Nur 2,9 Millimeter Abweichung: Chinesische KI berechnet Gesicht aus DNA
CAS-Forscher entwickeln eine KI, die ein Gesicht aus DNA-Daten mit nur 2,9 Millimetern Abweichung und altersabhängig berechnet.

Mit nur 2,9 Millimetern Abweichung: Die chinesische KI Difface errechnet Gesichter präzise aus DNA-Daten – ganz ohne Foto oder Zeugen. © Vecteezy
Ein Tropfen Blut am Tatort könnte künftig reichen, um das Gesicht eines Täters sichtbar zu machen. Nicht abstrakt, sondern als plastisches 3D-Modell, das zeigt, wie er tatsächlich aussieht – mit Wangenknochen, Nasenspitze und Stirnfalten. Genau daran arbeiten Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS). Ihre Software Difface kann anhand der DNA ein Gesicht rekonstruieren. Und zwar nicht nur das aktuelle – sondern auch das Aussehen in verschiedenen Lebensaltern.
Die Methode basiert auf einem KI-Modell, das genetische Informationen – sogenannte SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismen) – mit 3D-Gesichtern verknüpft. Diese winzigen Unterschiede im Erbgut ermöglichen es, das Aussehen eines Menschen rechnerisch zu bestimmen. Der Nutzen: Ermittler könnten künftig auch dann Gesichter rekonstruieren, wenn es nur eine DNA-Spur gibt – kein Bild, kein Video, keinen Zeugen.
Forscher trainieren Gesicht-DNA-KI mit Han-chinesischen Datensätzen
Die Basis des Modells ist außergewöhnlich. Die Forscher sammelten Daten von 9.674 Menschen, alle aus der Han-chinesischen Bevölkerung. Zu jeder Person lagen sowohl genetische Daten als auch ein hochauflösender 3D-Gesichtsscan vor. Mit dieser Kombination trainierte das Team die Software Difface.
In der Studie wird ausdrücklich erwähnt, dass das Modell bislang ausschließlich mit Daten von Han-chinesischen Individuen entwickelt und getestet wurde. Ob sich das Verfahren auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen lässt, ist offen – und bleibt ein wichtiger Forschungsschritt.
Rekonstruktion mit bis zu 2,9 Millimetern Abweichung
Wie präzise die Rekonstruktionen sind, haben die Forscher genau gemessen: Im Schnitt weicht das berechnete Gesicht nur 3,5 Millimeter vom echten ab – etwa so viel wie ein Stecknadelkopf. Wird zusätzlich das Alter, Geschlecht und der Body-Mass-Index der Person einbezogen, sinkt die Abweichung auf nur 2,93 Millimeter.
Zum Vergleich: Wenn man diese Zusatzdaten allein nutzt – also ohne DNA – liegt der Fehler bei über sieben Millimetern. Die DNA ist damit der entscheidende Baustein für realistische Gesichter.

Wie zuverlässig sind diese Vorhersagen?
Besonders auffällig: Das Modell kann sogar Unterschiede im Gesicht im Laufe des Lebens simulieren. So lässt sich etwa zeigen, wie sich das Gesicht zwischen Jugend und Alter verändert – inklusive Veränderungen an Nase, Stirn oder Wangen. Die gemessenen Unterschiede betrugen im Schnitt rund 2,4 Millimeter.
„Difface kann 3D-Bilder allein aus DNA-Daten erzeugen und dabei sogar das Aussehen in verschiedenen Altersstufen vorhersagen“, sagt der verantwortliche Forscher Luonan Chen.
Tests mit Freiwilligen belegen die Erkennbarkeit
In einem Experiment mussten zehn Freiwillige rekonstruierte Gesichter mit echten Gesichtern vergleichen. Die Testpersonen erhielten jeweils eine Auswahl von fünf, zehn oder zwanzig Fotos und sollten das Original identifizieren.
Das Ergebnis: Bei fünf Vergleichsbildern lag die Trefferquote bei 75,6 Prozent. Bei zehn Bildern sank sie auf 53,3 Prozent, bei zwanzig auf 51,1 Prozent. Das zeigt: Die rekonstruierten Gesichter ähneln dem echten Bild so stark, dass sie realistisch erkannt werden können.
Besonders Nase und Wangen reagieren sensibel
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Nicht alle Gesichtsregionen sind gleich gut vorhersehbar. Die Nase, insbesondere ihre Form und der Abstand zur Stirn, lässt sich mit hoher Genauigkeit berechnen. Bei Merkmalen wie der Wangenform oder der Position der Augen nimmt die Abweichung leicht zu.
Wenn nur ein Teil der DNA-Daten verfügbar ist – etwa nur 70 Prozent der SNPs – steigt der Fehler leicht an. Fällt der Anteil unter 50 Prozent, weichen die Ergebnisse spürbar vom Original ab.
Forscher kartieren über 7.800 Gesichtsgene
Die KI identifizierte außerdem 7.842 genetische Varianten, die mit bestimmten Gesichtsmerkmalen zusammenhängen – etwa der Breite der Nase, dem Abstand der Augen oder der Höhe der Wangenknochen.
Die Forscher nutzten zusätzlich eine Methode namens SHAP, um die Bedeutung einzelner Gene für bestimmte Gesichtszüge zu bewerten. Das Ergebnis: Viele der verantwortlichen Gene sind auch in früheren Studien zur Gesichtsentwicklung aufgetaucht – ein Beleg für die biologische Plausibilität der Vorhersagen.
Große Chancen – und offene Fragen
Die Anwendungsmöglichkeiten sind weitreichend. Neben der Forensik könnte Difface auch in der Medizin eingesetzt werden, etwa um Fehlbildungen im Gesicht zu erkennen oder Operationen besser zu planen.
Doch das Verfahren wirft auch heikle Fragen auf – vor allem in Bezug auf Datenschutz und Ethik. Denn theoretisch ließe sich mit solchen Modellen auch das Gesicht eines Menschen rekonstruieren, ohne dass dieser je fotografiert wurde – allein mit einer DNA-Probe.
In der Studie betonen die Autoren, dass sie ihre Arbeit auch als Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte verstehen. Ziel sei es, „eine Diskussion über die Auswirkungen der DNA-Phänotypisierung“ anzustoßen – besonders im Hinblick auf den Umgang mit genetischen Daten und deren Verwendung.
Kurz zusammengefasst:
- Eine chinesische KI kann aus DNA-Daten ein menschliches Gesicht in 3D rekonstruieren – mit einer durchschnittlichen Abweichung von nur 2,9 Millimetern.
- Grundlage sind sogenannte SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismen), also winzige Unterschiede im Erbgut, die mit Gesichtsmerkmalen verknüpft sind.
- Die Technik könnte in der Forensik helfen, Gesichter von Verdächtigen zu berechnen – selbst dann, wenn nur eine DNA-Spur vorhanden ist.
Übrigens: Je komplexer die KI wird, desto öfter irrt sie sich – und niemand weiß, warum. Selbst bei OpenAI wächst die Sorge, denn ChatGPTs neueste Version halluziniert öfter als je zuvor. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Vecteezy