Krebsprävention: Wie wir mit dem heutigen Wissen Tausende Leben retten könnten – es aber nicht tun

Krebsprävention könnte viele Leben retten: 40 Prozent weniger Erkrankungen, 60 Prozent weniger Todesfälle – doch sie spielt noch immer eine Nebenrolle.

Krebsprävention: Wie wir heute schon viele Leben retten könnten

Rauchstopp, weniger Alkohol, regelmäßige Vorsorge: Schon kleine Veränderungen können das persönliche Krebsrisiko deutlich senken. © Pexels

Jedes Jahr erhalten in Deutschland rund 500.000 Menschen die Diagnose Krebs – mit steigender Tendenz. Durch den demografischen Wandel wird sich diese Zahl in den kommenden Jahrzehnten weiter erhöhen. Schon jetzt verursacht die Behandlung von Krebserkrankungen jährlich Kosten von über 20 Milliarden Euro. Dabei ließe sich ein erheblicher Teil dieser Erkrankungen mit entsprechender Krebsprävention vermeiden.

Mit gezielter Vorbeugung könnten rund 40 Prozent aller Krebsfälle verhindert werden, bis zu 60 Prozent der Todesfälle wären durch bessere Früherkennung vermeidbar. Darauf weist Prof. Dr. med. Dr. h. c. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), im Gespräch mit der Fachzeitschrift best practice onkologie hin. Seine zentrale Botschaft: Prävention muss denselben Stellenwert bekommen wie Therapie – sonst droht eine Überlastung des Gesundheitssystems.

Krebsprävention Drei Wege, um Krebs gezielt vorzubeugen

In der Krebsmedizin unterscheidet man drei Formen der Prävention: Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Sie verfolgen unterschiedliche Ziele, greifen aber ineinander.

  • Primärprävention: Sie setzt vor der Erkrankung an – etwa durch Rauchverzicht, gesunde Ernährung, Bewegung oder Impfungen. Ziel ist es, Risikofaktoren zu vermeiden, bevor Krebs entsteht.
  • Sekundärprävention: Sie umfasst Maßnahmen der Früherkennung, etwa durch Darmspiegelungen oder Mammographieprogramme, um Tumoren in einem heilbaren Stadium zu entdecken.
  • Tertiärprävention: Sie beginnt nach der Therapie. Ziel ist es, Rückfälle oder neue Tumoren zu verhindern – durch Nachsorge, Lebensstiländerungen oder Medikamente.

Wenn wir all das konsequent anwenden würden, könnten wir einen Großteil der Erkrankungen und Todesfälle verhindern.

Primärprävention hat riesiges Potenzial – bleibt aber unterschätzt

Primärprävention wirkt – aber sie wird zu wenig genutzt, mahnt Baumann. Zwar sind zentrale Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Alkoholkonsum oder HPV-Infektionen seit Langem bekannt – doch im Alltag bleibt vieles davon unbeachtet.

Besonders auffällig: Deutschland gehört bei der Tabakkontrolle weiterhin zu den Schlusslichtern in Europa. Auch die HPV-Impfung, die seit fast zwei Jahrzehnten verfügbar ist, erreicht nur einen Bruchteil der Jugendlichen – obwohl sie nachweislich viele Tumoren verhindern könnte.

Daneben gibt es weitere Risikofaktoren, deren Rolle bislang weniger klar ist – etwa Feinstaub oder andere Umweltbelastungen. Auch die Sonneneinstrahlung hat in den letzten Jahren spürbar an Bedeutung gewonnen.

Wenn es uns gelänge, all diese Risikofaktoren zu vermeiden, könnten wir die Anzahl der Krebserkrankungen um beeindruckende 40 Prozent reduzieren.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Michael Baumann

Früherkennung könnte jeden zweiten Krebstodesfall verhindern

Mit der Sekundärprävention ließe sich laut Baumann sogar „eine Reduktion von ungefähr 60 Prozent aller Krebstodesfälle“ erreichen. Dazu gehören etablierte Programme wie Mammographie oder Darmkrebsfrüherkennung – aber auch neue Ansätze.

Ein Beispiel ist die risikoadaptierte Früherkennung. Dabei werden Menschen je nach genetischem oder lebensstilbedingtem Risiko gezielter untersucht – manche häufiger, andere seltener. In Zukunft könnten Bluttests, verbesserte Bildgebung und künstliche Intelligenz helfen, Tumoren frühzeitig und treffsicher zu erkennen.

Prävention statt Reparatur

Trotz der bekannten Potenziale der Krebsprävention hat sich in der Praxis bislang zu wenig bewegt.
„Nach mehrjährigen Gesprächen sind wir gemeinsam mit dem Vorstand der Deutschen Krebshilfe zu dem Schluss gekommen, das Thema noch einmal frisch zu denken, um das gesamte Feld der Prävention nach vorne zu bringen“, sagt Baumann. Dabei gehe es nicht nur um medizinische Konzepte, sondern auch um Kommunikation, Bildung und politische Verantwortung. Der Mediziner fordert ein Umdenken, um in der Krebsprävention Fortschritte zu machen:

  • „Wie kann man junge Leute begeistern, sich in dem Feld zu engagieren, zu forschen?
  • Wie kann man junge Ärzte davon überzeugen, sich langfristig als Präventionsexperten und nicht als Reparaturmediziner zu verstehen?
  • Wie lässt sich die Bevölkerung dazu motivieren, Präventivmaßnahmen viel besser anzunehmen?“

Für Baumann steht fest: Prävention muss sichtbarer und selbstverständlicher werden – in Schulen, in den Medien, in der Gesundheitspolitik.

Mehr Wissen hilft Zusammenhänge zu verstehen

In vielen Bereichen der Krebsprävention ist die Datenlage solide. Dennoch bleiben zentrale Fragen unbeantwortet. Da ist vor allem die Grundlagenforschung gefragt, so Baumann.

Das gilt insbesondere für die Rolle des Mikrobioms, den Einfluss ungesunder Ernährung oder die Frage, wie sich genetische Veranlagungen präziser erfassen lassen. „Wer ist genetisch besonders prädisponiert, Krebs zu entwickeln? Welche Tests könnten uns helfen, individualisierte Programme zu gestalten? Wie genau greift ungesunde Ernährung in die Krebsentwicklung ein?“ – diese Fragen müssten dringend weiter erforscht werden.

Gleichzeitig weist Baumann auf ein zweites Problem hin: Selbst dort, wo wissenschaftlich fundierte Empfehlungen längst vorliegen, hapert es an der Umsetzung.

Gesundheitskompetenz stärken – und Menschen gezielt erreichen

Ein zentrales Problem: Vielen Menschen fehlt das nötige Wissen, um Gesundheitsrisiken richtig einzuschätzen.
„Wenn Sie heute in der Bevölkerung eine Befragung zur Gesundheitskompetenz durchführen, werden Sie zum Teil erschreckende Antworten erhalten“, warnt Baumann.

Aus seiner Sicht muss Gesundheitsbildung früh beginnen – in Kitas, Schulen und Familien. Gleichzeitig brauche es individuelle Strategien, um auch Erwachsene in unterschiedlichen Lebenswelten zu erreichen.

„‚One size fits all‘ ist der falsche Ansatz“, so Baumann. Besonders effektiv seien lokale Multiplikatoren und Angebote über soziale Netzwerke, die auf konkrete Zielgruppen zugeschnitten sind.

Deutschland zwischen Pionierrolle und Nachholbedarf

Bei der Tabakkontrolle liegt Deutschland europaweit fast am Ende. Gleichzeitig gilt das Nationale Krebspräventionszentrum (NCPC), das das DKFZ gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe aufgebaut hat, als innovatives Vorzeigeprojekt. Baumanns Fazit fällt deutlich aus: „Wir müssen unser Gesundheitssystem mehr auf Vorbeugung denn auf Reparatur ausrichten.“

Denn Prävention ist kein Randthema. Sie ist der Schlüssel, um das Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen, die Lebensqualität zu erhöhen – und Leben zu retten.

Kurz zusammengefasst:

  • Krebsprävention umfasst drei Ebenen: Risikovermeidung, Früherkennung und Rückfallverhütung – alle drei können Leben retten und das Gesundheitssystem entlasten.
  • Mit heutigen Mitteln ließen sich 40 Prozent aller Krebserkrankungen vermeiden und bis zu 60 Prozent der Todesfälle durch frühzeitige Diagnosen verhindern.
  • Damit Prävention wirkt, braucht es mehr Forschung, bessere Umsetzung bestehender Maßnahmen und eine stärkere Verankerung im Gesundheitssystem.

Übrigens: Nicht nur Bewegung und Vorsorge helfen gegen Krebs – auch eine nachhaltige Ernährung senkt das Risiko messbar. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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