Nanoplastik im Nordatlantik: Diese Zahl sprengt alle Erwartungen der Forscher

Forscher haben bislang die Menge an Nanoplastik, das sich im Nordatlantik sammelt, ziemlich unterschätzt. Dort gefährdet es nicht nur Meerestiere.

Forscher stoßen im Nordatlantik auf Unmengen Nanoplastik

Nanoplastik ist unsichtbar fürs Auge – und längst Teil der Nahrungskette. © Wikimedia

Noch vor wenigen Jahren war unklar, ob Nanoplastik überhaupt in nennenswerter Menge im offenen Ozean existiert. Jetzt zeigt eine neue Studie: Im Nordatlantik treiben deutlich mehr winzige Plastikpartikel als bisher vermutet. Die Masse an Nanoplastik in der oberen Wasserschicht (bis zu 200 Meter Tiefe) entspricht fast der gesamten bekannten Menge an Makro- und Mikroplastik im Atlantik. Und von dort finden die gefährlichen Partikel oft ihren Weg in die Küche.

Ein niederländisch-deutsches Forschungsteam untersuchte 2020 die Verbreitung von Nanoplastikpartikeln. Die Messungen fanden entlang eines Nord-Süd-Transektes statt – vom europäischen Festlandschelf bis zum subtropischen Nordatlantikwirbel.

Plastik in der Umwelt – so klein und doch so problematisch

  • Makroplastik
    Das sind gut sichtbare Kunststoffteile – zum Beispiel Plastiktüten, Flaschen oder Verpackungen. Sie gelangen oft als Müll in die Umwelt und zerfallen mit der Zeit.
  • Mikroplastik
    Diese Partikel sind kleiner als 5 Millimeter – also etwa so groß wie ein Sesamkorn oder noch kleiner.
    Sie entstehen:
    • gezielt, z. B. in Peelings oder Kosmetika
    • ungewollt, z. B. durch Abrieb beim Waschen von Kleidung oder durch Autoreifen
    • durch Zerfall, wenn größere Plastikteile wie Tüten oder Netze im Laufe der Zeit zerbröseln
  • Nanoplastik
    Noch viel kleiner als Mikroplastik – kleiner als ein Mikrometer (das ist ein Tausendstel Millimeter), oft sogar unter 100 Nanometern.
    Sie entstehen ebenfalls beim Zerfall größerer Kunststoffteile.
    Das Problem:
    • Nanoplastik ist so winzig, dass es kaum nachweisbar ist
    • In der Umwelt findet man ein wildes Gemisch verschiedener Kunststoffe
    • Die winzigen Teilchen können Zellen durchdringen und sind deshalb besonders bedenklich

Forscher entdecken Plastik selbst in der Tiefsee

An zwölf Messpunkten entnahmen die Wissenschaftler Proben in drei Tiefen: zehn Meter unter der Oberfläche, etwa 1.000 Meter tief sowie 30 Meter über dem Meeresboden. Selbst in der tiefsten Schicht fanden sie Kunststoffspuren.

Besonders häufig wiesen sie Partikel aus Polyethylenterephthalat (PET), Polystyrol (PS) und Polyvinylchlorid (PVC) nach. Diese Kunststoffe stecken unter anderem in Trinkbechern, Plastikflaschen und Verpackungen. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung war an der Expedition maßgeblich beteiligt.

Neue Messtechnik erkennt unsichtbare Partikel

Zum Einsatz kam ein neu entwickeltes Messverfahren: ein Massenspektrometer, kombiniert mit thermischer Desorption. Dabei werden die Kunststoffpartikel erhitzt und in Gase umgewandelt. Die Zusammensetzung dieser Gase zeigt, aus welchem Polymer das Material besteht.

„Jeder Kunststoff hat seinen eigenen chemischen Fingerabdruck“, erklärt Dr. Dušan Materic, Chemiker am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Erstautor der Studie. Entwickelt wurde die Methode an der Universität Utrecht.

Millionen Tonnen Nanoplastik in der oberen Wasserschicht

Auf Basis der Messdaten schätzte das Forschungsteam, dass in den oberen 200 Metern des Nordatlantiks rund 27 Millionen Tonnen Nanoplastik treiben. Etwa 12 Millionen Tonnen davon entfallen auf PET, 6,5 Millionen auf PS und 8,5 Millionen auf PVC.

„Das ist etwa die gleiche Größenordnung wie die geschätzte Masse am Makro- und Mikrokunststoff für den gesamten Atlantik“, so Materic. Laut Angaben des Helmholtz-Zentrums blieb die Rolle von Nanoplastik bisher weitgehend unbeachtet.

PET ist die größte Quelle für im Nordatlantik gefundenes Nanoplastik. Der Kunststoff kommt unter anderem bei der Herstellung von Plastikflaschen, Folien und Textilfasern zum Einsatz. © SmartUp News
PET ist die größte Quelle für im Nordatlantik gefundenes Nanoplastik. Der Kunststoff kommt unter anderem bei der Herstellung von Plastikflaschen, Folien und Textilfasern zum Einsatz. © SmartUp News

Nanoplastik im Nordatlantik – Das Wichtigste im Überblick

  • Untersuchungsjahr: 2020
  • Messstellen: 12, von Oberfläche bis 30 m über dem Meeresboden
  • Höchste gemessene Tiefe: über 4.500 Meter
  • Messmethode: Thermische Desorption + Massenspektrometrie

Zwei Kunststoffe blieben unsichtbar

Erstaunlich war, dass weder Polyethylen (PE) noch Polypropylen (PP) als Nanoplastik nachgewiesen wurden. Dabei sind diese Kunststoffe in Wegwerfartikeln wie Müllsäcken oder Plastiktüten besonders verbreitet.

Materic vermutet, dass sich PE und PP entweder chemisch so stark verändern, dass sie im Spektrometer nicht mehr als Kunststoff erkennbar sind – oder dass unbekannte Prozesse sie aus dem Wasser entfernen. Auch Strömungen und Sedimente könnten eine Rolle spielen.

Nicht nur eine Gefahr für Meeresbewohner

In allen Wasserproben fanden die Forscher Kunststoffpartikel. Besonders in der mittleren Wasserschicht, rund 1.000 Meter tief, trat PET in größeren Mengen auf. Auch in Bodennähe wurde Nanoplastik nachgewiesen – wenn auch in geringerer Konzentration.

Im subtropischen Nordatlantikwirbel entdeckte das Team die höchsten Belastungen. Diese Region ist bereits als Sammelbecken für Mikroplastik bekannt. Offenbar gilt das auch für kleinere Partikel. Die Forscher warnen vor einem unterschätzten Risiko. „Sie sind überall in so großen Mengen vertreten, dass wir sie ökologisch nicht mehr vernachlässigen können“, sagt Materic.

Selbst in über 4.500 Metern Tiefe entdeckte das Team Nanoplastik. Die Partikel stammen vermutlich aus synthetischen Textilien. Noch vor wenigen Jahren galt die Existenz von Nanoplastik im offenen Ozean als fraglich. Heute ist klar: Die winzigen Kunststoffreste sind nicht nur vorhanden – sie erreichen selbst schwer zugängliche Tiefseegebiete.

Nanoplastik gefährdet nicht nur die Ökosysteme im Meer, sondern könnte auch für den Menschen zum Problem werden, durch den Verzehr von Meerestieren. Ein Teil der winzigen Kunststoffpartikel kann nach dem Verschlucken die Darmwand durchdringen und so in den Blutkreislauf gelangen. Von dort aus könnten sie sich im Körper verteilen und möglicherweise Organe erreichen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen das haben kann, ist noch nicht vollständig erforscht. Eine Studie zeigt jedoch, dass Nanoplastik im Darm gefährliche Auswirkungen haben kann.

Kurz zusammengefasst:

  • Nanoplastik ist kleiner als ein Mikrometer und wurde nun in großen Mengen im Nordatlantik nachgewiesen – selbst in über 4.500 Metern Tiefe.
  • Die gemessene Masse von rund 27 Millionen Tonnen entspricht der gesamten bekannten Menge an Makro- und Mikroplastik im Atlantik.
  • Nanoplastik gelangt über Meerestiere in den menschlichen Körper und kann dort Gewebe durchdringen – gesundheitliche Folgen sind bisher kaum erforscht.

Übrigens: Nanoplastik wurde nicht nur in den Tiefen des Meeres entdeckt, sondern auch in windigen Höhen – selbst Alpengletscher enthalten Nanoplastik. Doch wie gelangen die Partikel dorthin? Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Lusi Lindwurm via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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