Wohin mit den vielen Zootieren? – Warum Forscher geplante Tötungen für den Artenschutz fordern

Überfüllte Gehege, alternde Tiere: Forscher fordern eine radikale Lösung. Gezielte Tötungen könnten Platz schaffen und Zoopopulationen gesünder halten.

Ein Eisbär frisst den Kopf eines Wisents aus einer Zuchtgruppe, die auch für die Wiederansiedelung von Wisenten genutzt wird. © Timo Deible, Zoo Karlsruhe via Universität Zürich

Artenschutz mit einem Tabu-Thema: Forscher wollen die Tötung überzähliger Tiere in Zoos zur Norm machen, um den Fortbestand langfristig zu sichern. © Timo Deible, Zoo Karlsruhe via Universität Zürich

Im Zoo staunen Kinderaugen, wenn das Giraffenbaby zum ersten Mal das Gehege betritt. Doch kaum jemand denkt darüber nach, was geschieht, wenn es groß geworden ist und kein Platz mehr da ist. Genau hier setzen Forscher der Universität Zürich an und plädieren für ein Umdenken im Umgang mit Zootieren: Nicht Verhütung, sondern gezielte Tötungen könnten zur Lösung werden – so provokant es klingen mag.

Zu viele Tiere, zu wenig Platz

Während in der Wildnis natürliche Feinde und Nahrungsmangel das Leben der Tiere bestimmen, genießen Zootiere Schutz und volle Futternäpfe. Das lässt sie deutlich länger leben. Doch genau das stellt Zoos vor ein großes Problem. Wohin mit all den Tieren, wenn Gehege nicht größer werden und die Ressourcen knapp bleiben?

Viele Zoos setzen auf eine strikte Kontrolle der Fortpflanzung. Andere wagen einen anderen Schritt und töten überzählige Tiere – ein Vorgehen, das seit der Tötung der Giraffe Marius im Zoo Kopenhagen vor zehn Jahren hitzig diskutiert wird. Damals sorgte der Fall für weltweite Empörung, als Marius an Raubtiere verfüttert wurde.

Warum Verhütung allein nicht reicht

Forscher der Universität Zürich haben sich in einer Studie mit dieser Problematik auseinandergesetzt und warnen, dass Verhütung nicht nur den Tierbestand reguliert, sondern auch langfristig verändert. „Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen“, erklärt Marcus Clauss vom Universitären Tierspital der Universität Zürich. Zoopopulationen würden dadurch immer älter, was das zentrale Ziel der Zoos – der Erhalt fortpflanzungsfähiger Populationen – gefährde.

Da sich überzählige Tiere nur selten an andere Zoos vermitteln lassen und Auswilderungen aufwendig und selten möglich sind, plädieren die Forscher für kontrollierte Tötungen von Zootieren. Dies sei nicht grausam, sondern verantwortungsvoll, erklärt Clauss: „Wir halten dies für ein rationales und verantwortungsvolles Populationsmanagement.“

Mehr Bildung durch Ehrlichkeit

Zoos sind nicht nur Freizeitorte, sondern haben auch eine wichtige Bildungsaufgabe. Jährlich besuchen über 700 Millionen Menschen Zoos weltweit. Laut Andrew Abraham von der Universität Aarhus sollten Zoos mehr Transparenz im Umgang mit dem Lebenszyklus von Tieren zeigen: „Indem sie den Tod von Tieren an den Rand drängen, halten Zoos jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis aufrecht.“

Anstatt nur Tiere zu zeigen, die „glücklich alt“ werden, sollten Zoos das natürliche Aufwachsen, die Fortpflanzung und das Sterben der Tiere begreifbar machen. Das helfe, Verständnis für Artenschutz zu schaffen und die Realität der Natur zu zeigen.

Nachhaltiger durch eigenes Fleisch

Ein weiteres Argument betrifft die Nachhaltigkeit: Einige Zoos nutzen das Fleisch überzähliger Tiere zur Fütterung ihrer Raubtiere und reduzieren damit den CO2-Ausstoß und den Bedarf an kommerziellem Schlachtvieh. Rund ein Drittel des benötigten Fleisches stammt beispielsweise laut BNN im Karlsruher Zoo aus eigener Produktion.

Das könnte dich auch interessieren:

Auch wenn solche Entscheidungen kontrovers diskutiert werden, ist die öffentliche Meinung differenzierter, als viele glauben. Laut Marcus Clauss haben „Zoos die Verantwortung, ihre Gäste über die Realitäten von Leben und Tod in der Tierhaltung aufzuklären.“ Durch eine ehrliche und transparente Kommunikation ließe sich die Akzeptanz für langfristige, nachhaltige Konzepte erhöhen.

Zoos stehen damit vor der schwierigen Aufgabe, Tierwohl, Bildungsauftrag und Nachhaltigkeit zu vereinen. Dabei könnten offene Diskussionen über den Tod von Tieren genauso wichtig sein wie die Freude über neues Leben.

Was du dir merken solltest:

  • Zootiere leben deutlich länger als Wildtiere, was Zoos vor Platzprobleme stellt – Verhütung allein löst dieses Problem nicht und verändert langfristig die Altersstruktur negativ.
  • Forscher der Universität Zürich empfehlen daher eine fachgerechte Tötung überzähliger Tiere, um gesunde und fortpflanzungsfähige Populationen zu erhalten und gleichzeitig den Bildungsauftrag zu stärken.
  • Zoos können durch die Nutzung eigenen Fleisches ihre Klimabilanz verbessern, und eine ehrliche Kommunikation über den natürlichen Lebenszyklus kann die Akzeptanz solcher Maßnahmen erhöhen.

Übrigens: Die menschliche Kultur hebt sich durch ihre grenzenlose Anpassungsfähigkeit von tierischen Kulturen ab – sie verändert sich fortlaufend und ohne feste Grenzen. Was dahintersteckt, erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Timo Deible, Zoo Karlsruhe via Universität Zürich

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert