Forscher Nir Barzilai über Langlebigkeit: Vier Medikamente könnten das Altern messbar bremsen

Der Alternsforscher Nir Barzilai erklärt, warum Unsterblichkeit unerreichbar bleibt – und welche vier Medikamente das Altern verlangsamen könnten.

Nir Barzilai: 4 Medikamente könnten das Altern messbar bremsen

Können Menschen eines Tages unsterblich werden – oder lässt sich nur das Altern bremsen? © Pexels

„Wollen Sie wirklich unsterblich sein?“ – mit dieser Gegenfrage beginnt Nir Barzilai das Gespräch über eines der ältesten Menschheitsträume. Der Forscher, der weltweit zu den führenden Alternsexperten zählt, will nicht den Tod besiegen, sondern das Leben verlängern – gesund, aktiv und klar im Kopf. Sein Ziel: Menschen sollen später krank werden, sich schneller erholen und friedlich sterben, statt jahrelang zu leiden.

Das ausführliche Gespräch erschien in DIE ZEIT. Darin erklärt Barzilai, warum Unsterblichkeit keine Lösung ist, welche biologischen Grenzen der Mensch tatsächlich hat – und wie sich das Altern mit vier bekannten Medikamenten bremsen lässt.

Wer ist Nir Barzilai

Der israelisch-amerikanische Mediziner leitet das Institute for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine in New York. Seit Jahrzehnten untersucht er Menschen, die älter als 100 Jahre geworden sind – sogenannte Superalte. Seine Arbeit gilt weltweit als wegweisend für die Alternsforschung.

Barzilai hat das TAME-Projekt („Targeting Aging with Metformin“) initiiert, das zeigen soll, wie bestehende Medikamente den Alterungsprozess verlangsamen. Der Forscher gilt als vorsichtig in seinen Aussagen, aber optimistisch in seinen Daten. In einem Forschungsfeld voller Heilsversprechen hebt ihn das ab: Er argumentiert wissenschaftlich, nicht ideologisch.

Grenzen der Unsterblichkeit – warum ewiges Leben sinnlos wäre

Barzilai sieht in der Unsterblichkeit keinen Fortschritt, sondern einen Irrweg. „Unsterblichkeit ist ein Glaube“, sagt er. Selbst wenn Zellen sich vollständig regenerieren ließen, würde der Mensch seine Identität verlieren. Erinnerungen und Persönlichkeit seien an die biologische Endlichkeit gebunden.

Er stellt die Frage, ob wir dieselben blieben, wenn sich unser Körper ständig erneuert. Für Barzilai ist das Altern Teil der menschlichen Entwicklung. Es bringt Erfahrung, Anpassung und Sinn. Ohne den natürlichen Zyklus aus Wachstum und Vergehen, so seine Überzeugung, wäre Leben bedeutungslos.

Was Superalte gemeinsam haben

Hundertjährige erkranken 20 bis 30 Jahre später als der Durchschnitt. Barzilai nennt das eine „Kompression der Morbidität“ – die Lebensphase mit Krankheit verkürzt sich deutlich. Manche sterben, ohne je ernsthaft krank gewesen zu sein.

Die Gründe dafür liegen teils in den Genen, teils in Lebensweise und Umwelt. In Japan etwa erreichen viele Menschen auf der Insel Okinawa ein hohes Alter. Barzilai führt das auf die Ernährung, viel Fisch, soziale Bindungen und eine hohe Stressresistenz zurück. Ein Schlüssel ist positiver Stress: Bewegung, Fasten, geistige Aktivität. Belastung stärkt den Organismus – solange sie nicht chronisch wird.

Vier Medikamente, die das Altern bremsen könnten

Barzilai nennt vier Wirkstoffgruppen mit großem Potenzial: Metformin, GLP-1-Agonisten (wie Ozempic), SGLT2-Inhibitoren und Bisphosphonate. Alle wirken in ähnlicher Weise wie Kalorienrestriktion: Sie senken Entzündungen, schützen Zellen und verlängern die gesunde Lebensspanne. Besonders Metformin sticht heraus: Es reduziert laut Studien nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch Krebs, Alzheimer und die Sterblichkeit insgesamt.

Die Präparate sind nach Barzilais Einschätzung jedoch nicht für junge, gesunde Menschen gedacht, sondern für jene, bei denen sich erste Altersprozesse oder Stoffwechselveränderungen zeigen – etwa bei Übergewicht, Prädiabetes oder Bluthochdruck. Ziel ist es, den Alterungsprozess gezielt zu verlangsamen und die Phase der Gesundheit zu verlängern, nicht ewige Jugend zu erzeugen.

Metformin, ursprünglich ein Diabetesmittel, zeigt in Studien deutliche Nebeneffekte: Es senkt das Risiko für Herzinfarkt, Krebs und Alzheimer. GLP-1-Agonisten – bekannt durch Abnehmpräparate wie Ozempic – ahmen die Wirkung von Kalorienrestriktion nach und verbessern Blutdruck, Blutfette und Gefäßfunktion. SGLT2-Hemmer unterstützen die Nieren, während Bisphosphonate Knochen stärken und in Beobachtungsstudien mit längerer Lebensdauer verbunden sind.

Warum Ärzte bei Langlebigkeitsmedikamenten zögern

Trotz vieler Daten bleibt die medizinische Zurückhaltung groß. „Zuerst einmal nicht schaden“, sagt Barzilai, sei das oberste Prinzip der Ärzte – und oft der Grund, warum Prävention nur langsam vorankommt.

Er hält das für einen Fehler. Altern sei keine Krankheit, aber die Ursache fast aller Erkrankungen. Wer es bremsen könne, verhindere viele Leiden zugleich. Ein Ökonom habe berechnet, dass ein Dollar für Metformin rund 100 000 Dollar an Gesundheitskosten spart.

Ab 50 beginnt die Reparaturphase

Ab etwa 50 Jahren kippt der Stoffwechsel: Wachstumshormone, die in jungen Jahren schützen, werden im Alter schädlich. Barzilais Daten zeigen, dass Menschen mit niedrigeren Wachstumshormon-Spiegeln länger leben.

„Im Alter gilt: reparieren statt wachsen“, fasst er zusammen. Das Prinzip zeigt sich auch in der Natur: kleine Hunde leben länger als große, Ponys länger als Vollblüter. Weniger Wachstum bedeutet mehr Lebenszeit.

Verjüngung im Labor – Balance ist wichtiger als ewige Jugend

Die Natur kennt Mechanismen, um das Alter von Zellen zurückzusetzen. Entscheidend sind dabei vier Proteine, die sogenannten Yamanaka-Faktoren. In ersten Studien konnten sie geschädigtes Gewebe verjüngen, etwa in den Augen von Glaukompatienten.

Doch das Verfahren ist riskant. Wird es zu stark aktiviert, steigt das Krebsrisiko. Ähnlich verhält es sich mit den Telomeren, den Schutzkappen der Chromosomen. Verkürzen sie sich, drohen Herzkrankheiten; verlängern sie sich zu stark, kann Krebs entstehen. Barzilais Fazit: Der Körper braucht Gleichgewicht, keine ewige Jugend.

Das gesamte Gespräch von Nir Barzilai im ZEIT Podcast. © DIE ZEIT via YouTube

Bewegung, Schlaf, Ernährung – was Barzilai selbst tut

Barzilai setzt im Alltag auf einfache Prinzipien. Er bewegt sich täglich, zielt auf rund 10 000 Schritte, trainiert Kraft und schläft in völliger Dunkelheit. Er fastet regelmäßig nach der 16:8-Methode, isst überwiegend pflanzlich und achtet auf soziale Kontakte.

„Medikamente sind keine Ersatzlösung“, betont er. Sie ergänzen einen gesunden Lebensstil, ersetzen ihn aber nicht. Gerade ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen könnten jedoch von ihnen profitieren. Für sie seien Medikamente oft der Schlüssel zu einem längeren, aktiveren Leben.

Wie realistisch das Ziel von 115 Jahren ist

Barzilai ist überzeugt, dass Menschen bald deutlich älter werden können. „Ich hoffe, dass wir es in den nächsten 20 Jahren schaffen, Menschen näher an die 115 Jahre heranzuführen“, sagt er. Unsterblichkeit hält er weiterhin für unerreichbar – und auch für unerwünscht.

Seine Vision bleibt pragmatisch: Krankheiten vermeiden, Lebensqualität verlängern und die letzten Lebensjahre verkürzen. Oder, wie er es zusammenfasst:

Nicht ewig leben, sondern besser altern – das ist die wahre Herausforderung.

Kurz zusammengefasst:

  • Der Forscher Nir Barzilai untersucht, warum manche Menschen über 100 Jahre alt werden, und zeigt: Ziel ist nicht Unsterblichkeit, sondern gesundes Altern.
  • Vier bereits bekannte Medikamente – Metformin, GLP-1-Agonisten, SGLT2-Hemmer und Bisphosphonate – könnten den Alterungsprozess messbar verlangsamen.
  • Entscheidend bleibt der Lebensstil: Bewegung, Schlaf, Intervallfasten und soziale Kontakte stärken den Körper ebenso wie Medikamente.

Übrigens: Zukunftsforscher Ray Kurzweil glaubt, dass Nanobots den Körper heilen und uns vielleicht sogar unsterblich machen könnten – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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