Forscher finden Schalter im Gehirn – Warum wir plötzlich Heißhunger auf Süßes, Fett oder Salz bekommen

Ein Hirnareal reguliert das Verlangen nach Zucker, Fett und Salz – abhängig von Hunger, Sättigung oder Nährstoffmangel.

Appetitsteuerung im Gehirn: Forscher finden Heißhunger-Schalter

Ein Blick in den offenen Kühlschrank – oft gesteuert vom Gehirn, das entscheidet, wann uns die Lust auf Süßes, Fett oder Salz überkommt. © Pexels

Ein kleines Hirnareal könnte erklären, warum wir manchmal wie ferngesteuert zum Kühlschrank gehen – selbst wenn wir längst satt sind. Eine neue Untersuchung der Columbia University zeigt: Die Appetitsteuerung im Gehirn funktioniert offenbar über einen „Verlangen-Schalter“, der entscheidet, ob wir essen wollen – oder nicht. Das könnte auch Menschen mit Appetitlosigkeit helfen.

Zucker, Fett und Salz: In der richtigen Menge sind sie lebenswichtig. Doch bei vielen Menschen ist das Verlangen danach nicht mehr im Gleichgewicht. Mal ist der Hunger übermächtig, mal verschwindet der Appetit ganz. Forscher haben nun ein Hirnareal bei Mäusen entdeckt, das eine entscheidende Rolle dabei spielt. Es handelt sich um eine winzige Struktur im Zwischenhirn – das sogenannte BNST (Bettkern der Stria terminalis). Die Region wirkt wie ein Schalter, der unser Konsumverhalten reguliert.

Das Besondere: Die BNST-Region reagiert nicht nur auf die Art der Nahrung, sondern auch auf den inneren Zustand – also Hunger, Sättigung oder Nährstoffmangel. Je nach Situation kann der Schalter den Appetit hochdrehen oder abschalten.

Wenn das Gehirn Lust auf Zucker macht – auch ohne Hunger

In Versuchen mit Mäusen zeigten sich erstaunliche Effekte: Selbst satte Tiere fraßen weiter, wenn die Forscher gezielt bestimmte Nervenzellen im Gehirn aktivierten. Ohne Eingriff verweigerten sie sogar Süßes. Und bei Hunger stieg der Konsum schlagartig an – nicht nur bei Zucker, sondern auch bei Salz oder Fett.

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Gezielte Hirnaktivierung: Mäuse tranken normales Wasser, als sei es Zuckerwasser – allein durch die Aktivierung bestimmter Nervenzellen (Pdyn-Zellen) in der Amygdala.
  • Appetitauslöser: Sobald der BNST aktiviert wurde, fraßen die Tiere sogar bittere oder salzige Substanzen, die sie sonst mieden.
  • Appetitblockade: Wurde der Bereich abgeschaltet, verloren die Tiere jegliches Interesse an Futter – auch wenn sie eigentlich hungrig waren.

Diese Beobachtungen zeigen: Der BNST ist eng mit dem individuellen Essverhalten verbunden – und könnte eine Art „Master-Regler“ für Appetit und Nahrungsaufnahme sein.

Das Bild zeigt Nervenzellen im BNST, die gezielt auf Süßes (rot) oder Salz (violett) reagieren und so das Verlangen nach Zucker oder Salz auslösen © Li Wang und José Cánovas / Zuker-Labor / Zuckerman Institute der Columbia University.
Das Bild zeigt Nervenzellen im BNST, die gezielt auf Süßes (rot) oder Salz (violett) reagieren und so das Verlangen nach Zucker oder Salz auslösen © Li Wang und José Cánovas / Zuker-Labor / Zuckerman Institute der Columbia University.

Appetitsteuerung im Gehirn: Zwei Zelltypen spielen Hauptrolle

Im Fokus der Studie standen zwei spezielle Nervenzelltypen, die mit dem Essverhalten in Verbindung stehen:

  • Pdyn-Zellen in der Amygdala: Reagieren besonders stark auf süße Reize. Über 90 Prozent der aktiven Zellen in diesem Bereich enthielten das Gen Prodynorphin, das mit Genuss und Belohnung verknüpft ist.
  • AGRP-Zellen im Hypothalamus: Diese Zellen senden Hungersignale. Wenn sie im BNST aktiv waren, begannen die Mäuse zu fressen – auch wenn sie zuvor satt waren.

Beide Zelltypen sind über neuronale Verbindungen mit dem BNST verknüpft und scheinen gemeinsam zu steuern, was und wie viel ein Organismus essen möchte.

Hunger verdoppelt die Hirnaktivität – Salzmangel verdreifacht sie sogar

Das Team untersuchte auch, wie sich der innere Zustand der Mäuse auf das Gehirn auswirkt. Das Ergebnis: Der BNST reagierte umso stärker, je größer das Bedürfnis war – etwa bei Hunger oder Salzmangel. Besonders auffällig war die Reaktion bei Salzentzug.

  • Süßes bei Hunger: Der Konsum stieg von etwa 400 auf über 1.000 Schlucke.
  • Hirnaktivität: Die Zahl der BNST-Zellen, die auf Süßes reagierten, nahm bei Hunger um 40 Prozent zu. Die Aktivität der Zellen verdoppelte sich.
  • Salzverlangen: Bei Salzmangel konsumierten die Tiere extrem salzige Flüssigkeiten, die sie sonst mieden. Die Hirnantwort stieg um 300 Prozent.

Die Wissenschaftler sprechen deshalb von einem fein regulierten Zusammenspiel zwischen innerem Zustand und Reizverarbeitung – gesteuert durch das Gehirn.

KI erkennt, was das Hirn will – mit 80 Prozent Trefferquote

Um das komplexe Zusammenspiel besser zu verstehen, trainierten die Forscher ein Decoder-Modell auf Basis künstlicher Intelligenz. Es analysierte die BNST-Aktivität und konnte mit erstaunlicher Genauigkeit vorhersagen, was die Maus gerade fühlt oder braucht:

  • Stimulus und Zustand: Erkennbar mit etwa 80 Prozent Genauigkeit
  • Süße Reize: Über 90 Prozent korrekt
  • Salz: Rund 70 Prozent

Diese Daten zeigen: Die Appetitsteuerung im Gehirn folgt klaren Mustern, die messbar und sogar digital lesbar sind.

Neue Therapieideen bei Appetitlosigkeit durch Krankheit

Besonders vielversprechend ist die Forschung für Menschen, die krankheitsbedingt an starkem Appetitverlust leiden – etwa durch Krebs oder schwere chronische Erkrankungen. In der Studie erhielten Mäuse das Chemotherapeutikum Cisplatin, das oft zu starker Appetitlosigkeit führt. Doch wenn der BNST gleichzeitig aktiviert wurde, blieben die Tiere stabil im Gewicht – im Gegensatz zur Kontrollgruppe.

„Chemotherapie kann den Appetit massiv unterdrücken. Die gezielte Aktivierung dieser Hirnregion könnte helfen, diesen Effekt abzufedern,“ schreibt das Forschungsteam.

Appetit zügeln – ganz ohne Medikamente?

Auch für Menschen mit Übergewicht oder Adipositas könnte die Entdeckung interessant sein. Denn: Wurde der BNST bei übergewichtigen Mäusen gezielt gehemmt, verloren sie innerhalb von 12 Tagen rund 8 Prozent ihres Körpergewichts. Das entspricht der Wirkung bekannter Medikamente wie Semaglutid – allerdings ohne Pharmastoffe, nur durch neuronale Steuerung.

  • Effekt reversibel: Sobald der Eingriff beendet war, stieg das Gewicht wieder an – genau wie beim Absetzen des Medikaments.
  • Zielgerichtete Steuerung: Die Methode wirkt nur, solange der Schalter aktiv ist – ein potenziell kontrollierbarer Eingriff.

Die Ergebnisse zeigen, dass das BNST nicht nur auf Geschmack reagiert, sondern auch auf innere Zustände wie Hunger oder Salzmangel. Es verarbeitet Signale aus verschiedenen Hirnbereichen und beeinflusst direkt, wie stark ein Reiz als attraktiv empfunden wird. Das macht es zu einem zentralen Schaltpunkt für konsumbezogenes Verhalten im Gehirn.

Kurz zusammengefasst:

  • Im Gehirn von Mäusen steuert eine Region namens BNST, ob Appetit entsteht oder nicht – abhängig von Geschmack und innerem Zustand wie Hunger oder Salzmangel.
  • Zwei Zelltypen spielen dabei eine Schlüsselrolle: Pdyn-Zellen reagieren auf Süße, AGRP-Zellen auf Hunger – gemeinsam regeln sie den Drang zu essen.
  • Wird das BNST aktiviert, essen selbst satte Tiere weiter; wird es gehemmt, verlieren selbst hungrige Tiere das Interesse an Nahrung – ein möglicher Ansatz für neue Therapien.

Übrigens: Nicht nur ein Hirnschalter steuert unser Essverhalten – auch Insulin aus dem Gehirn selbst beeinflusst Hunger und Appetit. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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