Ganz ohne Spritze: Wie der Darm den Effekt von Ozempic selbst erzeugt
Der Darm kann mithilfe von Tryptophan und Bakterien das Hormon GLP-1 anregen – mit ähnlichem Effekt wie das Abnehm-Medikament Ozempic.

Der Darm verdaut nicht nur Nahrung, sondern steuert auch Immunsystem, Hormonproduktion und sogar unsere Stimmung. Er kommuniziert mit dem Gehirn und beeinflusst damit Energie, Appetit und Wohlbefinden. © Pexels
Viele Menschen kämpfen mit Übergewicht, Heißhunger und einem aus dem Gleichgewicht geratenen Stoffwechsel. Medikamente wie Ozempic haben in den letzten Jahren gezeigt, dass das Hormon GLP-1 den Appetit zügeln und den Blutzucker stabilisieren kann. Nun deutet eine neue Untersuchung der Marshall University in den USA darauf hin: Auch die Darmflora selbst könnte diesen Effekt anstoßen.
Warum Übergewicht die Hormonproduktion stört
Im Mittelpunkt stehen sogenannte enteroendokrine Zellen (EECs). Sie sitzen in der Darmwand und bestimmen über das Hormon GLP-1, wie viel Zucker im Blut bleibt und wann sich ein Sättigungsgefühl einstellt. Studien mit Ratten und im Labor gezüchteten Mini-Därmen zeigen:
- Übergewicht geht mit weniger EECs einher.
- Weniger Zellen bedeuten auch weniger GLP-1.
- Folge: Der Zuckerstoffwechsel gerät durcheinander, Heißhungerattacken nehmen zu.
Tryptophan als Schlüsselfaktor
Die zentrale Frage lautete: Wie lässt sich der Mangel von EECs ausgleichen? Die Antwort fanden die Forscher in der Aminosäure Tryptophan, die wir täglich über die Nahrung aufnehmen. Im Darm wandeln Bakterien Tryptophan in den Stoff Indol um. Dieses Indol wirkt wie ein Signal: Es regt die Darmwand an, neue hormonproduzierende Zellen zu bilden. Dadurch steigt die Menge an GLP-1 wieder an.
Lebensmittel liefern natürliche Hilfe
Tryptophan steckt in vielen alltäglichen Lebensmitteln:
- Geflügel wie Huhn oder Pute
- Eier und Käse
- Kürbiskerne und Sesam
Damit ergibt sich eine einfache Perspektive: Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel könnten den gleichen Stoffwechsel-Effekt auslösen wie Ozempic – nur dass der Körper den Prozess selbst steuert.
Der entscheidende Rezeptor im Darm
Die Forscher fanden außerdem den genauen Schalter für diesen Mechanismus: den Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor (AhR). Aktiviert durch Indol ermöglicht er den Aufbau neuer Darmzellen. Künftige Medikamente oder Probiotika könnten gezielt an diesem Rezeptor ansetzen, um den Stoffwechsel von Übergewichtspatienten zu regulieren.
Darmbakterien könnten Medikamente wie Ozempic überflüssiger machen
Noch gilt: Die Ergebnisse stammen aus Tierversuchen und Labormodellen. Ob die Signalwege beim Menschen genauso funktionieren, muss erst bewiesen werden. Dennoch sehen die Forscher in ihren Daten eine große Chance.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass mikrobielle Metaboliten aus Nahrungs-Tryptophan die mit Fettleibigkeit verbundenen Verluste an hormonproduzierenden Darmzellen rückgängig machen können“, sagt Biochemiker Alip Borthakur von der Marshall University.
Körpereigene Prozesse statt Spritze
Die Arbeit zeigt, dass Ernährung und Darmbakterien viel stärker über Appetit und Stoffwechsel entscheiden, als bisher gedacht. Sollte sich der Ansatz in Studien mit Menschen bestätigen, könnten Ernährung, Probiotika oder gezielte Nahrungsergänzungsmittel Medikamente wie Ozempic eines Tages teilweise ersetzen – und Abnehmen auf natürliche Weise erleichtern.
Kurz zusammengefasst:
- Im Darm produzieren spezielle Zellen das Hormon GLP-1, das Appetit und Blutzucker reguliert – bei Übergewicht sinkt ihre Zahl deutlich.
- Die Aminosäure Tryptophan wird von Darmbakterien zu Indol umgebaut, das die Bildung neuer Hormon-Zellen anregt und so mehr GLP-1 freisetzt.
- Dieser natürliche Prozess wirkt ähnlich wie Ozempic und eröffnet neue Ansätze, Übergewicht über Ernährung und Darmmikroben zu beeinflussen.
Übrigens: Chips, Kekse oder Limonade wirken im Gehirn ähnlich wie Alkohol oder Nikotin – fast 300 Studien zeigen klare Suchtmuster. Mehr dazu in unserem Artikel.
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