung und Entwicklung von Galaxien eröffnen.
Besonders spannend ist, dass einige dieser Sterne derzeit auf dem Weg in den intergalaktischen Raum sind. Sie öffnen damit ein seltenes Fenster in die kosmische Vergangenheit. Was sie uns über ihre Herkunft erzählen, wird die Forschung in den kommenden Jahren mit Sicherheit weiter beschäftigen.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher haben herausgefunden, dass etwa die Hälfte der untersuchten Hypergeschwindigkeitssterne nicht aus der Milchstraße stammt, sondern aus der Großen Magellanschen Wolke – einer nahen Zwerggalaxie.
- Diese Sterne bewegen sich mit über 1.000 km/s, weil sie von einem supermassereichen Schwarzen Loch in ihrer Heimatgalaxie ins All geschleudert wurden. Der Vorgang ist als Hills-Mechanismus bekannt.
- Die Entdeckung liefert neue Hinweise darauf, dass auch kleinere Galaxien wie die LMC Schwarze Löcher enthalten können, die Sterne katapultieren und das Verständnis der galaktischen Entwicklung beeinflussen.
Übrigens: Eine Praktikantin hat mit dem Hubble-Teleskop eine seltene Spiralgalaxie entdeckt, die ein gigantisches Schwarzes Loch und junge Jets beherbergt – eine Kombination, die Quasare in neuem Licht erscheinen lässt. Warum diese Entdeckung so außergewöhnlich ist und welche Fragen sie für die Forschung aufwirft, behandelt unser Artikel.
Bild: © European Space Agency (ESA) via Wikimedia unter CC BY-SA 3.0 IGO