Wer mehrere Sprachen spricht, bleibt geistig länger fit
Menschen, die regelmäßig mehrere Sprachen sprechen, haben einen Vorteil: Eine neue Studie zeigt, dass Mehrsprachigkeit das Altern im Gehirn verlangsamt.
Das Gehirn bleibt durch Mehrsprachigkeit länger flexibel. Der ständige Sprachwechsel trainiert Denkprozesse und stärkt die kognitive Reserve. © Freepik
Viele Menschen versuchen, mit Sport, gesunder Ernährung oder Gehirnjogging geistig fit zu bleiben. Doch ein Faktor, der lange übersehen wurde, könnte ähnlich wichtig sein: das Sprechen mehrerer Sprachen. Eine neue Studie legt nahe, dass Mehrsprachigkeit das Altern verlangsamt und zwar nicht nur geistig, sondern auch biologisch.
Wissenschaftler des Trinity College Dublin haben Daten von mehr als 86.000 Personen aus 27 europäischen Ländern ausgewertet. Sie wollten wissen, ob Mehrsprachigkeit den Alterungsprozess messbar beeinflusst. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Fachjournal Nature Aging, sind eindeutig: Menschen, die regelmäßig mehrere Sprachen nutzen, altern langsamer.
Große Studie zeigt klaren Zusammenhang
Der Zusammenhang blieb bestehen, selbst wenn Bildung, Einkommen, Bewegung oder Luftqualität berücksichtigt wurden. Mehrsprachige zeigten seltener Anzeichen beschleunigten Alterns.
Statistisch gesehen war ihr Risiko, schneller zu altern, nur halb so hoch wie bei Einsprachigen. Das Zahlenverhältnis von 0,46, das sogenannte Odds Ratio, bedeutet also: Mehrsprachige hatten ein deutlich geringeres Risiko, schneller zu altern – ein klarer Hinweis auf eine Schutzwirkung. Umgekehrt war das Risiko bei Einsprachigen doppelt so hoch. In der Langzeitbetrachtung hatten Mehrsprachige ein rund 30 Prozent geringeres Risiko, biologisch schneller zu altern.
Wie Mehrsprachigkeit das Altern im Gehirn verlangsamt
Der Grund liegt offenbar im Gehirn. Das ständige Umschalten zwischen Sprachen fordert Aufmerksamkeit, Gedächtnis und kognitive Kontrolle. Studienleiter Agustín Ibáñez beschreibt es als „mentales Trainingsprogramm, das das Gehirn flexibel hält“.
Dieser Wechsel aktiviert dieselben Hirnregionen, die im Alter häufig nachlassen. Wer regelmäßig mehrere Sprachen nutzt, trainiert diese Bereiche wie Muskeln, die durch Bewegung kräftig bleiben. Dadurch entsteht eine kognitive Reserve – also die Fähigkeit, geistig leistungsfähig zu bleiben, selbst wenn das Gehirn altert.
So wurde der Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und Altern gemessen
Das Team des Trinity College Dublin entwickelte ein Modell, das das biologische Alter anhand von Gesundheits- und Verhaltensdaten berechnet. Es erklärte etwa ein Viertel der Unterschiede zwischen Menschen gleichen chronologischen Alters. Berücksichtigt wurden:
- Positive Faktoren: Bildung, kognitive Fähigkeiten, funktionelle Gesundheit
- Belastende Faktoren: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sensorische Einschränkungen, weibliches Geschlecht
Sprache gehörte eindeutig zu den schützenden Einflüssen – vergleichbar mit Bewegung oder sozialer Teilhabe.
Schutzfaktor unabhängig von Bildung und Einkommen
Der Effekt zeigt sich nicht nur bei Menschen mit hoher Bildung. Auch Personen mit durchschnittlichem Schulabschluss profitierten vom Gebrauch mehrerer Sprachen. Das spricht dafür, dass Sprache selbst – und nicht soziale Vorteile – der entscheidende Faktor ist.
„Mehrsprachigkeit erwies sich in beiden Analysen als Schutzfaktor“, schreiben die Studienautoren. Der Effekt blieb stabil, selbst wenn körperliche Aktivität, soziale Kontakte oder politische Bedingungen berücksichtigt wurden. Sprache scheint also unabhängig von Lebensumständen das Gehirn zu schützen.
Früh gelernt – im Alter profitiert
Unklar ist, wann dieser Effekt entsteht. Der Bonner Neurowissenschaftler Michael Wagner, der bereits vor zwei Jahren gemeinsam mit Elizabeth Kuhn in einer Studie Anzeichen für die schützende Wirkung von Mehrsprachigkeit gefunden hatte, sagt dazu laut Tagesschau: „Wer sich nach dem Renteneintritt auf einen Spanisch-Kurs stürzt und Vokabeln paukt, um gegen eine künftige Demenz gewappnet zu sein – dem wird das vermutlich nicht helfen.“
Das Forschungsteam um Ibañez möchte daher in kommenden Studien herausfinden, zu welchem Zeitpunkt Sprachenlernen besonders wirksam ist und ob die Schutzwirkung davon abhängt, wie sicher Menschen ihre Sprachen nutzen.
Trotzdem kann es sinnvoll sein, im Alter aktiv zu bleiben. Wer Sprachen, die er früher gelernt hat, regelmäßig verwendet, hält sein Gehirn in Bewegung. Entscheidend ist also, Sprachen konsequent im Alltag einzusetzen – beim Lesen, Hören oder Sprechen.
Warum Sprachförderung auch Gesundheitsschutz sein kann
Wenn Mehrsprachigkeit das Altern tatsächlich verlangsamt, wäre Sprachförderung auch eine Form der Prävention – in Schulen, Betrieben oder Seniorenprogrammen. Länder mit hoher Sprachvielfalt, etwa Luxemburg oder die Niederlande, hätten dadurch einen natürlichen Vorteil beim gesunden Altern.
Für den Alltag gilt: Sprache aktiv zu nutzen, hilft, das Gehirn wach zu halten. Schon einfache Gewohnheiten können diesen Effekt unterstützen:
- regelmäßig in einer anderen Sprache lesen oder hören
- Filme, Serien oder Podcasts in Originalsprache konsumieren
- kurze Gespräche in der Zweitsprache führen
Diese kleinen Routinen trainieren das Gehirn und könnten dazu beitragen, länger geistig fit zu bleiben.
Kurz zusammengefasst:
- Mehrsprachigkeit kann das Altern verlangsamen: Laut einer neuen Studie altern Menschen, die regelmäßig mehrere Sprachen sprechen, biologisch und geistig messbar langsamer als Einsprachige – ihr Risiko für beschleunigtes Altern ist etwa halb so hoch.
- Das ständige Umschalten zwischen Sprachen trainiert Aufmerksamkeits- und Kontrollmechanismen im Gehirn, stärkt die sogenannte kognitive Reserve und schützt so vor mentalem Abbau im Alter – unabhängig von Bildung oder Einkommen.
- Den größten Nutzen haben Menschen, die Sprachen über längere Zeit aktiv einsetzen – etwa durch Lesen, Hören oder Sprechen –, denn dieser geistige Alltagseinsatz hält das Gehirn flexibel und widerstandsfähig.
Übrigens: Forscher der Universität Oslo haben entdeckt, dass ein körpereigener Stoff verlorene Gedächtnisfunktionen im Alzheimer-Gehirn zurückbringen kann – indem er fehlerhafte Zellprozesse repariert. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Freepik
