Wer in der Jugend einsam ist, verändert sein Gehirn
Einsamkeit während der Jugend beeinflusst das Gehirn nachhaltig – betroffen sind Netzwerke für Emotionen, Denken und Sozialverhalten.

Das Boston Children’s Hospital hat fast 3.000 Jugendliche untersucht und dabei festgestellt, dass sozialer Rückzug messbare Veränderungen im Gehirn hinterlässt. © Freepik
Die Jugendzeit ist ein Ausnahmezustand für das Gehirn. Es wird neu verschaltet und auf Selbstständigkeit vorbereitet. Genau in dieser Umbruchphase ist das Gehirn besonders formbar. Es passt sich an soziale Erfahrungen an, lernt aus Beziehungen, entwickelt sich weiter. Doch was passiert, wenn diese sozialen Reize fehlen? Wenn Jugendliche sich zunehmend zurückziehen, Kontakte meiden, lieber allein bleiben?
Psychologen beobachten seit Jahren, dass immer mehr Jugendliche soziale Situationen meiden – durch Leistungsdruck, Social Media oder anhaltende Nachwirkungen der Pandemie. Eine neue Studie des Boston Children’s Hospital ist dieser Frage auf den Grund gegangen – und kommt zu einem beunruhigenden Ergebnis: Einsamkeit in der Jugend kann bleibende Spuren im Gehirn hinterlassen.
Studie untersucht fast 3.000 Jugendliche
Die Wissenschaftler analysierten die Gehirne von 2.809 Jugendlichen im Alter von rund zwölf Jahren. Grundlage war die große ABCD-Studie, die mehr als 11.000 junge Menschen über Jahre hinweg begleitet. Mithilfe von MRT- und fMRT-Daten verglich das Team Jugendliche mit starkem Rückzugsverhalten mit Gleichaltrigen, die häufiger soziale Kontakte pflegten. Dabei fanden sie klare Unterschiede in Struktur und Funktion des Gehirns.
So wirkt soziale Isolation auf das Gehirn Jugendlicher
Bei Jugendlichen mit Rückzugstendenzen war die Hirnrinde in der Insula und im anterioren cingulären Kortex dünner. Diese Bereiche helfen, Gefühle einzuordnen und soziale Signale zu verstehen. Gleichzeitig waren andere Areale wie die Amygdala und der entorhinale Kortex größer als bei den Vergleichspersonen. Sie steuern Angst, Stressreaktionen und emotionale Erinnerung.
Diese Kombination ist heikel. Wenn emotionale Areale wachsen und regulierende Netzwerke schwächer werden, entsteht ein Ungleichgewicht. Angstreaktionen und Rückzug können dadurch sich verstärken.
Auch Netzwerke verlieren an Stabilität
Nicht nur einzelne Bereiche, sondern auch Verbindungen im Gehirn waren verändert. Die Netzwerke für Aufmerksamkeit, soziale Reaktionen und Entscheidungsprozesse arbeiteten weniger effizient. Besonders das Kleinhirn zeigte instabilere Aktivitätsmuster und damit eine höhere Verletzlichkeit.
„Wir haben bestätigt, dass soziale Isolation nicht nur Gehirnbereiche beeinflusst, die für soziale Funktionen zuständig sind, sondern auch andere Prozesse“, sagt Dr. Caterina Stamoulis, die die Studie leitete.
Rückzug und psychische Gesundheit hängen zusammen
Sozialer Rückzug war nicht nur mit veränderten Gehirnstrukturen verbunden, sondern auch mit emotionalen Problemen. Jugendliche, die sich häufiger isolierten, zeigten:
- öfter depressive Symptome
- stärkere Ängste
- auffälliges Verhalten gegenüber Gleichaltrigen und Erwachsenen
Besonders deutlich war dieser Zusammenhang bei Jugendlichen, deren Eltern selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten.
Alltag und Schule leiden unter Isolation
Der Rückzug beeinflusst mehr als das Innenleben. Lernverhalten, Motivation und Stressverarbeitung verändern sich ebenfalls. Wer sich dauerhaft isoliert, hat oft Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeit, Konflikten und emotionaler Regulation. In der Schule kann das schlechtere Leistungen, geringere Beteiligung und mehr Auseinandersetzungen mit Mitschülern bedeuten.
Was Eltern und Fachkräfte tun können
Nicht jeder ruhige Teenager ist gefährdet. Doch wenn Isolation über Wochen anhält, sollten Eltern oder Lehrkräfte genauer hinschauen. Frühzeitige Unterstützung kann helfen, die Entwicklung zu stabilisieren. Dr. Stamoulis erklärt: „Es ist wirkungsvoll, Familien aufzuklären, indem man ihnen zeigt, was im Gehirn ihrer Kinder passiert.“
Warnsignale sind etwa:
- Rückzug von Freundschaften und Hobbys
- Gereiztheit oder emotionale Abflachung
- Angst vor Schule oder sozialen Situationen
Ein Gespräch mit Kinderärzten, Beratungsstellen oder Vertrauenspersonen kann dann der richtige Schritt sein.
Wie soziale Isolation das Gehirn langfristig prägt
Die Untersuchung war erst der Anfang. Da die ABCD-Studie auf eine Langzeitbeobachtung ausgelegt ist, wollen die Forscher dieselben Jugendlichen in den kommenden Jahren erneut untersuchen. So können sie erkennen, ob sich die Veränderungen im Gehirn mit zunehmender Isolation verfestigen oder zurückbilden, wenn soziale Kontakte wieder gestärkt werden.
„Jetzt können wir erstmals sehen, wie sich diese Muster über die Zeit entwickeln“, so Stamoulis. „Das ist entscheidend, um früh eingreifen und Resilienz fördern zu können.“
Kurz zusammengefasst:
- Einsamkeit in der Jugend verändert das Gehirn: Wenn soziale Erfahrungen ausbleiben, schrumpfen wichtige Hirnregionen für Gefühle und soziales Verhalten, während emotionale Zentren wachsen – das kann langfristige Folgen haben.
- Jugendliche mit Isolationserfahrungen leiden häufiger unter Depressionen, Ängsten und auffälligem Verhalten, besonders wenn es familiäre Vorbelastungen gibt.
- Wer Warnsignale wie Rückzug, Reizbarkeit oder Schulangst erkennt, kann Jugendlichen rechtzeitig helfen und ihre mentale Gesundheit langfristig stabilisieren.
Übrigens: Telefonate helfen gegen Einsamkeit – aber nicht dauerhaft. Warum echte Nähe für das Gehirn und die Gesundheit entscheidend bleibt, mehr dazu in unserem Artikel.
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