Genetisches Murmeltierjahr: Bakterien in Endlosschleife – ein Jahr bringt sie aus dem Tritt

Im Lake Mendota durchlaufen Bakterien eine jährliche Evolution. Ein Jahr allerdings stört das genetische Drehbuch.

Genetische Spurensuche: Forschende entschlüsselten das Erbgut von Bakterien aus einem einzigartigen 20-jährigen Wasserproben-Archiv des Lake Mendota. © Robin Rohwer / University of Texas at Austin

Genetische Spurensuche: Forscher entschlüsselten das Erbgut von Bakterien aus einem einzigartigen 20-jährigen Wasserproben-Archiv des Lake Mendota. © Robin Rohwer / University of Texas at Austin

Wie Bill Murray im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ durchlaufen Bakterien im Lake Mendota eine wiederkehrende Evolution. Doch während Murray in einer täglichen Endlosschleife feststeckt, folgt im See alles dem Zyklus der Jahreszeiten. Die Mikroben dort scheinen einem genetischen Drehbuch zu folgen, das sie immer wieder zurück an den Anfang bringt – ein faszinierendes Phänomen, das Wissenschaftler nun entschlüsselt haben.

Forscher untersuchten über zwei Jahrzehnte hinweg die Mikrobiologie des Lake Mendota und entdeckten, dass viele Bakterienarten einem jährlichen genetischen Zyklus folgen. Diese Erkenntnisse basieren auf der längsten natürlichen Metagenom-Zeitreihe, die je erstellt wurde. Insgesamt sammelten die Forscher 471 Wasserproben und rekonstruierten mehr als 30.000 Genome von rund 2.800 Bakterienarten. Robin Rohwer, Postdoktorandin an der University of Texas at Austin, zeigte sich beeindruckt: „Ich war überrascht, dass ein so großer Teil der Bakteriengemeinschaft diese Art von Veränderung durchmachte. Ich hatte gehofft, nur ein paar coole Beispiele zu beobachten, aber es waren buchstäblich Hunderte.“

Jahreszeitliche Evolution der Bakterien: ein immerwährender Kreislauf

Die Ergebnisse der Analyse offenbaren eine faszinierende Dynamik. Die meisten Bakterienarten passen sich innerhalb eines Jahres rasch an die wechselnden Umweltbedingungen an. Gene, die in einer Jahreszeit Vorteile bringen, setzen sich für eine Weile durch. Doch nach etwa tausend Generationen kehren die Arten genetisch wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Dieser Kreislauf wiederholt sich Jahr für Jahr und zeigt, wie präzise die Evolution auf die Umwelt abgestimmt ist. Brett Baker, Mitautor der Studie, beschreibt dies als „einen Wendepunkt in unserem Verständnis darüber, wie sich mikrobielle Gemeinschaften im Laufe der Zeit verändern“.

Der Lake Mendota bietet dafür ideale Forschungsbedingungen. Im Winter liegt er unter einer dicken Eisschicht, während im Sommer Algen die Wasseroberfläche dominieren. Diese extremen saisonalen Unterschiede schaffen die perfekte Umgebung, um die Anpassungsfähigkeit der Mikroben zu untersuchen.

Die Forscher nehmen Wasserproben vom gefrorenen Lake Mendota. © YouTube

2012 veränderte radikal den Zyklus der Bakterien

Doch das Jahr 2012 stach heraus – es war anders als alle anderen Jahre. Extreme klimatische Bedingungen veränderten die Dynamik des Sees radikal. Die Eisschmelze setzte früher ein, der Sommer war heißer und trockener als je zuvor, und das Algenvorkommen – eine zentrale Stickstoffquelle für Bakterien – schrumpfte drastisch. Diese Faktoren bewirkten tiefgreifende genetische Veränderungen in den Bakterien. Insbesondere Gene, die für den Stickstoffstoffwechsel verantwortlich sind, passten sich an die neuen Bedingungen an. Rohwer erklärte: „Ich dachte, aus Hunderten von Bakterienarten würden vielleicht ein oder zwei langfristige Veränderungen zeigen. Aber tatsächlich waren es 1 von 5 Arten.“

Diese Entdeckungen sind besonders relevant angesichts des Klimawandels. Sie verdeutlichen, dass Mikroben nicht nur auf graduelle Veränderungen reagieren, sondern auch auf plötzliche, extreme Ereignisse. Wie sich diese Anpassungen auf Ökosysteme auswirken, bleibt eine zentrale Frage für die Forschung.

Supercomputer entschlüsseln präzise die Bakterien-DNA

Die Forscher nutzten hochmoderne Supercomputer, um die riesigen Datenmengen aus den DNA-Proben zu entschlüsseln. Robin Rohwer erklärt den Prozess bildhaft: „Stell dir vor, jedes Genom ist ein Buch, und jedes DNA-Fragment ein Satz. Wir mussten herausfinden, zu welchem Buch jeder Satz gehört, und die Seiten in die richtige Reihenfolge bringen.“ Diese Methode ermöglichte einen noch nie dagewesenen Einblick in die Evolution mikrobieller Gemeinschaften.

Das könnte dich auch interessieren:

Mit ihren Ergebnissen schaffen die Forscher eine Grundlage für künftige Studien. Brett Baker fasst zusammen: „Dies ist erst der Anfang dessen, was uns diese Daten über mikrobielle Ökologie und Evolution in der Natur verraten werden.“ Der Lake Mendota bleibt ein Fenster in die Zukunft, um zu verstehen, wie sich Leben an veränderte Umweltbedingungen anpasst.

Was du dir merken solltest:

  • Bakterien im Lake Mendota durchlaufen einen jährlichen genetischen Zyklus, der sich an die drastisch wechselnden Umweltbedingungen der Jahreszeiten anpasst.
  • Ein Extremjahr wie 2012 zeigt, dass Mikroben auch auf plötzliche Klimaveränderungen reagieren, was wichtige Einblicke in die Folgen des Klimawandels liefert.
  • Die längste Metagenom-Zeitreihe liefert wertvolle Einblicke in die Evolution von Bakterien und ihre Anpassung an natürliche Lebensräume.

Bild: © Robin Rohwer / University of Texas at Austin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert