Warum der CO2-Fußabdruck nicht ausreicht: Wissenschaftler fordert Entropie als neuen Maßstab für Nachhaltigkeit

Der Chemiker Bernhard Weßling schlägt vor, Nachhaltigkeit über Entropie zu messen: CO2-Fußabdruck und Energiebilanz allein reichen nicht aus.

Das Ausmaß der Entropie könnte einen viel besseren Maßstab für Nachhaltigkeit liefern als der CO2-Fußabdruck. © Vecteezy

Der Chemiker Bernhard Weßling beschäftigt sich intensiv mit dem Begriff der Nachhaltigkeit und bringt dabei einen eher unbekannten Maßstab ins Spiel: die Entropie. In einem Interview mit t3n spricht er über die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit neu zu bewerten und erklärt, warum der CO2-Fußabdruck oder die Energiebilanz oft nicht ausreichen, um die tatsächlichen Auswirkungen auf die Umwelt zu verdeutlichen.

Weßling kritisiert, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ heutzutage inflationär verwendet werde. Alles könne als nachhaltig bezeichnet werden – Reisen, Einkaufen, sogar Hotels. Doch was genau dies bedeutet, sei oft unklar.

Seine Überlegungen führten ihn zur Entropie – einem physikalischen Konzept, das häufig als „Maß der Unordnung“ beschrieben wird. Laut Weßling ist Entropie jedoch viel mehr: Sie kann als Indikator für die Komplexität eines Systems herangezogen werden. Systeme mit hoher Biodiversität oder Mischwälder haben demnach eine niedrigere Entropie, während Monokulturen und Umweltschäden zu einer erhöhten Entropie führen.

Entropie als Maß für Nachhaltigkeit

Weßling erklärt, dass durch den Prozess der Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Erdgas die Entropie zunimmt. Er beschreibt dies am Beispiel von Methan, das bei der Verbrennung in CO2 und Wasser umgewandelt wird. Dabei entsteht eine Mischungsentropie, die man nur schwer rückgängig machen kann. Um das ausgestoßene CO2 wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, benötigt man etwa das Sechsfache der Energie, die bei der Verbrennung gewonnen wurde.

Laut Weßling liefert die Entropie als Maßstab für Nachhaltigkeit zusätzliche Erkenntnisse, die über die bloße Energiebilanz hinausgehen. So führt die Entropie-Berechnung zu dem Schluss, dass der Einsatz regenerativer Energien zwar nachhaltiger ist, aber auch nicht ohne Entropieverluste abläuft. Um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, wird sehr viel Energie benötigt, was wiederum zu einem Entropieanstieg führt. Weßlings Berechnungen zeigen, dass für jede Tonne CO2, die aus der Luft entzogen wird, die Entropie der Atmosphäre um 14,4 Megajoule pro Kelvin sinkt. Gleichzeitig würde aber an der Erdoberfläche etwa dreimal so viel Entropie erzeugt.

Regenerative Energie und Entropie

Weßling stellt die Frage, ob die Nutzung regenerativer Energie für das CO2-Management wirklich nachhaltig ist. Er weist darauf hin, dass die Produktion von Solarmodulen oder Batterien ebenfalls Ressourcen und Energie benötigt, was wiederum zu einem Anstieg der Entropie führt. Zwar ist die Energie der Sonne „geschenkt“, doch müsse man die Rohstoffe und den Energieaufwand für die Herstellung der Solarmodule in die Berechnung einbeziehen.

Aber wo holen wir das Silizium für die Solarzellen her? Wo holen wir die Rohstoffe für die Batterie her? Welche Flächen müssen wir bereitstellen? Ob das Ganze wirklich nachhaltig ist oder wir uns damit nur selbst beruhigen wollen, sehen wir erst an der Entropie.

Bernhard Weßling

Vergleich der Entropie in verschiedenen Systemen

Weßling verweist für die Berechnung dieser Entropie auf einen Ansatz, der von Professor Friedrich Schmidt-Bleek am Wuppertal Institut entwickelt wurde. Mit der „Materialintensität pro Serviceeinheit“ (MIPS) lassen sich die Stoffströme ermitteln, die für bestimmte Prozesse oder Produkte erforderlich sind. Die MIPS ist daher ein sehr guter Indikator für die Entropie, sagt Weßling.

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Allerdings hat diese Methode in der Forschungsgemeinschaft bislang wenig Anklang gefunden. Weßling wundert sich darüber, da er die Entropie als viel besseres Maß zur Beurteilung der Nachhaltigkeit sieht als etwa Ökobilanzen. Er vergleicht die Speicherung von CO2 in natürlichen Systemen wie Wäldern oder Mooren mit dem industriellen Abscheiden von CO2. Letzteres habe deutlich höhere Entropiekosten.

Zwar entsteht auch bei diesen natürlichen Prozessen Entropie, die wird jedoch von der Erde abgestrahlt. Im Gegensatz dazu könne die von Menschen erzeugte Entropie nicht einfach in den Weltraum abgegeben werden, sie verbleibt auf der Erde und führt zu Umweltschäden.

Dieser Prozess erzeugt selbstverständlich auch Entropie. Aber die Entropie, welche die Natur erzeugt, wird von der Erde abgestrahlt. Die Entropie aus technologischen Prozessen landet hingegen als Abfallhaufen irgendwo in Form von zerstörten Landschaften, unfruchtbaren Böden, verdorbenem Grundwasser. Entropie ist gar nichts Abstraktes. Wir erkennen nur nicht, dass auch im Mikroplastik, das wir in der Antarktis finden, Entropie steckt.

Bernhard Weßling

Was du dir merken solltest:

  • Bernhard Weßling fordert Entropie als neuen Maßstab für Nachhaltigkeit, da CO2-Fußabdruck und Energiebilanz nicht ausreichend seien.
  • Durch die Berechnung der Entropie wird sichtbar, dass selbst regenerative Energien zu Entropieverlusten und Umweltschäden führen.
  • Weßling kritisiert, dass technologische Prozesse wie CO2-Abscheidung Entropie erzeugen, die auf der Erde verbleibt, und sieht in natürlichen Prozessen wie Mooren eine nachhaltigere Alternative.

Bild: © Vecteezy

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