KI-Chatbot zeigt erstmals echte Wirkung in Studie – und hilft bei Depressionen, Angst oder Essstörung
Ein KI-gestützter Therapie-Chatbot „Therabot“ lindert erstmals wirksam Symptome bei Depressionen, Angststörungen und Essstörungen.

Reden, wenn niemand zuhört: Der KI-Chatbot „Therabot“ linderte in einer Studie spürbar Symptome bei Depression, Angst oder Essstörungen. © Pexels
Wer wegen Depressionen, Angstzuständen oder Essstörungen Hilfe sucht, muss oft monatelang auf einen Therapieplatz warten – oder bekommt gar keinen. Für viele Betroffene ist das zermürbend. Eine neue Studie aus den USA gibt jetzt Anlass zur Hoffnung: Ein digitaler Therapie-Chatbot namens „Therabot“ konnte in einer klinischen Untersuchung Symptome deutlich lindern – und das schon nach vier Wochen.
Die Teilnehmer fühlten sich mit dem System offenbar so wohl, dass sie ihm Dinge anvertrauten, über die sie mit niemandem gesprochen hatten. „Ich konnte dem Bot Dinge sagen, für die ich mich sonst geschämt hätte“, berichtete ein Patient.
Der Therapie-Chatbot wurde am Dartmouth College entwickelt und über mehrere Jahre gemeinsam mit Psychologen und Psychiatern getestet. Die Studie wurde im Fachmagazin NEJM AI veröffentlicht – als erste klinische Untersuchung eines KI-gestützten Therapie-Chatbots weltweit.
Therapie-Chatbot lindert Beschwerden messbar – schon nach vier Wochen
Die klinische Studie des Dartmouth College untersuchte, wie gut ein KI-gestützter Therapie-Chatbot bei psychischen Erkrankungen helfen kann. Insgesamt 210 Erwachsene mit einer diagnostizierten schweren Depression, generalisierten Angststörung oder Essstörung nahmen teil. Die Hälfte nutzte Therabot über eine App auf dem Smartphone – vier Wochen lang, so oft sie wollten. Die andere Hälfte bildete eine Kontrollgruppe ohne Zugang zum Chatbot.
Das Ergebnis: Die Symptome gingen bei den Therabot-Nutzern deutlich zurück – bei Depressionen um 51 Prozent, bei Angst um 31 Prozent und beim Essstörungsrisiko um 19 Prozent. Diese Verbesserungen waren nicht nur statistisch, sondern auch im Alltag spürbar – so das Forschungsteam.
Viele hatten nie eine Therapie – und fanden hier erstmals Gehör
Fast drei Viertel der Teilnehmer hatten zuvor nie psychotherapeutische Hilfe erhalten. Für viele war Therabot der erste Versuch, über ihre Probleme zu sprechen – ohne Termin, Wartezeit oder das Gefühl, beurteilt zu werden. „Mein Eindruck ist, dass viele sich wohler fühlten, mit einem Bot zu sprechen, weil er sie nicht bewertet“, sagt Studienleiter Nicholas Jacobson.
Therabot war rund um die Uhr verfügbar. Gerade nachts oder in Momenten starker Belastung konnten Betroffene sofort schreiben – und bekamen eine durchdachte, therapeutisch fundierte Antwort. Im Schnitt nutzten die Teilnehmer die App insgesamt sechs Stunden – das entspricht etwa acht klassischen Therapiesitzungen.
So funktioniert Therabot – digital, diskret, direkt ansprechbar
Das System fragt seine Nutzer täglich, wie es ihnen geht. Die Gespräche orientieren sich an erprobten Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie. Wer möchte, kann selbst Gespräche starten – auch mehrfach am Tag. Die Antworten des Chatbots basieren auf einem speziell entwickelten Trainingsdatensatz mit psychotherapeutischen Standards.
Zeichnet sich im Chatverlauf eine akute Krise ab – etwa Suizidgedanken – verweist Therabot automatisch auf Notrufnummern oder Krisendienste. Die Forscher werteten alle Chatverläufe aus und ließen sie von Psychologen prüfen. Fehlreaktionen des Systems traten demnach nur selten auf.
Therapie-Chatbot: Vertrauensbasis wie bei einem echten Therapeuten
Was die Forscher besonders überraschte: Viele Nutzer bauten zu Therabot eine echte Bindung auf. „Wir hätten nicht erwartet, dass Menschen die Software fast wie einen Freund oder eine Freundin behandeln würden“, sagt Jacobson. Die sogenannten „therapeutischen Allianzen“, also das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut, waren laut Studienauswertung ähnlich stark ausgeprägt wie in einer klassischen Therapie.
Viele Teilnehmer begannen Gespräche freiwillig, etwa nachts oder in stressreichen Momenten. Solche Eigeninitiative gilt in der Psychotherapie als wichtiger Erfolgsfaktor – und zeigt, wie ernst die Nutzer das Angebot nahmen.
Kein Ersatz – aber eine wertvolle Ergänzung
Trotz der Erfolge betonen die Forscher: KI kann keinen menschlichen Therapeuten ersetzen. „Kein generatives KI-System ist bereit, vollständig autonom im Bereich der mentalen Gesundheit zu arbeiten“, sagt Studienautor Dr. Michael Heinz. Gerade in heiklen Situationen seien erfahrene Fachleute unersetzlich.
Doch angesichts des massiven Versorgungsproblems – in den USA kommt auf rund 1.600 psychisch Erkrankte nur ein Therapeut – könne Therabot eine wichtige Lücke schließen. Er ist schnell verfügbar, anonym nutzbar und reagiert direkt – ohne monatelanges Warten auf ein Erstgespräch.
Hilfe, wenn niemand da ist – direkt aus der Hosentasche
Die Studie zeigt: Digitale Hilfsangebote können für viele Menschen ein erster, einfacher Schritt in Richtung Heilung sein. Sie senken die Hürde, überhaupt Hilfe zu suchen. Besonders für Menschen mit Schamgefühlen, Unsicherheit oder schlechten Erfahrungen im Gesundheitssystem bietet ein diskreter Chatbot neue Chancen.
Kurz zusammengefasst:
- Ein KI-gestützter Therapie-Chatbot („Therabot“) hat in einer klinischen Studie depressive, ängstliche und essgestörte Symptome deutlich reduziert.
- Besonders stark war der Effekt bei Depressionen (-51 Prozent), die Verbesserungen hielten auch acht Wochen nach der Nutzung an.
- Die meisten Teilnehmer hatten zuvor keine Therapie erhalten – Therabot bot ihnen erstmals rund um die Uhr Hilfe in Krisenmomenten.
Übrigens: Forscher haben einen „Schalter“ im Gehirn entdeckt, der Angstreaktionen gezielt dämpfen kann – ein Durchbruch für alle, die unter ständiger Anspannung leiden. Wie genau das funktioniert und was körpereigene Botenstoffe damit zu tun haben, erfahren Sie in unserem Artikel.
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